304 Seiten lang ist das Buch, das Jens Spahn über die Corona-Krise geschrieben hat. Es trägt den Titel, „Wir werden einander viel verzeihen müssen“. Wie ein Orkan sei die Pandemie übers Land gefegt. Der Ex-Gesundheitsminister berichte „sehr persönlich aus dem Zentrum des Orkans“, heißt es in der Werbung für das Buch.
Wesentlich kürzer und ganz nüchtern gehalten ist das Fazit, das der Bundesrechnungshof (BRH) dem Bundestag im Frühjahr in nicht öffentlicher Sitzung präsentiert hat. 31 Seiten, große Schrift, klare Aussagen. Titel: „Überblick und Schlussfolgerungen aus Coronaprüfungen“. Kerninhalt: Teure Fehler des Bundesgesundheitsministeriums – vor allem unter Spahn, der bis Ende 2021 im Amt war.
Wäre das, was der Rechnungshof da aufgelistet hat, ein Schulzeugnis – es fiele ziemlich schlecht aus für den CDU-Politiker. Teilweise mangelhaft bis ungenügend war vor allem die Kontrolle über die vielen Ausgaben des Ministeriums in der Corona-Krise. Maßnahmen gegen das Virus im Umfang von 62,5 Milliarden Euro hat der Rechnungshof geprüft, weitere Untersuchungen laufen noch.
So prüft der Rechnungshof etwa, ob die Bedarfsanalyse des Ministeriums bei der Impfstoffbeschaffung angemessen war. Aber alleine schon die bisherigen Prüfergebnisse fallen ernüchternd aus. Nach Ansicht des BRH hat das Ministerium weit mehr Geld ausgegeben, als nötig gewesen wäre, um die Bevölkerung so gut wie möglich vor dem oftmals tödlichen Virus zu schützen.
Der BRH nimmt seine Bilanz auch zum Anlass für grundsätzliche Tipps, wie die Bundesregierung am besten mit den sich häufenden Krisen umgehen solle. „Hals über Kopf?“ Besser nicht. „Klare Regeln sind nötig – und auch in Krisen möglich“, schreibt die Behörde. Unbürokratische Hilfen für das Volk bedeuteten nicht, dass es keine Regeln gebe; dass der Staat also nicht genau hinschauen müsse.
Das Corona-Fazit des Rechnungshofes ist somit zugleich eine Maßgabe für Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD), über dessen Amtszeit auch die ein oder andere kritische Anmerkung fällt, und überhaupt eine Lektion für die ganze Regierung. Nicht nur bei Corona rügt der Rechnungshof einen allzu laxen Umgang mit Steuergeld.
Corona-Hilfen als verkappte Subventionen für kranke Krankenhäuser
Der Rechnungshof hat seine 31-Seiten-Bilanz am 24. April dem Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags übermittelt. Das Dokument liegt der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR vor. Die Finanzkontrollbehörde hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche kritische Berichte zu einzelnen Vorgängen veröffentlicht. Jetzt liegt eine bislang noch unveröffentlichte Gesamtbilanz der bisherigen Untersuchungen vor; samt Ausblick.
Mehr als 100 Milliarden Euro hat das Gesundheitsministerium dem Dokument zufolge von 2020 bis 2023 ausgegeben, um dem Virus beizukommen. Für knapp zwei Drittel der Ausgaben, jene bereits erwähnten 62,5 Milliarden Euro, liegen Prüfergebnisse vor. Mit die härteste Kritik gilt den fast 18 Milliarden Euro teuren Corona-Tests vor allem bei privaten Teststationen. Der Rechnungshof moniert überhöhte Vergütungspauschalen und unzureichende Kontrollmöglichkeiten. Das führe zu einer „Missbrauchsgefahr“.
Wie wahr. Polizei und Staatsanwaltschaften haben viel zu tun, um all den Verdachtsmomenten auf Betrug nachzugehen. Schäden in Höhe von insgesamt mehr als eine Milliarde Euro könnten hier entstanden sein. Erste Gefängnisurteile sind bereits ergangen. Hinzu kommen 4,4 Milliarden Euro, die der Staat bis 2023 für Corona-Tests in Pflegeheimen ausgegeben hat. „Auszahlung erfolgte ohne Anforderung von Belegen“, rügt der Rechnungshof und sieht auch hier eine „Missbrauchsgefahr“.
Der nächste große Brocken sind die 18,6 Milliarden Euro, die das Gesundheitsministerium laut Dokument den Krankenhäusern zahlte. Als Ausgleich dafür, dass Kliniken Behandlungen verschoben, um Platz zu schaffen für die Versorgung von Covid-19-Fällen. Das Ministerium habe hier mehr gegeben, als Krankenhäusern tatsächlich an Einnahmen entgangen sei. „Überkompensation“ lautet das Stichwort. Damit seien „ineffiziente Klinikstrukturen“ gefestigt worden. Letztlich war das nach Ansicht des Rechnungshofes also teilweise ein Rettungsprogramm für wirtschaftlich kranke Krankenhäuser, um diese künstlich am Leben zu halten.
Was noch auffällt, ist der sogenannte Pflege-Rettungsschirm von 2020 bis 2022 in Höhe von 7,3 Milliarden Euro für Pflegeheime. Der Rechnungshof rügt fehlende Nachweise, was mit dem vielen Geld geschehen sei. Nur bei jedem zehnten Förderantrag sei vorgeschrieben gewesen, dass solche Nachweise hätten vorgelegt werden müssen. Weniger Kontrolle geht kaum. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Kauf und bei der Verteilung von Corona-Schutzmasken und anderer Ausrüstung zur Abwehr des Virus; darunter Kittel und Handschuhe; aber auch Beatmungsgeräte.
Ein Ratschlag des Rechnungshofes: Von Anfang an für Kontrollen sorgen
Bei diesem Punkt rügt der BRH besonders hart. Er bemängelt „massive Überbeschaffung weit über Bedarf“, hohe Lagerbestände ohne Nutzen für den Kampf gegen die Pandemie, „nachträgliche Einstufung als Verschlusssache ohne hinreichende Begründung“, die unzureichende Dokumentation der Vorgänge und vieles mehr. Und er thematisiert die Verteilung von Schutzmasken an besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen (alte Menschen, chronisch Kranke) durch die Apotheken. „Vergütung an Apotheken fast viermal so hoch wie der Einkaufspreis der Masken“, schreibt der Rechnungshof. Die Masken seien damals „im Einzelhandel zu einem Bruchteil der für die Apotheken angesetzten Erstattungsbeträge angeboten“ worden, teilte der BRH jetzt auf Anfrage ergänzend mit.
Der Rechnungshof nimmt die Gesamtschau dessen, was da alles schiefgelaufen ist, zum Anlass für ein staatspolitisches Einmaleins. Für künftige Krisen sei eine „angemessene Vorsorge“ wichtig. Zum Beispiel: „Verwaltungshandeln umfassend dokumentieren und transparent machen.“ Oder: Von Anfang an für Kontrollen sorgen, was mit dem Geld geschieht, und so „Missbrauchsmöglichkeiten minimieren“. Das liest sich auch wie eine eindringliche Mahnung an Spahns Nachfolger Lauterbach, unter dessen Leitung das Gesundheitsministerium mitunter sehr verschlossen ist. Insbesondere bei der Aufarbeitung von Spahns Maskenkäufen.
Krisen gibt es inzwischen zuhauf, und Hilfsprogramme des Staates für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen ebenfalls. Der Rechnungshof prüft weiter, etwa bei der Energiepreisbremse. Und beim Kurzarbeitergeld, das die Bundesagentur für Arbeit zahlt, gibt es bereits ein Fazit: „Bei massenhafter Inanspruchnahme erhebliche Schwächen und hoher Verwaltungsaufwand“, schreibt der BRH. Hinweise auf Missbrauch würden nicht systematisch erfasst und zügig bearbeitet.
Das erinnert an den Umgang mit der Corona-Krise, aus der Ex-Minister Spahn ebenfalls Schlussfolgerungen zieht. „Aus den Berichten des Bundesrechnungshofes zu Masken-Beschaffungen lässt sich für künftige Pandemien lernen“, teilte der Ex-Minister jetzt auf Anfrage mit. Spahn hat wiederholt erklärt, es sei damals um den Schutz von Menschenleben gegangen. Angesichts eines „dramatischen Mangels“ an Masken seien Kliniken, Pflegekräfte und Ärzte in großer Not und Sorge gewesen. Die Regierung habe diese Notlage beheben können.
Auf seiner Homepage beschreibt Spahn den Inhalt seines Buches unter anderem wie folgt: „Wie funktioniert Politik in einer neuartigen Krise? Welche Fehler wurden gemacht, auch von mir? Hierauf versuche ich rückblickend Antworten zu geben.“ Zugleich wolle er den Blick nach vorne richten. Die Lehren aus der Corona-Krise seien vielfältig und für den Umgang mit gegenwärtigen sowie künftigen Krisen essenziell. „Nur wenn wir aus den Erfahrungen die richtigen Schlüsse und Entscheidungen ziehen, haben wir die Chance in zukünftigen Krisen besser zu werden.“ Zumindest in diesem Punkt dürften sich der Rechnungshof und Spahn einig sein.