Spekulanten im Visier:Europas Problem-Steuer

Unfassbare 4,6 Billionen Euro haben die EU-Staaten seit Beginn der Finanzkrise Banken etwa in Form von Garantien zur Verfügung gestellt. Nun wollen die Länder etwas dafür zurückhaben - und fordern eine Steuer auf Finanztransaktionen. Aber kann eine solche Steuer funktionieren? Und warum gibt es sie nicht schon längst? Fragen und Antworten rund um die Finanztransaktionssteuer.

Hans von der Hagen

Schon 2014 könnte in der Europäischen Union eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Damit soll die Finanzbranche an den Kosten der Krise beteiligt und Spekulation eingedämmt werden. Die EU-Staaten hätten seit 2007 4,6 Billionen Euro vor allem als Garantien für den Finanzsektor zur Verfügung gestellt, argumentiert Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Es sei nun an der Zeit, dass die Banken ihrerseits einen Beitrag zur Gesellschaft leisteten. Doch die Steuer ist umstritten. Innerhalb der EU wird sie von Großbritannien abgelehnt, in Deutschland sträubt sich die FDP dagegen. Fragen und Antworten rund um ein kontroverses Projekt.

General Views Of The City's Financial District And Canary Wharf

Bekommt Europa eine Spekulationssteuer? Sie soll viel Geld in die Kassen der klammen EU-Länder spülen. Im Bild die Skyline des Financial Districts von London.

(Foto: Bloomberg)

Über die Finanztransaktionssteuer wird schon lange diskutiert. Warum gibt es sie nicht längst?

Es ist paradox: Politisch scheint eine Finanztransaktionssteuer gerade jetzt opportun zu sein. Sie spiegelt das Bedürfnis der Wähler wider, die Banken für die Finanzkrise abzustrafen, sie an den Kosten der Krise zu beteiligen und Spekulation zu reduzieren. Darum machen sich gerade im Wahlkampf Politiker für sie stark - wie jetzt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Aber es gibt auch viele Vorbehalte: Sie ist komplex und bürokratisch, muss den Ausweichstrategien von Staaten und Banken trotzen und gilt als Belastung für die Wirtschaft. Darum ist die Situation in vielen Ländern so wie in Deutschland: Formal gibt es - wie auch von Kanzlerin Angela Merkel - ein Bekenntnis zur Steuer, doch innenpolitisch ist sie noch gar nicht durchgesetzt.

Wo soll die Finanztransaktionssteuer eingeführt werden?

Die globalen Umsätze im Finanzbereich konzentrieren sich auf die großen Zentren wie New York, London, Tokio, Singapur und Hongkong. Eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen kann also nur richtig wirken, wenn sie in allen großen Finanzzentren eingeführt wird. Ansonsten wandert Geschäft von den steuerpflichtigen Orten ab zu den steuerfreien Finanzplätzen. Doch nicht einmal in der Europäischen Union besteht Einigkeit - Großbritannien stellt sich quer. Dennoch hatte Sarkozy zuletzt betont, dass Frankreich notfalls auch im Alleingang eine Spekulationssteuer initiieren werde. EU-weit kann sie nur dann umgesetzt werden, wenn alle 27 Mitglieder zustimmen.

Wie hoch soll die Steuer sein?

Die EU-Kommission hat bereits einen Vorschlag ausgearbeitet. Demzufolge sollen Geschäfte mit Aktien und Anleihen mit einem Steuersatz von 0,1 Prozent von der jeweiligen Bemessungsgrundlage wie Nominalwert oder Transaktionsvolumen belegt werden, beim Derivatehandel sollen 0,01 Prozent fällig werden. Die Mitgliedsländer können aber auch höhere Sätze festlegen. Beispiel: Bei einem Kauf von Aktien im Volumen von 10.000 Euro würden Steuern von zehn Euro fällig werden.

Welche Einnahmen erhofft sich die EU von der Steuer?

Würden die Vorschläge der EU-Kommission umgesetzt, soll sie ersten Schätzungen zufolge jährlich 57 Milliarden Euro bringen.

Wer müsste die Steuer entrichten?

Würde eine solche Steuer eingeführt, wäre im Idealfall die gesamte Finanzbranche betroffen - neben Banken und Versicherungen also auch Fondsgesellschaften innerhalb und außerhalb der EU. Besteuert werden müssten sowohl Transaktionen, die an den regulären Börsen durchgeführt werden als auch solche, die nur "over the counter" - also direkt zwischen zwei Handelsparteien abseits der Börse - abgewickelt werden.

Gibt es Geschäfte, die von der Steuer ausgenommen werden sollen?

Ausgenommen werden könnten etwa Wertpapiere, die von Staaten und Unternehmen herausgegeben werden, um sich Kredit oder Eigenkapital zu beschaffen. Die entsprechenden Anleihen und Aktien würden dann erst beim Handel nach der Neuemission besteuert.

Wer zahlt am Ende die Steuer?

Vordergründig sind es die Finanzunternehmen. Doch die werden nach Möglichkeit die Steuern den Kunden in Rechnung stellen. Es ist nun mal das Prinzip in der Wirtschaft: Kosten werden so lange in Richtung der Konsumenten durchgereicht, solange es geht. Am Ende wird voraussichtlich ein Großteil der Steuer dann doch vom Verbraucher getragen werden - auch wenn die EU dies eigentlich vermeiden will.

Werden dann auch Kredite und Versicherungen von privaten Kunden und Unternehmen besteuert?

Nein.

Wer profitiert von den Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer?

Noch ist das unklar. Denkbar wäre, dass die Finanztransaktionssteuer national ausgestaltet wird. Dann würden allerdings nur die großen Finanzzentren profitieren - Großbritannien wäre der große Gewinner.

Was gegen Steuerflüchtlinge getan werden kann

Es ist unwahrscheinlich, dass sich die übrigen EU-Länder mit einer solchen Lösung zufriedengeben würden, zumal Großbritannien die Einnahmen auch dazu nützen könnte, sein Steuersystem für Firmen attraktiver zu machen. Alternativ könnten die Einnahmen nach einem Schlüssel verteilt werden, den die EU separat festlegen müsste. Nach Vorstellungen der EU-Kommission soll natürlich auch Brüssel an den Einnahmen beteiligt werden.

Warum ist Großbritannien gegen die Steuer, wenn das Land womöglich im besonderen Maße von ihr profitiert?

Die Briten fürchten, dass der Finanzplatz London an Bedeutung verlieren könnte. Vor allem im Devisenhandel hat er eine überragende Rolle: Im Jahr 2010 lagen die Briten mit einem Anteil von 37 Prozent an allen Devisentransaktionen weit vor den Vereinigten Staaten (18 Prozent) und Japan (sechs Prozent). Die großen Finanzhäuser würden versuchen, die Steuer zu umgehen und ihre Geschäfte beispielsweise in Singapur oder in den Vereinigten Staaten abzuwickeln.

Welche Vermeidungsstrategien gibt es?

Es sind viele Strategien zur Steuervermeidung denkbar, allein schon etwa über die Ausgestaltung von Derivaten. Außerdem könnten Banken via Tochtergesellschaften außerhalb des EU-Raums versuchen, die Spekulationssteuer zu umgehen. Hier plant die EU, dass es zur Auslösung der Steuerpflicht schon reicht, wenn einer von mehreren Handelspartnern in der EU sitzt. Hinzu könnte kommen, dass der Hauptsitz eines Unternehmens für die Steuerpflicht entscheidend sein wird. Der Sitz einer etwaigen Tochtergesellschaft wäre dann belanglos.

Kann eine Finanztransaktionssteuer Krisen vermeiden helfen?

Da die Finanztransaktionssteuer Handelsgeschäfte teurer macht, bremst sie womöglich die Handelsvolumina. Doch da nicht allein ein hohes Maß an "Spekulation" Finanzkrisen auslöst, ist die Wirkung einer solchen Steuer unklar. Hinzu kommt, dass sich die Finanzindustrie leichttut, Steuervermeidungsstrategien zu entwickeln. Es gibt in der Finanzbranche anders als bei Unternehmen keine Produktionsanlagen, die aufwendig in andere Länder verlagert werden müssten.

Wie geht es nun weiter?

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll die Steuer am 1. Januar 2014 in Kraft treten. Nach Merkels Willen sollen die EU-Finanzminister bis März einen endgültigen Vorschlag für die Steuer machen.

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