Sparinstrument:Wieder nach unten

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Die Verzinsung der klassischen Verträge wird 2020 sinken. Die Gutschriften fallen deutlich geringer aus.

Von Herbert Fromme und Patrick Hagen, Köln

Die klassische Lebensversicherung wird oft totgesagt - aber in den Versicherungsordnern und Schreibtischschubladen von Millionen Deutschen ist sie sehr lebendig. Von den bestehenden 87 Millionen Lebens- und Pensionsversicherungen sind 46 Millionen "klassische" Verträge, dazu kommen etwa elf Millionen Policen, bei denen ein Teil der Prämie nach dem klassischen System verwaltet wird.

Jahrzehntelang waren die klassischen Verträge das wichtigste Sparinstrument nach dem Sparbuch. Niedrige Beiträge, entsprechend kleine Auszahlung, Steuervorteile, Mindestlaufzeit zwölf Jahre. Inzwischen gilt der Steuervorteil nur noch für die Hälfte der Erträge. Die durchschnittliche versicherte Summe pro Vertrag beträgt 22 000 Euro. Viele haben mehrere Policen - eine hat die Kollegin verkauft, die nebenberuflich für einen Finanzvertrieb arbeitet, die andere der Kumpel im Sportverein, der im Hauptberuf Vertreter ist.

Bei klassischen Verträgen garantieren die Versicherer die Verzinsung für die gesamte Vertragslaufzeit. Aktuell dürfen sie für Neuverträge höchstens 0,9 Prozent zusagen, das legt die Bundesregierung fest. In der Spitze waren es in den Neunzigerjahren vier Prozent. Allerdings: Im Durchschnitt werden nur rund 90 Prozent des Kundengelds verzinst - der Rest geht für Vertriebs- und Verwaltungskosten drauf.

Wer einen alten Vertrag mit vier Prozent, 3,25 Prozent oder 1,75 Prozent hat, sollte ihn bis zur Auszahlung oder zum Rentenbeginn durchhalten, raten Verbraucherschützer. Anders ist das bei Verträgen, die er oder sie in den vergangenen zwei Jahren mit 0,9 Prozent oder ohne Garantie abgeschlossen hat. Da lohnt sich die Prüfung mithilfe eines unabhängigen Beraters (nicht eines Vertreters oder Maklers), ob es bessere Vorsorgemöglichkeiten gibt.

Wer eine Police hat, muss sich auf schlechte Nachrichten gefasst machen. Die Überschussbeteiligungen werden 2020 wieder sinken, erwarten Experten. "Wir rechnen damit, dass sie für 2020 wieder nach unten geht", sagt Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata.

Schon in den vergangenen Jahren fielen die Gutschriften Jahr für Jahr niedriger aus. Für 2019 gab es erstmals etwas bessere Nachrichten: Die Talfahrt schien gestoppt zu sein, ein Großteil der Anbieter hielt die Werte stabil. Über alle Produkt- und Tarifgenerationen beträgt die laufende Verzinsung laut Assekurata 2019 im Durchschnitt 2,84 Prozent. Wer eine höhere Garantie hat, bekommt die. Aber nach der jüngsten Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank hat sich die Lage für die Lebensversicherer noch einmal verschärft. Im November geben die ersten Anbieter die Verzinsung für 2020 bekannt.

Für die Versicherer war die klassische Police jahrzehntelang der Renner - auch weil sie sich von den Kunden über die hohen Provisionen ihre Vertriebe bezahlen lassen konnten. Und die Garantiezinsen waren damals ein wichtiges Instrument im Wettbewerb mit Banken und Fondsgesellschaften.

Heute hat die Branche Probleme, diese einst vollmundig gegebenen Zusagen ("japanische Zinsverhältnisse sind in Deutschland unmöglich") einzulösen. Es fällt ihr schwer, am Kapitalmarkt die nötigen Renditen zu erzielen. Außerdem binden die klassischen Policen sehr viel Kapital.

Bei manchen Angeboten denken Versicherer vor allem an ihre eigenen Interessen

Manche Konzerne verkaufen ihre Bestände einfach an Finanzinvestoren. Der größte Deal war bisher der 2018 vollzogene Verkauf der Generali Lebensversicherung mit etwa vier Millionen Verträgen an eine Gesellschaft, die dem Londoner Investor Cinven und der Hannover Rück gehört. Im Neugeschäft setzen die Gesellschaften inzwischen meist auf Lebensversicherungen ohne feste Zinsgarantie. Fällt die Garantie weg oder ist reduziert, sinkt auch der Kapitalbedarf für den Versicherer - weil der Kunde jetzt selbst den größten Teil des Risikos trägt. Angesichts der Zinssituation sollten Kunden sich fragen, ob sie wirklich eine feste Garantie über einen Zeitraum von 30 Jahren brauchen, rät Heermann von Assekurata. "Es wird immer Leute geben, die sich für die Garantien entscheiden, aber man sollte sich die Frage schon stellen."

Achtung: Bietet ein Versicherer an, den alten "langweiligen" Vertrag mit Zinsgarantie gegen eine wundervolle, sexy Police mit "viel Potenzial nach oben wegen des Aktienmarktes" zu tauschen, hat er vor allem seine eigenen Interessen im Auge - nicht die seiner Kunden.

Im Klassik-Neugeschäft der Versicherer spielen Einmalbeiträge eine immer wichtigere Rolle: Kunden sparen nicht regelmäßig, sondern zahlen einmal eine Summe ein - entweder, um damit eine bald beginnende Privatrente zu finanzieren, oder um sich die Summe nach einigen Jahren gut verzinst wieder auszahlen zu lassen. 2018 zahlten Kunden auf diese Weise 27,5 Milliarden Euro als Einmalbeitrag ein. Problematisch wird das dann, wenn die bestehenden Kunden diese Neukunden beim Zins subventionieren.

© SZ vom 15.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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