The Spectator ist das älteste noch immer existierende politische Magazin der Welt, es hat in seiner 196-jährigen Geschichte verlorene Gerichtsprozesse, politische Machtkämpfe, Boris Johnson als Chefredakteur und andere Krisen überlebt, darunter interne Skandale, die ihm den Spitznamen „Sextator“ einbrachten. Aber das jüngste Kapitel ist noch mal eine ganz andere Herausforderung. Dieses Kapitel heißt Paul Marshall. Der Brite hat das konservative Wochenmagazin am Dienstag für 100 Millionen Pfund gekauft.
Marshall, 1959 in London geboren und später in Oxford ausgebildet, ist mit Hedgefonds reich geworden. Sein Geld verwendete er zum einen wohltätig, wofür er 2016 zum Ritter geschlagen wurde; zum anderen unterstützte er erst die Liberaldemokraten, dann die Tories finanziell, letztere vor allem bei deren Brexit-Kampagne. In der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde seine Familie aber nicht wegen seiner Umtriebigkeit, sondern wegen des Erfolgs seines Sohnes Winston, der in der Folkband Mumford & Sons spielte.
In die Medienbranche stieg Paul Marshall erst vor vier Jahren richtig ein, als er zehn Millionen Pfund in den damals neu gegründeten Kanal GB News steckte. Nigel Farage, Mitgründer und Abgeordneter der rechten Reform-UK-Partei, hat dort eine eigene Show. Der Populist ist die prominenteste Figur auf dem Fernseh- und Radiosender, aber nicht mal die umstrittenste. Bei der britischen Medienaufsichtsbehörde Ofcom gingen in der jungen Geschichte des Senders, der sich auf freie Meinungsäußerung beruft, bereits Tausende Beschwerden ein. Marshalls Sender werden unter anderem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie und Trans-Feindlichkeit vorgeworfen. Das alles alarmiert nun die Kritiker des Spectator-Geschäfts. Ein Tory-Abgeordneter sagte der Financial Times dazu, Marshall plane eine „neue Form des Trumpismus im Vereinigten Königreich“.
Marshall will den konservativen und rechten Teil von Großbritanniens Medienlandschaft dominieren
Der Kauf des Spectator (Auflage etwa 98 000) ist für Marshall ein weiterer Schritt auf seinem Weg, den konservativen und rechten Teil von Großbritanniens Medienlandschaft zu dominieren. Neben GB News und nun dem Spectator gehört ihm die Website Unherd, als Nächstes will er The Daily Telegraph und Sunday Telegraph zu übernehmen.
Überhaupt möglich geworden sind die Übernahmen des Spectator und eventuell des Telegraph nur, weil deren Vorbesitzer in Schwierigkeiten geraten sind. Die britische Barclay-Familie hatte die Telegraph Media Group 2004 und ein Jahr später auch den Spectator gekauft (für ein Fünftel des jetzt gezahlten Preises). Im Frühjahr 2023 aber verlangte die Bank Lloyds von der Familie, Schulden in Höhe von 1,2 Milliarden Pfund zurückzuzahlen. Das gelang den Briten nur dank eines Darlehens der Firma Redbird IMI aus Abu Dhabi.
Deren Mitbesitzer ist Mansour bin Zayed Al Nahyan, dem nebenbei Manchester City gehört. Der Scheich hatte vor, die Telegraph Media Group Limited (Umsatz im Jahr 2022: 245 Millionen Pfund, Gewinn: 30 Millionen) und den Spectator zu übernehmen, scheiterte aber an politischen Widerständen in London. Schließlich wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das verhindern soll, das ausländische Regierungen britische Medien übernehmen.
So kam nun Paul Marshall zum Zug. Sein Sohn übrigens spielt längst nicht mehr bei Mumford&Sons. Nach seinem Ausstieg hat er Anfang 2022 einen eigenen Podcast gestartet – beim Spectator.