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Spielwarenmesse in Nürnberg:Aufrüsten im Kinderzimmer

Pädagogisch wertvoll oder technisch auf der Höhe der Zeit? Ein Grundsatzkonflikt entzweit die Aussteller der weltweit größten Spielwarenmesse. Ein Hirnforscher warnt angesichts des neuen elektronisch aufgerüsteten Spielzeugs: "Man darf die Gehirne der Kinder nicht dem Markt überlassen."

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Zu den befremdlichen Ritualen der weltweit größten Spielwarenmesse in Nürnberg gehört es, dass deren Macher einen Schwerpunkt ausrufen, den kurzerhand zum neuen Trend in Kinderzimmern erklären und ihn von eigens engagierten Forschern pseudowissenschaftlich bestätigen lassen. Diesmal könnte das schief gehen.

"Toys 3.0" lautet der Schwerpunkt der Spielwarenmesse, die kommende Woche beginnt. Propagiert wird elektronisch aufgerüstetes Spielzeug und vor allem solches, das mit Tablet-PC und Smartphones kombinierbar ist. Ein Unding, finden Experten. Der Ulmer Hirnforscher und Bestsellerautor Manfred Spitzer stellt sich gar die Frage: "Sind die wahnsinnig?"

Gemeint sind die Verantwortlichen der Spielwarenmesse e.G., jener Genossenschaft, welche die Messe organisiert. Deren Chef Ernst Kick versteht die Aufregung nicht. Man zeige doch nur, "wie klassische Spielwaren ihr Spielspektrum durch Applikationen und multimediale Funktionen erweitern", sagt er. "Dabei behalten sie offline ihren Spielwert wie bisher, können aber online mehr. So gewinnen die Spielwaren mehr Attraktivität für alle Altersgruppen. Für Unternehmen ist das eine Chance, weitere Zielgruppen zu erreichen."

Verantwortung für pädagogisch wertvolles Spielzeug

Zielgruppen sind das eine, das Wohl der Kinder aber ist womöglich etwas ganz anderes. "Die Messe muss doch nicht jedem Zeitgeist nachlaufen", hält Wolfgang Schühle, Sprecher der 20 wichtigsten deutschen Holzspielzeughersteller dem Messechef vor. Sie fürchten nicht nur, mit ihren klassischen Produkten bei der Spielwarenmesse allmählich unterzugehen. "Wir haben doch als Branche auch eine Verantwortung und müssen pädagogisch wertvolles Spielzeug liefern", sagt er. "iPad-Spielzeug für Vorschulkinder hat keinen Lerncharakter, sondern ist Humbug und Blödsinn."

Buchautor Spitzer, Chef der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, sieht das ähnlich. Die Nürnberger Messe sende "völlig falsche Signale aus", sagt er, "was da passiert, ist ein furchtbares Anfixen" an das Medium Computer - ein pädagogisch und entwicklungspsychologisch fragwürdiges Unterfangen. "Wir haben schon jetzt eine halbe Million Computersüchtige in Deutschland", warnt Spitzer. "Man darf die Gehirne der Kinder nicht dem Markt überlassen."

Es rührt sich aber auch ökonomische Kritik. "Es ist sehr gewagt von der Spielwarenmesse, sich ein Segment auf die Fahnen zu heften, das außerhalb der Kernkompetenzen des Fachhandels liegt", sagt Branchenexpertin Sibylle Dorndorf. Die Chefredakteurin des Fachmagazins Toys warnt: "Nur ganz wenige Händler sind in der Lage, das Elektronik-Segment abzubilden und damit Geld zu verdienen."

Kaum noch ein Kuscheltier, das nicht piept

Es ist ein Grundsatzkonflikt. Lange Zeit fand Elektronik auf der Spielwarenmesse nicht statt. Bis die Branche ebenso rat- wie fassungslos erlebte, wie Spielkonsolen ihren Produkten in den Kinderzimmern den Rang abliefen. Also rüstete man auf. Kaum noch ein Kuscheltier, das nicht piept, leuchtet, spricht oder andere Geräusche von sich gibt.

Fragwürdiger Höhepunkt auf der Spielwarenmesse 2012 war ein Greifring für Kleinkinder mit Smartphone-Halter. Er war sogar für einen Preis nominiert. Lapidare Begründung der Messemacher: Heutzutage spiele schließlich jedes Kind mit Mobiltelefonen.

Ärger hat Messechef Kick auch mit dem Stofftierhersteller Steiff. Die Ikone der deutschen Spielwarenindustrie bleibt in diesem Jahr erstmals fern. Zu teuer und zu wenig lukrativ sei sie, so Steiff-Chef Martin Hampe. Vor allem aber stehe "die Spielwarenmesse zunehmend für Massenprodukte aus Fernost". Für Ramsch also. Kick weist das zurück; die Zahl der Aussteller aus Fernost sei seit langem konstant. Steiff baut derweil seine Produkte an einem anderen Ort in Nürnberg auf und lädt Kunden dorthin ein - ein offener Affront.

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SZ vom 24.01.2013/kjan
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