Spielwaren:Jungs, die mit Puppen spielen

Lesezeit: 4 Min.

Laurel Wider hat über eine Kickstarter-Kampagne weltweit 600 Puppen verkauft und mehr als 40 000 Dollar eingesammelt. (Foto: Sam Simmonds/Polaris/laif)
  • Kinder lernen schon sehr früh, was es bedeutet, in der Gesellschaft ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Die Amerikanerin Laurel Wider will dagegen etwas tun.
  • Sie vertreibt in den USA Puppen in unterschiedlichen Haut- und Haarfarben, damit sich alle kleinen Jungen in ihnen wiederfinden.

Von Kathrin Werner, New York

Ausgelacht. Als Laurel Wider zum ersten Mal einem Manager eines Spielzeugkonzerns von ihrer Idee erzählte, lachte er nur und sagte: "Das wird nie klappen." Jungen wollten einfach nicht mit Puppen spielen, und ihre Eltern wollten das auch nicht, befand er. Aber Wider blieb dabei, sie glaubte an ihre Idee und machte daraus ein Unternehmen. Es heißt Wonder Crew und verkauft Puppen für Jungen.

Widers Puppen sind kleine Jungen, die Superhelden-Kostüme tragen. Es gibt für sie Bauarbeiter-, Astronauten- und Forscher-Klamotten und passend dazu die gleichen Outfits auch für die kleinen Kinder, die mit den Puppen spielen sollen, damit sie leichter eine Verbindung zu den Puppen herstellen können. "Jungen kümmern sich genauso gern um eine Puppe oder um ihre Kuscheltiere wie Mädchen, es ist ganz natürlich", sagt Wider. "Wir erlauben es ihnen nur nicht."

Seit Jahren schon regen sich viele Eltern darüber auf, dass Spielzeug entweder quietschpink oder babyblau ist. Die Spielzeugkonzerne haben die Errungenschaften der Feministinnen in den 80ern für die Kleinsten komplett zurückgedreht, es gibt heute mehr als damals Geschlechterregeln, welches Spielzeug für wen vorgesehen ist. In den USA ist die blau-pinke Trennung extrem, aber auch europäische Eltern, die ihre Kinder nicht auf Rollenbilder festlegen wollen, kennen das Problem.

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Spielzeug für Jungen ist oft zum Bauen angelegt

Kinder lernen schon sehr früh, was es bedeutet, in der Gesellschaft ein Junge oder ein Mädchen zu sein - selbst wenn ihre Eltern versuchen, dagegen zu arbeiten. Schon Drei- bis Fünfjährige können "Mädchenspielzeug" und "Jungenspielzeug" identifizieren und vorhersagen, ob ihre Eltern ihre Wahl gutheißen oder ablehnen würden, hat eine Studie der University of South Carolina im Jahr 2007 ermittelt. Eine andere Studie fand 2011 heraus, dass das Klischee "Mathe ist für Jungen" schon Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren bewusst ist. Wer gern mit Autos, Werkzeugkästen und Lokomotiven spielt, interessiert sich später wahrscheinlich mehr für Ingenieursfächer, glauben Forscher.

Spielzeug für Jungen ist außerdem oft so angelegt, dass sie damit etwas bauen können. Eine Transformer-Actionfigur lässt sich von einem Roboter in ein Auto umwandeln, und Lego-Sets, die sich oft auch eher an Jungen als an Mädchen richten, müssen die Kinder erst zusammensetzen. Das fördert logisches Denken und motorische Fähigkeiten. "Jungen, die routinemäßig die Erfolgserlebnisse haben, die mit Entwerfen und Bauen verbunden sind, fühlen sich mehr zu Hause in Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften", sagte Großbritanniens Verbraucherschutzministerin Jenny Willott vor einigen Jahren. Kinder schon so früh in Ecken zu drängen, schade der Volkswirtschaft. "Ein Junge, der nie einen Nähkasten hatte, wird sein Talent für Design vielleicht nie entdecken."

Das ist der Punkt: Es geht nicht nur um die Mädchen, die ihre Fähigkeiten nicht entwickeln und von vornherein lernen, dass Technik nichts für sie ist, es geht auch um die Jungen. "Unsere Gesellschaft geht davon aus, dass es den Jungs sowieso gut- geht, dass sie die Oberhand haben", sagt Wonder-Crew-Gründerin Wider. "Aber das ist nur an der Oberfläche so." Lehrer, die an einer Studie in Spanien teilnahmen, hielten Mädchen grundsätzlich für fürsorglicher und hilfsbereiter als Jungen - und erwarteten genau dieses Verhalten von Mädchen. Jungen, die sich sozial verhielten, fanden sie dagegen sogar merkwürdig. "Wir verbieten den Jungen geradezu, etwas zu fühlen", sagt Wider. "Aber die Gefühle werden herauskommen."

Die Idee, etwas dagegen zu tun, kam der Psychotherapeutin aus dem US-Bundesstaat Massachusetts nach einem Erlebnis mit ihrem Sohn. Er kam eines Tages aus dem Kindergarten nach Hause, gerade einmal drei Jahre alt, und erklärte seiner Mutter, dass kleine Jungs nicht weinen dürfen. "Ich war schockiert", erzählt Wider. Sie hatte immer versucht, solche Vorschriften zu vermeiden und ihm alle Gefühle zu erlauben. "In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, wie giftig strikte Regeln über Maskulinität für Männer sein können", sagt sie. "Wenn Jungen nicht weinen dürfen, äußern sie ihre Gefühle auf andere Art. Oft durch Wut und Aggression."

Wider begann sich zu fragen, was sie dagegen tun könnte. Sie traf sich mit Hunderten Forschern, Kinderpsychologen, Spieleentwicklern und Eltern von Söhnen. Nach jahrelanger Recherche war ihr klar: Spielzeug ist der Schlüssel. "Spielzeug für Jungen priorisiert Stärke und Eigenständigkeit statt Freundlichkeit, Kommunikation und Einfühlungsvermögen", sagt sie. Für Jungen fände sich eine schier endlose Menge an Waffen und unemotionalen Objekten wie Autos, aber keine Puppen in den "blauen Regalen" im Spielzeugladen. "Und es ist viel schwerer für Jungen, den Weg zu den pinken Regalen zu gehen. Er ist mit einem riesigen Stigma verbunden."

Wider sammelte über Kickstarter mehr als 40 000 Dollar ein

Vor drei Jahren rief sie ihr Start-up ins Leben und verkaufte die ersten 600 Puppen über eine Kickstarter-Kampagne. Über Kickstarter können junge Unternehmen ihre Produktideen der Öffentlichkeit im Internet vorstellen und von Kunden Geld für Vorbestellungen einsammeln, die Website bringt Startkapital und Abnahmegarantie in einem. Wider sammelte mehr als 40 000 Dollar ein, Bestellungen kamen sogar aus dem Ausland, unter anderem aus Australien, Spanien und Deutschland. "Es hat mir Mut gemacht, dass der Bedarf da draußen so groß ist." Auflösen werden Wonder Crews Puppen die Geschlechterklischees nicht, sie greifen schließlich die traditionelle Vorstellung auf, dass Jungs mit Heldenfiguren spielen. Eigentlich, sagt Wider, sollte Spielzeug für Jungen und Mädchen genau gleich aussehen. "Aber wir müssen die Eltern und die Kinder da abholen, wo sie sind. Und das Stigma existiert nun einmal."

Vor eineinhalb Jahren hat Wider eine Kooperation mit dem Spielzeughersteller Play Monster geschlossen, allein wurde ihr die große Nachfrage zu viel. Nun hat der Konzern Produktion und Vertrieb übernommen, per Lizenz. Es gibt Widers Puppen überall in den USA, vier verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Haut- und Haarfarben, damit sich alle kleinen Jungen in ihnen wiederfinden - und natürlich auch Mädchen, die ebenfalls gern mit den Superhelden-Puppen spielen, sagt Wider. Vor Kurzem hat Wonder Crew sogar den begehrten Preis "Puppe des Jahres" der New Yorker Spielzeugmesse erhalten. Noch nie hatte eine Jungen-Puppe die Auszeichnung bekommen, für die Kunden und vor allem Mitglieder der Spielzeugindustrie abstimmen. Die Branche ändere sich, wenn auch langsam, sagt Wider. "Es lacht jedenfalls niemand mehr."

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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