Spielsüchtige in Deutschland:Warten auf den Riesengewinn

In Deutschland sind 360.000 Menschen spielsüchtig - oder nach Ansicht von Wissenschaftlern zumindest gefährdet. Ein Spielhallen-Betreiber und ein Suchtforscher streiten über das schnelle Glück und die tiefen Abstürze mit der Droge Geld.

Klaus Ott

SZ: Meine Herren, wie wär's mit einem Spiel? An diesem Automaten lockt der "Lucky Farmer", der glückliche Bauer.

Meyer: Jetzt spiele ich gleich mal mit dem Höchsteinsatz von zwei Euro. 80000 Punkte kann ich gewinnen, das sieht so aus, als ob das 800 Euro sind. Und schon ist mein Einsatz weg, in wenigen Sekunden.

Schmidt: Dann werfen Sie doch mal vier Euro ein und stoppen die Zeit, bis die Spiele vorbei sind. Das geht gar nicht so schnell, wie Herr Meyer suggeriert.

SZ: Das Spiel sieht ganz harmlos aus, und ein paar Euro sind kein Vermögen. Was soll da so schlimm sein?

Meyer: Da locken 800 Euro. Das reizt zum Spielen, das regt die Phantasie an, und schon sind wir mittendrin in der Suchtgefahr. Der Verlust wird gar nicht gespürt, weil gleich das nächste Spiel beginnt. Und wer an mehreren Automaten gleichzeitig spielt, weil er auf Tausende Euro Gewinn hofft, kann in wenigen Stunden auch mehr als 1000 Euro verlieren.

Schmidt: Jeder Spieler weiß damit umzugehen. Und wie viel darf ich beim Lotto verlieren, ohne dass der Staat, der ja Lotto veranstaltet, mich davor schützt?

Meyer: Lotto ist lange nicht so verführerisch wie der Automat hier. Das sollte eigentlich nur Unterhaltung sein und hat sich längst zum Glücksspiel entwickelt. Sie haben die gesetzlichen Grenzen ständig ausgedehnt.

SZ: Herr Schmidt, Sie leben von den Verlusten Ihrer Gäste ...

Schmidt: ... nein, sondern von der Zeit, die sie hier entspannt verbringen. Wir verkaufen Unterhaltung.

Meyer: Ich kenne aus meiner Forschungsarbeit genug süchtige Spieler. Aktuelle Ergebnisse besagen, die Mehrzahl der langjährigen Gäste ist süchtig nach den Automaten, oder ist zumindest gefährdet.

SZ: Herr Schmidt, nehmen Sie für Ihren Profit menschliche Schicksale in Kauf?

Schmidt: Nein, auf keinen Fall. Denen, die Probleme haben, wollen wir helfen. Unsere Gäste zahlen im Schnitt 10,96 Euro. Wo ist da das Problem? Nach Meyers Definition wäre ich selbst süchtig gewesen, weil ich während meines Studium jeden Abend Skat gespielt oder gepokert habe.

SZ: Haben Sie viel verloren?

Schmidt: Halb so schlimm. Was viel schlimmer war: Wenn ich als Junge mit meinem Bruder und dessen Freunden Karten gespielt habe, musste der Verlierer seinen Po hinhalten und bekam eine drauf. Bei uns kann man mit fünf Cent spielen, da droht keine Gefahr.

Meyer: Die 10,96 Euro sind doch nur das, was einer im Schnitt pro Stunde verliert. Ich kann bei Ihnen trotzdem ein Vermögen verzocken. Ihr eigener Automat mit dem "Lucky Farmer" widerspricht Ihnen. Da locken hohe Gewinne, und wer Hunderte Euro verliert, spielt weiter, weil er seinen Verlusten hinterherjagt.

Schmidt: Das ist doch die Ausnahme. Kümmern wir uns doch gemeinsam um diese wenigen Gäste, Herr Meyer, statt zu streiten. Wir bieten seit einigen Jahren konkret Hilfe an und haben im letzten Jahr 50 Besuchern empfohlen, sich an Beratungsstellen zu wenden. Ein Teil von ihnen hat eine Therapie begonnen. Bei zwei Drittel unserer Spielhallen arbeiten wir mit Suchthilfe-Organisationen zusammen. Aber einige Hilfseinrichtungen wollen das gar nicht.

Die ideale Spielhalle

SZ: Lässt man da die Spielhallen-Betreiber im Stich?

Meyer: Grundsätzlich sind Früherkennung und Kooperationen der richtige Weg. Das darf aber nicht von der Ursache ablenken. Der Spielanreiz muss gesenkt werden, mit geringeren Gewinnen.

SZ: Was ist für Sie die ideale Spielhalle? Diejenige, die es gar nicht gibt?

Meyer: Nein, wir brauchen ein legales Angebot. Aber mit Unterhaltungsgeräten statt Glücksspiel-Automaten. Für die haben wir die Spielbanken, die Kasinos, die ihre Gäste streng kontrollieren müssen, anders als die Spielhallen.

SZ: Herr Schmidt, immer mehr Spielhallen nennen sich Kasinos. Betreiben Sie und Ihre Kollegen also in Wirklichkeit Spielbanken, wie man sie aus James-Bond-Filmen kennt?

Schmidt: Natürlich nicht. Ich besitze doch keine Kasinos, sondern biete Unterhaltung.

SZ: Aber viele Spielhallen stellen 100 und mehr Automaten auf, und heißen eben neuerdings Kasinos. Wo ist da noch der Unterschied zu den Spielbanken?

Schmidt: In den staatlichen Spielbanken kann man Tausende Euros setzen und noch viel mehr verlieren. Dagegen sind wir Waisenknaben.

Meyer: Falsch, bei Ihnen steht viel zu viel Geld auf dem Spiel. Der Höchstgewinn in den Spielhallen muss unter 60 Euro pro Stunde liegen.

Schmidt: Sie leben außerhalb der Realität. Da kommt keiner mehr, weil es bei uns langweilig ist. Die Leute wandern ins Internet oder illegale Zockerbuden in Hinterhöfen ab. Dann sieht es in Deutschland aus wie in Berlin-Neukölln, wo wir lauter solche Zockerbuden haben, vor denen die Behörden kapitulieren.

Meyer: Wenn die Spielhallen nicht mehr so attraktiv sind, weil beispielsweise die Speicher mit den Gewinnpunkten regelmäßig gelöscht werden ...

Schmidt: ... wie können Sie so etwas vorschlagen? Das ist doch Diebstahl. Sie beklauen unsere Gäste!

Meyer: Wenn Sie also Ihre Besucher nicht mehr so anlocken können wie bisher, dann wird ein Teil abwandern, etwa zu den staatlichen Spielbanken, denen Sie viele Gäste weggenommen haben.

Schmidt: Das stimmt doch gar nicht, dass wir denen Gäste wegnehmen.

SZ: Geht es dem Staat nur darum, mit seinen eigenen Glücksspielen die Leute selbst auszunehmen, weil die Finanzminister Geld brauchen?

Meyer: So war es lange. Jetzt müssen die staatlichen Lotterien und Kasinos mehr gegen die Spielsucht tun, aber das reicht noch lange nicht aus. Die meisten der 360000 süchtigen oder gefährdeten Spieler in Deutschland kommen aber aus den mehr als 10000 Spielhallen.

Schmidt: Mit der richtigen Fragetechnik bekommen Sie bei Ihren Untersuchungen jedes gewünschte Ergebnis. Mit unbewiesenen Zahlen zu operieren, bringt uns nicht weiter.

Meyer: Tatsache ist, dass bei den Spielhallen fast vier Milliarden Euro im Jahr in der Kasse verbleiben. Bei den Spielbanken sind es nur noch 560 Millionen.

Schmidt: Sie reden so, als ob Sie von den Spielbanken bezahlt werden. Was würden Sie uns denn großzügigerweise noch an Erlösen zugestehen?

Meyer: Reicht nicht eine Milliarde?

Schmidt: Wenn Sie rechnen könnten, würden Sie merken, dass das nicht für ein großflächiges Angebot reicht, das aus mehr besteht als aus Spielhöllen in Bahnhofsvierteln, direkt neben dem Sexklub. Wir bieten Spielstätten mit einer angenehmen Atmosphäre, wir kümmern uns mit geschultem Personal um unsere Gäste, aber das kostet eben Geld, und das muss erst einmal verdient werden. Ich bin Unternehmer mit Verantwortung, aber kein Wohltätigkeits-Verein.

Vernünftige Begrenzung

SZ: Ausländische Glücksspiel-Anbieter im Internet holen sich Milliarden aus dem deutschen Markt. Die staatlichen Spielbanken drängen deshalb selbst ins Netz. Müsste man dann nicht auch den Spielhallen Online-Angebote erlauben?

Meyer: Dann würde man ja die Spielhallen auch noch dafür belohnen, dass sie die Leute zum Zocken verleiten.

Schmidt: Wir haben zehn Millionen Gäste, darunter immer mehr Frauen, und Sie wollen die ins Internet und in die Hinterhöfe verjagen, wo niemand aufpasst. Herr Meyer, hören Sie auf. Sie und viele Politiker wollen unsere Branche am liebsten abschaffen, das ist doch die Wahrheit.

Meyer: Nicht abschaffen, sondern vernünftig begrenzen. 80 Prozent der Spielhallen-Betreiber halten ja nicht einmal die ohnehin großzügigen Vorgaben ein.

Schmidt: Weil ein vorgeschriebenes Faltblatt gerade nicht ausliegt.

Meyer: Sie verharmlosen alles, das ist eine Masche, auch beim politischen Lobbying. Bei Parteitagen präsentiert sich Ihre Branche gerne mit harmlosen Kickern. Sehen wir hier in Ihrer Spielhalle irgendwo einen Kicker. Der wäre ja völlig uninteressant für Ihre Gäste.

SZ: Herr Schmidt, warum erfassen Sie ihre Gäste nicht namentlich, per Spielerkarten, und sperren Gäste mit Problemen, wie das die Spielbanken machen?

Schmidt: Es gibt 86 Spielbanken, aber mehr als 10000 Spielhallen. Das ist technisch schwer machbar, über anderes kann man nachdenken.

Meyer: Spieler mit Hausverbot in den Spielbanken zocken teilweise in den Spielhallen weiter. Und dann sind da noch die 50000 Automaten in Kneipen, wo gar nichts kontrolliert wird. Diese Automaten müssen abgebaut werden.

Schmidt: Nein, Herr Meyer! Ginge es nach Ihnen, gäbe es überhaupt kein Vergnügen mehr. Warum wollen Sie den Menschen die Freude nehmen? Fangen Sie doch einmal an, die hohen Potenziale, die Ihr Gehirn hat, für konstruktive Lösungen zu nutzen.

Meyer: Danke für das Kompliment. Ich werde mich bemühen. Aber für Schein-Lösungen bin ich nicht zu haben. Süchtige Spieler scheuen auch nicht davor zurück, sich mit Diebstählen und Überfällen das Geld für ihre Spielhallen-Besuche zu besorgen. Das sind kranke Menschen.

Schmidt: Das mit den Diebstählen ist ihre Vermutung. Und kranke Menschen gibt es in allen Teilen der Gesellschaft, nicht nur bei uns.

Interview: Klaus Ott

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