Süddeutsche Zeitung

Kiezkultur:Besser Späti als nix

  • Die etwa 9000 Berliner Späti-Betreiber kämpfen um den Erhalt ihrer Kioske.
  • Viele von ihnen haben sonntags geöffnet, obwohl das Ladenöffnungsgesetz das nicht erlaubt - und nehmen dafür sogar Bußgelder in Kauf.
  • Es steht nicht weniger auf dem Spiel als das Berliner Lebensgefühl.

Von David Denk, Berlin

Das Leben in Berlin steckt voller Überraschungen. Sonntage zum Beispiel. Kommen so plötzlich, dass man sich unmöglich drauf vorbereiten kann, durch einen Wochenendeinkauf etwa. Doch die Stadt kennt ihre Pappenheimer. Gleich um die Ecke warten von morgens früh bis abends spät, teilweise sogar rund um die Uhr, Männer und Frauen, die einen nicht im Regen stehen lassen, wenn Hunger und Durst groß sind, aber der Kühlschrank leer ist. Tampons, Käse, Bier, Tabak - alles da und alles nur erträglich teurer als im Supermarkt.

Ein Hoch auf den Späti (kurz für Spätkauf oder Spätverkauf), ein Hoch auf diese Säule der Berliner Kiezkultur! Während in München ein neues Einkaufszentrum mit "Shopping bis 20 Uhr" wirbt, gilt in der Hauptstadt: Kommste heut nicht, kommste morgen, gehste innen Späti. Die Spätis wurden einst zur Versorgung von Schichtarbeitern in der DDR erfunden und seit 2017 im Duden verewigt.

Beleuchtung ausgeschaltet, Ladentür offen

Neuerdings sind Wochentage aber auch in Berlin nicht mehr ganz so relativ. Denn in der vergangenen Woche hat das Verwaltungsgericht noch mal klargestellt, dass Spätis sonntags grundsätzlich geschlossen bleiben müssen, seien sie doch "typischerweise allgemein und unspezifisch auf die Versorgung der näheren Umgebung und nicht auf den spezifischen Bedarf von Touristen ausgerichtet". Auf eine entsprechende Ausnahme im Berliner Ladenöffnungsgesetz hatte sich die Klage der Inhaberin eines Spätis im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf berufen. Sie hatte ihren Laden im Jahr 2016 an mehreren Sonntagen geöffnet, was ihr vom zuständigen Bezirksamt untersagt wurde. Weil sie auch Spirituosen in großen Flaschen, Toastbrot oder Pfundpackungen Kaffee anbot, gelte die Ausnahme für sie nicht, entschied das Gericht.

Mit einer Fortsetzung des Widerstands der Späti-Betreiber ist auf jeden Fall zu rechnen: Viele ignorieren seit jeher die Rechtslage und haben sonntags zumindest "halb" geöffnet, was bedeutet, dass die Beleuchtung ausgeschaltet ist, aber die Ladentür offen. Bußgelder nehmen sie billigend in Kauf - wenn denn wirklich mal das Ordnungsamt vorbeischaut. Die Schwächen der Berliner Verwaltung zahlen sich für Späti-Betreiber in barer Münze aus. Vor drei Wochen rief der Verein "Späti e.V." unter dem Motto "Laden zu - Mund auf" zu einer Demo für die Lockerung des Ladenöffnungsgesetzes auf: "Wir fordern, dass das Gesetz modernisiert und an die Erfordernisse einer fortschrittlichen Stadt angepasst wird." Parallel liegt eine Petition in den rund 900 Berliner Spätis aus, mit der Anwohner sich für eine uneingeschränkte Sonntagsöffnung starkmachen können - und damit für die Art von Ort, an dem sie leben möchten.

Es geht um die Verteidigung eines Berliner Selbstbildes und Lebensgefühls, das zunehmend unter Druck gerät: Die Preise steigen, die Toleranz im öffentlichen Raum sinkt. Mit Geringverdienern, die sich die Mieten in den Innenstadtbezirken nicht mehr leisten können, möchte man ebenso wenig tauschen wie mit Kneipenwirten, die von Anwohnern bekämpft werden. Kreuzberger Nächte sind lang - aber bloß nicht vor meiner Haustür! Es steht einiges auf dem Spiel. Wenn die Politik nicht aufpasst und der freie Geist weiter geschliffen wird, ist Berlin am Ende doch nur eine Stadt in Deutschland. Wäre verdammt schade drum.

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SZ vom 06.07.2019/vit
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