Süddeutsche Zeitung

Sozialpolitik:Wirtschaftsweise kritisieren SPD-Reformpläne

  • Wirtschaftsweise Christoph Schmidt stört vor allem, dass ältere Arbeitnehmer das Arbeitslosengeld I nach Willen der SPD drei Jahren lang beziehen dürfen sollen.
  • Die SPD schicke sich an, "das arbeitsmarkt- und rentenpolitische Rad wieder zurückzudrehen", sagt Schmidt.
  • Wirtschaftsweise Peter Bofinger meint, man solle auch beim Mindestlohn behutsamer vorgehen und erst mal einen Mindestlohn von zehn Euro erreichen.

Von Hendrik Munsberg

Schon lange hat man SPD-Chefin Andrea Nahles nicht so aufgekratzt gesehen wie in diesen Tagen. Seit ihre Sozialdemokraten das Konzept "Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit" einstimmig billigten, freut Nahles sich über jede Kritik - wenn sie von außen kommt. Das schweißt die SPD wieder zusammen. "Wir haben uns positioniert", frohlockt Nahles: "Wenn die anderen sich dran reiben? Gut!"

So gesehen dürfte die SPD-Chefin auch die folgende Fundamentalkritik eher begrüßen. Sie kommt vom Chef der sogenannten Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt. Seit sechs Jahren ist er Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Als einer der wichtigsten ökonomischen Berater der Bundesregierung erhebt Schmidt etliche Einwände gegen die SPD-Beschlüsse - ihn stört vor allem, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für ältere Arbeitnehmer künftig auf fast drei Jahre ausgedehnt werden soll; so planen es die Sozialdemokraten, wenn Beschäftigte 30 Jahre oder länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Schmidt fällt dazu ein klares Urteil: Die SPD schicke sich an, "das arbeitsmarkt- und rentenpolitische Rad wieder zurückzudrehen".

Zur Begründung sagt der Wirtschaftsweise: Die "lange Bezugsdauer von Arbeitslosengeld" sei "ein Problem" gewesen, das mit den "Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010" überwunden worden sei. Bis dahin sei "das allzu häufig als eine recht auskömmliche Brücke in die Rente missbraucht" worden. Für eine alternde Gesellschaft sei dies aber "der falsche Weg", sagt Schmidt und fügt hinzu: "Mir scheint, dass die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit mittlerweile völlig in Vergessenheit geraten sind, als die Wirtschaftspolitik noch verzweifelt nach Wegen gesucht hat, einen gewaltigen Sockel an Langzeit-Arbeitslosigkeit abzubauen." Schmidt prognostiziert negative Folgen für die Alterssicherung: Werde das Arbeitslosengeld wieder länger gezahlt, könne dies dazu führen, "dass das Rentenalter weniger schnell ansteigt als durch den demografischen Wandel erforderlich" sei.

Bofinger hält eine sprunghafte Erhöhung des Mindestlohns für riskant

Auch das "Arbeitslosengeld Q" lehnt der Wirtschaftsweise ab. Das erhalten nach dem Willen der SPD künftig diejenigen, "die nach drei Monaten im ALG-I keine neue Arbeit gefunden haben"; für sie ist ein Anspruch auf Qualifizierung geplant, also auf Weiterbildung. Die Hilfe soll finanziell der Höhe des Arbeitslosengelds I entsprechen, würde aber die ersten zwölf Monate gar nicht und danach nur zur Hälfte auf die Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs angerechnet. Für Schmidt ist das "keine überzeugende Idee", er rät dazu, bei der heutigen Regelung zu bleiben: Er halte viel "von der Leistung der Arbeitsagenturen, die maßgeschneidert auf die Kompetenzen der Beschäftigungsuchenden das Prinzip des 'Förderns und Forderns' umsetzen". Dazu, so Schmidt, gehöre auch Weiterbildung. Dieses System stelle die SPD aber "auf den Kopf", wenn sie künftig "neue Anrechte auf eine längere Phase außerhalb des Arbeitsmarkts" schaffe.

Überraschend springt Schmidt an dieser Stelle Peter Bofinger bei, auch er gehört zu den fünf Wirtschaftsweisen. Bofinger gilt aber als eher arbeitnehmerfreundlich, weshalb er und Schmidt in arbeitsmarktpolitischen Fragen nicht selten geteilter Meinung sind. Doch auch Bofinger warnt die SPD: Beim Arbeitslosengeld Q sei darauf zu achten, "dass man die Leute nicht zu lange in Qualifikationen hält", diese seien "oft nicht besonders gut". Bofinger mahnt: Wichtig sei, dass die Weiterbildung in "qualifizierten" Einrichtungen stattfinde, "damit man die Leute nicht ins Unglück stürzt. Sonst verbringen sie irgendwo zwei Jahre und haben nichts Vernünftiges gelernt."

Auch zur SPD-Forderung, den Mindestlohn von heute 9,19 auf zwölf Euro anzuheben, verbindet Schmidt und Bofinger eine kritische Haltung. Bofinger findet den derzeitigen Mindestlohn zwar "eindeutig zu niedrig." Er würde "versuchen, schneller zehn Euro zu erreichen". Er empfehle aber behutsames Vorgehen. "Jetzt ad hoc auf zwölf Euro zu gehen", halte er "für riskant". Schmidt warnt ebenfalls: "Die vergangenen Jahre waren eine Phase günstiger konjunktureller Bedingungen, das muss aber nicht so bleiben." Die Einschätzung, selbst bei einer Höhe von zwölf Euro gäbe es keine negativen Wirkungen, könne er "angesichts der Wirkung von Lohnerhöhungen auf Beschäftigung nicht nachvollziehen - gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht".

Da aber endet die Gemeinsamkeit der zwei Weisen. Anders als Schmidt begrüßt Bofinger den SPD-Plan, die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld auszudehnen. Er sagt: "Ich finde es richtig, dass man beim Arbeitslosengeld berücksichtigt, wie lange Leute eingezahlt haben. Und dass man versucht, den Absturz in Hartz IV abzufedern." Ohnehin glaubt Bofinger, die "Erfolgsgeschichten, wie toll Hartz IV gewirkt hat, seien völlig überzogen". Es gebe da "viel Folklore". Andrea Nahles wird das gern hören, erst recht aus dem Mund eines Ökonomen, der einem anderen Ökonomen widerspricht.

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SZ vom 13.02.2019/lüü
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