Die größte Kraft der Nudel liegt darin, dass sie Identität stiftet. Ein so einfaches Lebensmittel, in reinster Form nur aus Mehl und Wasser bestehend, ist in der Lage, Nationen in Aufruhr zu bringen, wenn damit Schindluder getrieben wird. Das muss derzeit auch der US-Lebensmittelriese Heinz feststellen. Feierlich kündigte der Dosennahrungsspezialist an, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen: Spaghetti Carbonara in Dosen, 400 Gramm, „reichhaltig und cremig“, das man auch gut auf einem Toast verzehren könne. Und viele Italiener sind fassungslos.
Alessandro Pipero, Besitzer des römischen Sternerestaurants „Pipero Roma“ und ausgewiesener Carbonara-Experte, verglich diese fragwürdige Produktinnovation in der britischen Times direkt mit Katzenfutter. In den Kommentarspalten auf Social Media tun Italiener ihren Unmut kund. Einige wählen direkt einen konstruktiveren Ansatz und kündigen an, für die Vergebung der Sünden der Erfinder beten zu wollen.
Nun gehört das rituelle Entsetzen über internationale Verfehlungen mit italienischen Gerichten mittlerweile ebenso zur Esskultur wie der Stolz auf all die wunderbaren Speisen, die diese Küche international so beliebt machen. Instagram-Accounts wie „Italians mad at Food“ teilen mit ihrer leicht erregbaren Followerschaft kulinarische Obszönitäten, die weltweit mit Spaghetti Carbonara, Ragù alla bolognese oder der Pizza verbrochen werden. Eine Carbonara, dazu noch mit Milchpulver auf der Zutatenliste, ist demnach Frevel in Dosen.
Dass andere Nationen damit weniger Probleme haben, zeigt die Vielfalt der Dosengerichte, die es seit der Erfindung der Konservendose Anfang des 19. Jahrhunderts auf den Markt geschafft haben. Es gibt Cheeseburger in Dosen, ganze Hühner, den berühmten, wahnsinnig stinkenden schwedischen Surströmming (in Milchsäure gegorenen Hering), die mexikanische Spezialität Cuitlacoche (pilzbefallene Maiskörner), Pfannkuchen, Rinderrouladen und natürlich auch schon seit Langem Nudelgerichte aller Art – Lasagne etwa oder Nudeln mit Wurst, übrigens auch von Heinz.
Die Deutschen definieren sich mehr über Effizienz als über Kulinarik
Einige deutsche Spezialitäten wie der westfälische Pumpernickel, ein haltbares Roggenschwarzbrot, sind ohne Dose kaum noch vorstellbar. Leberkäs wird ebenfalls in Dosen verkauft, der Aufschrei hierzulande hält sich allerdings in Grenzen. Vielleicht, weil die Deutschen sich noch mehr über ihre Effizienz definieren als über ihre kulinarischen Spezialitäten, und da kommt ein dosengepresster Fleischbrei zu Mittag gerade recht.
Etwas zu weit trieben es da aber dann doch die Erfinder eines Lebensmittels, das zwar in einer anderen Dosenart erschien, aber ein deutsches Traditionsgericht und ein Neuzeitgetränk vereinen sollte: der Energydrink mit Currywurstgeschmack. Dieses Experiment sollte sich überraschenderweise nicht als der erhoffte Erfolg herausstellen, selbst bei der kulinarisch strapazierfähigen deutschen Zielgruppe. Rezensenten im Internet merkten nach der Verkostung an, ihnen sei es „noch nie im nüchternen Zustand so schlecht“ gegangen, einer warnte: „verursacht ekelhaftes Sodbrennen“. Dann doch lieber Carbonara aus der Dose.