Süddeutsche Zeitung

Sparclubs:Flüssig bleiben

Einst standen Sparschränke in vielen Kneipen etwa im Ruhrgebiet. Doch heute steht die alte Malochertradition der "Sparklubs" vor dem Aus.

Von Janis Beenen, Dortmund

Der Kalauer hält sich. "In der Kneipe gibt es mehr Prozente", scherzen Mitglieder von Sparklubs. Schon dieser Witz zeigt, wie es um die Tradition steht. Er hat seine Doppeldeutigkeit verloren. Längst gibt es Prozente nur noch im Bier und nicht mehr beim Sparzins. Genau wie der Gag scheint das gemeinsame Sparen von Stammtischen überholt zu sein. Nachwuchs fehlt, die Sparkassen stellen Sonderkonditionen für solche Gruppen ein. Nach mehr als 100 Jahren gerät die Tradition der Arbeiter in Vergessenheit. Eine Tradition, die eigentlich so gut zum Bild des fleißigen deutschen Sparers passt.

Anfang des 20. Jahrhunderts sei das Sparen im Verein besonders aufgekommen, sagt Thorsten Wehber vom Sparkassenhistorischen Zentrum beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Arbeiter im Norden, dem Rheinland und dem Ruhrgebiet stellten in ihren Gaststätten Sparschränke auf. Die Blechkästen bestehen aus etlichen kleinen Fächern, in welche die Mitglieder Woche für Woche einen Mindestbetrag werfen. Eine, vielleicht zwei Münzen. Die Hoffnung auf ein bisschen Wohlstand lebte am Tresen der einfachen Wirtshäuser. Anfangs taten sich die Hafenarbeiter oder Bergleute aus Not zusammen. Die Öffnungszeiten der Sparkassen lagen für viele ungünstig. Die Einzahlung von Kleinstbeträgen lohnte sich ohnehin kaum. Also sammelte ein Kassenwart das Geld von allen und brachte es regelmäßig zur Bank.

"Dabei ging es auch um Schutz vor sich selbst", sagt Wehber. Wenn sich die Kollegen gegenseitig motivieren, etwas zurückzulegen, tauschen sie nicht gleich die ganze Lohntüte in Doppelkorn um. Der Kasten neben dem Zapfhahn entwickelte sich zum Sparschwein der Malocher. Die Regeln der Runden bleiben streng. Mehr als der fixe Betrag ist gerne gesehen. Wer nicht zahlt, muss eine Strafe blechen. Bis zur feierlichen Auszahlung am Ende eines jeden Jahres ist Disziplin gefragt.

Die beste Zeit hatten die Klubs in den Sechzigerjahren. Der Sparkassen- und Giroverband im Rheinland zählte 12 600 Vereine mit einer halben Million Mitglieder. Offizielle Daten für ganz Deutschland gibt es nicht. Mittlerweile melden aber fast alle Sparkassen, dass die Zahl der registrierten Vereine seit Jahren stark rückläufig ist. Einst konnten die Institute neue Kunden gewinnen, indem sie den Gruppen einen kleinen Zusatzzins in Aussicht stellten.

Nach und nach ist mit diesen Sonderkonditionen Schluss. 2019 folgt für manche der nächste Schlag, unter anderem in Essen. Noch 300 Sparklubs führt die dortige Sparkasse. Finanzielle Anreize gibt es nicht mehr, und von Januar an fällt noch der Versicherungsschutz bei Einbrüchen für die verbliebenen Sparschränke weg. Das Geschäft lohnt sich nicht mehr. Zu viel hat sich getan, Gasthäuser haben ihren Stellenwert verloren: Schließlich wurde der Fernseher Massenware, das Rauchverbot kam und das Online-Banking auch. Wer Geld zurücklegen will, braucht keine Kneipe und keine Freunde mehr.

Dennoch halten sich einige Runden, manche haben Reichs- und D-Mark überdauert. Im Großraum Duisburg etwa existiert die alte Welt noch. 750 Klubs zählt die Sparkasse und bedenkt diese ab 5000 Euro Guthaben mit plus 0,3 Prozent auf den üblichen Zins. Keine große Sache, aber immerhin eine Geste an die Treuen.

"Wer richtig sparen will, legt sein Geld woanders an", sagt Oliver Voorter. Der 49-Jährige führt seit 17 Jahren einen Sparklub in einem Vorort von Krefeld. Ist die Idee nur noch ein Spaß? Na ja. Sein Klub sei familiär, sagt Voorter. Es geht um Geselligkeit, aber weiter auch um Geld. Keine Riesenbeträge, dreistellige Summen dürften es für jeden jährlich sein. "Einige gönnen sich von dem Geld eine Kleinigkeit", sagt Voorter. Wie üblich bleibt ein Teil für das Fest zur Auszahlung - mit lecker Bierchen und Buffet. Es ist der Höhepunkt im Dasein des Sparklub-Sparers.

Wie die Freudentage bleiben auch die Sorgen die gleichen. Mancher Runde ist damals wie heute der Kassenwart nach der wöchentlichen Leerung des Sparschranks durchgebrannt. "Bei uns darf man nur zu Zweit an die Fächer", sagt Voorter. Alles muss seine Ordnung haben. Wer drei Wochen nicht spart, fliegt raus. Vorher gebe es aber noch eine nette Erinnerungs-SMS des Vereinsvorsitzenden, sagt Voorter. Ein bisschen Moderne hilft sogar dem alten Brauch. Die Letzten in der Szene stimmt das zuversichtlich. Zumindest ihr Spruch "In der Kneipe bleibst Du flüssig" soll so herrlich doppeldeutig bleiben.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2018
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