Sparkurs in Europa:Kritische Fragen an Mario Draghi

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Draghi war Merkels letzter großer Verbündeter im Konflikt mit den Schuldenstaaten. (Foto: AP)

Kanzlerin Angela Merkel befürchtet, der EZB-Präsident könnte das europäische Spardiktat aufweichen - deswegen greift sie zum Hörer und ruft Mario Draghi einfach an. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, denn die Unabhängigkeit von Notenbanken ist ein hohes Gut.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Die Unabhängigkeit von Notenbanken ist für deutsche Politiker ein hohes Gut. Über Jahrzehnte sind sie gut damit gefahren. Also muss etwas Besonderes passiert sein, wenn die Kanzlerin beim Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) anruft, um ihm kritische Fragen zu stellen.

Geschehen ist das in der vergangenen Woche, wie der Spiegel berichtet. Anlass für den Anruf von Angela Merkel war eine Aussage von Mario Draghi, die dieser beim Notenbanken-Treffen von Jackson Hole gemacht hatte. Er forderte "eine wachstumsfreundlichere Gestaltung der Finanzpolitik" in Europa, diese müsse "eine größere Rolle" im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit spielen.

Die Aussage war bemerkenswert. Sie konnte wie eine Kehrtwende Draghis interpretiert werden. Offenbar befürwortet er, dass die Staaten ihren Sparkurs aufgeben und Geld ausgeben, um die Konjunktur anzukurbeln. Diese macht dem EZB-Präsidenten zunehmend Sorge. Europas Wirtschaft droht in eine Spirale aus sinkenden Preisen abzurutschen.

Merkel fragte Draghi dem Vernehmen nach, wie er die Aussage gemeint habe. Ob sie eine Abkehr von dem Sparkurs bedeute, den die EZB bisher ebenso verfocht wie die Bundesregierung. Draghi war Merkels letzter großer Verbündeter im Konflikt mit den Schuldenstaaten, zuletzt besonders mit Italien und Frankreich. Diese müssten sparen, ihre Haushalte in Ordnung bringen, die europäischen Schuldenkriterien einhalten, Wirtschaftsreformen angehen.

Die Länder dagegen ächzen unter dem Spardiktat und würden lieber Wachstumsprogramme auf den Weg bringen. Wenn sich Draghi nun auf ihre Seite stellt, hätte Merkel ihren letzten großen Verbündeten verloren. Entsprechend groß war der Beifall aus Italien und Frankreich für den EZB-Präsidenten, und entsprechend groß ist die Sorge der Kanzlerin.

Von einem Kurswechsel könne keine Rede sein

Draghi ließ sich in dem Telefongespräch offenbar nicht festlegen. Er wies darauf hin, dass er in seiner Rede auch Strukturreformen der Schuldenstaaten angemahnt habe. Von einem Kurswechsel könne deshalb keine Rede sein. Dieselbe Botschaft soll Draghi in einem Telefonat auch an Finanzminister Wolfgang Schäuble übermittelt haben.

Auch wenn der EZB-Präsident gegenüber Merkel und Schäuble beschwichtigte, seine Worte sind in der Welt. Offensichtlich ist seine Sorge um die europäische Konjunktur so groß geworden, dass er teure Wachstumsprogramme für nötiger hält, als strenge Sparauflagen einzuhalten. Das könnte bedeuten, dass er die Vorgaben gegen Italien und Frankreich lockern möchte, ohne gleich den Euro-Stabilitätspakt infrage zu stellen. Er sähe es wohl auch gerne, wenn aus Deutschland mehr Geld käme, um die schlingernden Länder zu unterstützen. Für Merkel wird es damit schwieriger, ihren Sparkurs in Europa durchzuhalten. Da kann man schon mal zum Hörer greifen.

© SZ vom 01.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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