Spendensammler:Die Kunst des Nehmens

Die Nachfrage nach Spenden ist weit größer als das Angebot - Hilfsorganisationen lassen sich deshalb verstärkt von Sammelprofis helfen, um Wohltäter zu gewinnen.

Sebastian Jost

Auf dem Papier an der Tafel steht das Wort "Kapital", mit rotem Filzstift geschrieben. Darunter drei schwarze Spiegelstriche: "Humankapital, Wissenskapital, allokatives Kapital". Drumherum gruppieren sich Begriffe wie "Major Gifts" oder "Direct Marketing", und über alledem steht "Kommunikations-Mix". Das klingt nach dem Jargon von Unternehmensberatern wie McKinsey. Neben dem englisch-deutschen Schlagwortkauderwelsch steht Katja Sichtermann und sagt: "Das Wichtigste ist die Capital Campaign." Sagt das aber nicht selbstbewusst wie eine aufstrebende Jungmanagerin, sondern schüchtern wie eine Schülerin, die eine neue Vokabel aufgeschnappt hat und nicht weiß, ob sie sie richtig ausspricht.

Spendendose, Spender

Spendendose, Spender

(Foto: Foto: AP)

Die Mitdreißigerin schaut Hilfe suchend zu ihren drei Kollegen im Zimmer. Karl-Friedrich Rittershofer blättert in zusammengehefteten Schaubildern herum. "Wir brauchen halt noch dieses..." Er blättert weiter. "Dieses Leadgift." Rittershofer ist kein Manager. Als Archäologe kennt er sich mit dem Sammeln von antiken Kostbarkeiten aus - aber nicht mit dem Sammeln von Spenden. Deshalb sitzt er mit blauem Hemd, heller Hose und ohne Krawatte vor einem Laptop im Katholischen Sozialen Institut im rheinischen Bad Honnef. Zusammen mit Sichtermann, Marketing-Referentin beim Naturschutzverband Nabu, und weiteren Studenten der "Fundraising-Akademie" soll er sich überlegen, wie ein Mittagstisch für arme Kinder zu organisieren wäre. Unter Spendenprofis klingt das, als würden McKinsey-Berater die Konkurrenzfähigkeit eines Mittelständlers debattieren.

Tatsächlich geht es um Konkurrenz. Denn um Spenden ist in Deutschland ein Wettbewerb entbrannt. Klammert man die Millionen für Naturkatastrophen wie den Tsunami vor knapp einem Jahr aus, so stagniert das Spendenaufkommen nach Schätzungen des Deutschen Spendenrats seit Jahren. Um den gleichen Kuchen von etwa 2,5 Milliarden Euro balgen sich aber immer mehr Vereine: "Weil der Staat sich zurückzieht, haben viele Organisationen Bedarf an Spenden", sagt Thomas Kegel, Leiter der Akademie für Ehrenamtlichkeit in Berlin. Selbst Opernhäuser, Schulen, Universitäten und Kirchengemeinden bitten immer öfter um private Zuwendungen. Besonders groß ist das Gedränge der Spendenbriefe in den Wochen vor Weihnachten, die für ein Drittel des gesamten Spendenvolumens sorgen. "Die Nachfrage nach Spenden ist deutlich größer als das Angebot", diagnostiziert Hans-Josef Hönig von der Aachener Beratungsfirma Outcome.

Sammelkurse boomen wie nie

Im Wettbewerb um Wohltätigkeit kann nur punkten, wer mit guten Ideen auf sich aufmerksam macht - und wer Spendenprofis an Bord hat. Die Kunst des Sammelns heißt neudeutsch "Fundraising" und nähert sich immer mehr den Marketing-Methoden von Unternehmen an, wie eine Studie der Universität Halle 2004 zeigte. "Anfang der neunziger Jahre lagen wir bei der Professionalisierung des Fundraisings noch Lichtjahre hinter den Amerikanern", sagt Michael Urselmann von der Fachhochschule Köln. "Seither haben wir schon deutlich aufgeholt." Er ist selbst ein Beleg dafür: Urselmann ist Deutschlands erster Professor für Fundraising. Der Berufsverband der Fundraiser, der 1993 mit mageren 35 Spendenexperten angefangen hat, zählt inzwischen über 1000 Mitglieder.

Der Deutsche Spendenrat sieht deutliche Anzeichen dafür, dass ausgebildete Fundraiser eher zusätzliches Geld heranschaffen als Laien. Deshalb boomen Sammelkurse wie nie: "Die Nachfrage ist in den letzten Jahren stark gestiegen", sagt Thomas Kreuzer, Leiter der Fundraising-Akademie in Frankfurt. Vereine und Verbände buchen oft ein kompaktes Mehrtagesseminar, manchmal aber auch einen kompletten berufsbegleitenden Studiengang, der aus Sammelbüchsen-Amateuren innerhalb von zwei Jahren "Diplom-Fundraiser" macht.

Die Kunst des Nehmens

In den Akademie-Seminaren wie dem in Bad Honnef lernen die Studenten, wie sie eine Stiftung gründen können oder welche emotionalen Worte in einen Spendenbrief gehören. "Herzlich" oder "gemeinsam" seien immer nützlich, sagt Dozent Lothar Schulz, und beim Mittagstisch-Projekt müsse unbedingt hinein, "dass da Kinder satt geworden sind". Für Großspender reiche so ein Brief aber nicht, die müsse man persönlich treffen. Die Erwartungen an seine Studenten sind hoch: Ein Fundraiser solle sofort sein Gehalt einspielen. "Die deutschen Organisationen säen und düngen nicht, sie wollen gleich Geld ernten", meint der Dozent.

Zum Beispiel bei Axel Kuchta: Der 45-Jährige bekam beim Behindertenwohnheim Wittekindshof in Bad Oeynhausen nur einen Einjahresvertrag - seine Vorgesetzten wollten erst sehen, ob sich die Stelle auszahlt. Viel zu wenig Zeit, meint Fundraising-Professor Urselmann. Ein Spendensammler müsse zunächst Kontakte knüpfen und Vertrauen gewinnen - erst nach zwei bis drei Jahren zahle sich die Arbeit aus. Kuchta hatte Glück: Er brachte in den ersten Monaten so viel Geld zusammen, dass er bleiben durfte.

Am Konferenztisch in Bad Honnef sitzt Kuchta zusammen mit dynamischen 30-Jährigen und gemütlichen Mittfünfzigern, zwischen Blazer und Batikshirt. Die knapp 20 Studenten haben Plakate mit ihren Visionen an die Wände gepinnt. "Weniger Elend in der Welt", steht da zum Beispiel. Aber auch: "Dauerhafte, materielle Unabhängigkeit durch meine Selbstständigkeit als Fundraiser." Geschäftssinn und das Bedürfnis zu helfen prallen hier aufeinander: Eine schwarzhaarige Frau in knallrotem Pulli ist mit der Mittagstisch-Aufgabe nicht zufrieden.

Spendenbriefe in Millionenauflage

"Wir brauchen doch nicht in erster Linie das Essen, sondern eine Sozialarbeiterin, die sich um die verwahrlosten Kinder kümmert", sagt sie. "Sonst würde ich bei dieser Bürgerinitiative nicht mitmachen." Der grauhaarige Sakkoträger am Tisch daneben zuckt gelangweilt die Achseln: "Ich sehe mich nicht als Bürgerinitiative, sondern als Fundraising-Agentur, die diesen Auftrag zu erledigen hat."

Solche Agenturen gibt es, und sie sind die lachenden Dritten, wenn sich Hilfswerke um Spenden balgen. "Weil die Sammlungen nicht mehr so gut laufen, kommen die Organisationen vermehrt auf Agenturen zu", sagt Jörg Gattenlöhner, Marketingchef beim Fundraising-Spezialisten GFS in Bad Honnef. Der wachsende Markt lockt Neulinge an: Marketingfirmen, die bislang die Gewinne kommerzieller Kunden gemehrt haben. Der Werbe-Allrounder Rapp Collins aus Hamburg etwa ist vor zwei Jahren ins Fundraising-Geschäft eingestiegen. "Die Hilfsorganisationen sehen, dass sie eine professionelle Markenkommunikation brauchen", meint Geschäftsführer Thomas Funk. "Und sie sind seit kurzem auch bereit, dafür zu bezahlen." Allerdings werfe das Spendensammeln derzeit noch weniger Geld für die Agenturen ab als die Arbeit für Unternehmen.

Die Agenturen verschicken Spendenbriefe in Millionenauflage oder fangen bei Fernsehgalas die Anrufflut im Callcenter auf. Oder sie liefern gute Ideen, mit denen der Auftraggeber auffällt im Sammler-Sammelsurium. So packt das Deutsche Rote Kreuz dieses Jahr bereits zum dritten Mal eine Musik-CD in die Weihnachtsbriefe an treue Spender. Die Silberscheibe sei billig zu produzieren, erhöhe die Durchschnittsspende aber erheblich, versichert ein DRK-Sprecher.

Die Kunst des Nehmens

Das Kinderhilfswerk Unicef will dagegen im Internet auffallen: Auf der Homepage erscheint ein Häuschen aus Lehmsteinen mit lachenden Kindern im Fenster. Es gehört zu einer Sammelaktion für Schulgebäude in Afrika. Wer spenden will, trägt nicht einfach einen Betrag in einen Überweisungsträger ein - er spendet Lehmsteine, und das per Mausklick. Jeder Stein kostet 50 Euro, 200 Steine reichen für eine Schule. Auf den Internet-Häuschen steht, wer welchen Stein gespendet hat. Über 2,1 Millionen Euro hat die Spielerei seit Anfang des Jahres eingebracht. "Das zeigt, dass Fundraising gut funktioniert, wenn man sich etwas Kreatives ausdenkt", sagt Frauke Klemm von der Internet-Agentur i-gelb, die die Ziegelstein-Schule programmiert hat.

Noch gewitzter sind Vehikel zum Spenden, die der Organisation Geld bringen, ohne dass es den Spender etwas kostet. So hat der Deutsche Verein vom Heiligen Lande im vergangenen Jahr zusammen mit der Kölner Pax-Bank eine eigene Kreditkarte ausgegeben: Wann immer der Besitzer die Karte einsetzt, gehen etwa 0,5 Prozent Provision an christliche Heiligtümer in Israel. Das Behindertenhilfswerk Lebenshilfe profitiert derweil vom Einkaufen im Internet: Klickt sich der Nutzer über www.kaufen-mit-herz.de zu seinem Online-Shop durch, erhält die Lebenshilfe eine Provision. Beim Buchhändler Amazon sind es zum Beispiel bis zu 3,75 Prozent des Einkaufswerts.

Die vielen neuen Ideen und sinkende Steuereinnahmen haben auch die Dinosaurier unter Deutschlands Spendensammlern wachgerüttelt: die Kirchen. "Die haben in den neunziger Jahren Anteile am Spendenmarkt verloren", sagt Professor Urselmann, "aber jetzt holen sie wieder auf." Allen voran die evangelische Landeskirche Hannover: Dort dürften die Einnahmen aus Kirchensteuer und anderen traditionellen Quellen bis 2020 um 30 Prozent schrumpfen.

"Unsere Aktivisten finden Geldbeschaffung bäh"

Deshalb bucht die Landeskirche seit 2003 für Pastoren und andere Mitarbeiter komplette Studiengänge bei der Fundraising-Akademie, 12 der knapp 60 Kirchenkreise beschäftigen bereits eigene Fundraiser. Die Gemeinden ziehen mit: 42 Bewerbungen bekam die Landeskirche für den Fundraising-Preis, den sie vergangene Woche verliehen hat. Eine der Auszeichnungen ging an das Dorf Flachsmeer in Ostfriesland. Die Gemeinde hat die Namen von Spendern auf die Unterseite der Dachpfannen für einen Gemeindehaus-Anbau gepinselt - und damit binnen 14 Tagen 20000 Euro eingenommen. "Das hätte nicht geklappt, wenn wir einfallslos Geld gesammelt hätten", sagt Pastor Andreas Hannemann.

Wie es einer Organisation ohne neue Einfälle ergeht, zeigt Robin Wood. Der Umweltschutzverein, der Castor-Transporte blockiert oder mit Baumbesetzungen gegen Flughafenausbauten protestiert, verzeichnet seit Jahren sinkende Spendeneinnahmen. "Unsere Aktivisten finden Geldbeschaffung bäh", sagt Djoeke Lueken, Leiterin der Bundesgeschäftsstelle.

Telefonmarketing habe die Delegiertenversammlung abgelehnt, Spendenwerbung für Urwaldaktionen mit herzerweichenden Fotos von Gorilla-Babys auch. Weil die Organisation jedoch Verluste anhäuft, erkennt Lueken ein Umdenken: "Viele haben eingesehen, dass es ganz ohne Geld und ohne hauptamtliche Mitarbeiter nicht geht." Und vielleicht bald auch nicht mehr ohne Gorilla-Babys.

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