Spekulation mit Nahrungsmitteln:Für viele Vorwürfe gibt es keine Anhaltspunkte

Aber nicht nur die plakativen Slogans der Öffentlichkeitskampagne sind irreführend. Irreführend, weil nicht sachgerecht, sind auch zahlreiche der Aussagen, die die Kampagne begründen und begleiten. Die folgenden vier Beispiele sind symptomatisch:

- In seiner Broschüre für Misereor kennzeichnet Dirk Müller die Tätigkeit der Indexfonds als virtuelles Horten. Zugleich spricht er ihnen ab, eine volkswirtschaftlich nützliche Funktion zu erfüllen (PDF).

- In seiner Studie für die Welthungerhilfe behauptet Hans-Heinrich Bass, dass Indexfonds dem Terminmarkt Liquidität entziehen (PDF).

- Foodwatch-Chef Thilo Bode übernimmt die These vom Liquiditätsentzug und schließt daraus, dass Indexfonds die Versicherungsfunktion des Terminmarkts einschränken.

- Der ehemalige UNCTAD-Ökonom Heiner Flassbeck erklärt Indexfonds sogar zur Hauptursache der in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Hungerkrisen (PDF).

Hierzu sind folgende Klarstellungen angebracht: "Long-only"-Indexfonds sind keine aktiven Trendsetter. Vielmehr verhalten sie sich passiv und zeichnen mit ihrem Portfolio lediglich den Markttrend nach. Hierbei verfolgen sie eine Handelsstrategie, die billiger gewordene Anlagen zukauft und teurer gewordene Anlagen verkauft. Dies trägt tendenziell zur Preisstabilisierung bei und versorgt den Markt auch in schwierigen Zeiten mit Liquidität, wenn traditionelle Marktteilnehmer eher zurückhaltend sind, Preisrisiken zu übernehmen. Indexfonds stärken also die Versicherungsfunktion des Terminmarkts und verbessern damit zugleich die volkswirtschaftliche Risikoallokation.

Auch für den Vorwurf, hier handele es sich um virtuelles Horten - um eine künstlich angeheizte Nachfrage, die dem Kassamarkt physische Gütermengen entzieht -, gibt es weder in theoretischer noch in empirischer Hinsicht belastbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere auch für die Behauptung, Indexfonds trügen Schuld oder gar die Hauptschuld für den Hunger in der Welt. Sie hat den Mainstream der internationalen Forschung nicht für sich, sondern gegen sich.

Was ist jetzt zu tun?

Dass die Forschung zentralen Aussagen der Kampagne diametral widerspricht, hat nicht nur viele Bürger, sondern auch zahlreiche Journalisten und Politiker überrascht und nachdenklich gestimmt. Die Intervention der Wissenschaftler hat hier bereits Wirkung gezeigt. Jetzt kommt es darauf an, für die Zukunft die richtigen Weichen zu stellen. Dabei können die folgenden Fragen helfen:

Wie konnte es dazu kommen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine Gemeinschaftskampagne starten, die auf falschen Vorwürfen basiert? Welche qualitätssichernden Vorsichtsmaßnahmen wurden hier außer Acht gelassen? Welche Vorkehrungen sind nun zu treffen, damit die zivilgesellschaftlichen Organisationen möglichst unbeschadet aus der Glaubwürdigkeitskrise herausfinden, in die sie sich mit dieser verunglückten Kampagne hineinmanövriert haben?

Warum werden nicht verstärkt die wahren Ursachen für Hunger und Armut adressiert, um endlich - gemeinsam! - solche Politikoptionen ins Blickfeld zu rücken, die wirklich helfen würden?

Thomas Glauben ist Direktor des Leibniz-Forschungsinstituts für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), Ingo Pies hat einen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Das ausführliche Diskussionspapier der Autoren finden Sie hier.

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