Spaniens Wirtschaft:Die Krise bebt noch nach

FILE PHOTO: Workers assemble vehicles on the assembly line of the SEAT car factory in Martorell

Profitieren vom Aufschwung: der Autobauer Seat und seine Angestellten.

(Foto: REUTERS)

Das Wachstum hält an, es gibt wieder mehr Stellen. Dennoch müssen viele trotz guter Ausbildung in Hilfsjobs mit befristeten Verträgen arbeiten. Und es lauern neue Gefahren. Eine Bilanz am Wahltag.

Von Leila Al-Serori

Selbst die U-Bahn-Station Sol im Madrider Zentrum musste beim Sparen helfen. So stiegen die Madrilenen von 2013 bis 2016 in "Sol Vodafone" aus, wenn sie den Hauptplatz, die Puerta del Sol, besuchen wollten. Der britische Mobilfunkriese Vodafone blätterte dafür drei Millionen Euro hin - was die hochverschuldete Stadt dankend annahm, trotz lautstarken Murrens in der Bevölkerung.

Die Umbenennung der U-Bahn-Station ist eine der ungewöhnlicheren Maßnahmen, mit denen Spanien versuchte, die anwachsenden Schulden nach der Wirtschaftskrise einzudämmen. Der Börsencrash und das Platzen der Immobilienblase 2008 trafen das Land schwer, Spanien schlitterte in die Rezession, die Arbeitslosigkeit stieg auf 27 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf 57 Prozent. Geld fehlte an allen Ecken und Enden, nicht nur im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt. Seit fünf Jahren geht es langsam wieder bergauf, Spanien verzeichnet derzeit sogar ein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent. Damit wächst es deutlich stärker als der EU-Durchschnitt.

Das hat natürlich weniger mit der umbenannten U-Bahn-Station zu tun als vielmehr mit dem harten Sparkurs, den der damalige Ministerpräsident Mariano Rajoy vom konservativen Partido Popular (PP) seinem Land verpasste. Er ließ Steuern erhöhen, Arbeitsgesetze lockern. Die Regierung ermöglichte den Unternehmen einseitige Lohnkürzungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Damit hat Rajoy die Wirtschaft wieder auf Kurs gebracht.

Unbezahlte Praktika für promovierte Physiker

Sowohl die Krise als auch das harte Sanierungsprogramm haben ihre Spuren hinterlassen. Die Gehälter stagnieren seit Jahren, jeder Fünfte ist von Armut bedroht. Eine ganze Generation von sogenannten Mileuristas entstand, Menschen, die in Vollzeit nur tausend Euro im Monat verdienen. Mehr als 800 000 junge Spanier verließen das Land seit Beginn der Krise wegen mangelnder Jobperspektiven. Einige sind wieder zurückgekehrt oder haben es in absehbarer Zeit vor. So wie der 30-jährige Physiker Juan Gónzalez, der in die USA auswanderte, nachdem er in Spanien trotz Doktortitel nur unbezahlte Praktika angeboten bekam. "Die Arbeitssituation hat sich verbessert, in meiner Familie haben nun alle wieder einen Job - auch wenn sie oft nicht mehr als den Mindestlohn erhalten", erzählt er.

Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit gesunken, aber mit 14,7 Prozent weit über dem Schnitt von acht Prozent im Euro-Raum. Viele, die nun wieder eine Stelle haben, arbeiten nicht ihrer Ausbildung entsprechend, sondern als Kellner oder Hilfsarbeiter mit befristeten Verträgen. Rajoys Nachfolger Pedro Sánchez von der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) kündigte deshalb an, die Auswirkungen des Sparprogramms sozial verträglicher machen zu wollen. Als ersten Schritt hat er den Mindestlohn um 22 Prozent auf 900 Euro im Monat für Vollzeitjobs angehoben.

Kritiker fürchten, dass das die Schaffung von Stellen gefährden könnte - und so den Aufschwung bremsen. Denn dieser steht auf wackeligen Beinen. Die spanischen Banken haben der Nationalbank zufolge immer noch faule Kredite im Wert von 72 Milliarden Euro. Haushaltsdefizit und Staatsschulden sind weiterhin hoch. Die EU-Kommission warnte Anfang des Jahres, Spanien habe zwar Fortschritte gemacht, aber nicht in dem Ausmaß, wie sich die EU das gewünscht hätte. Einen der Gründe sieht Brüssel in der politisch instabilen Lage, die nun zu den vorgezogenen Neuwahlen führte. Die Ratingagentur Standard & Poor's rechnet auf lange Sicht mit großen Problemen, die wegen der "Unfähigkeit der öffentlichen Hand, die anstehenden Herausforderungen der Wirtschaft anzugehen", auf Spanien zukommen könnten.

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