Süddeutsche Zeitung

Sozialpolitik:Wie schlecht steht es um die Rente?

Deutschland diskutiert nach einem SPD-Vorstoß erneut über die Altersvorsorge. Aber sinkt die Rente wirklich immer weiter? Und wenn ja: Was kann man dagegen tun?

Von Valentin Dornis

Im Sommer 2018 redet Deutschland über das Jahr 2040. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat diese Debatte angestoßen: Er forderte, das Rentenniveau für die nächsten 22 Jahre zu garantieren. Fragen und Antworten zu den grundsätzlichen Themen der Rentendiskussion.

Was ist eigentlich das Rentenniveau?

Das Rentenniveau soll zeigen, wie sich die Renten im Vergleich zu den Löhnen entwickeln. Zur Orientierung haben Ökonomen den Standardrentner erfunden: Das ist eine fiktive Person, die 45 Jahre lang gearbeitet und die ganze Zeit genau den Durchschnittslohn der Deutschen verdient hat. Der Standardrentner hat also genau den Durchschnitts-Rentenbeitrag gezahlt.

Seine Rente ist deshalb der Maßstab für das Rentenniveau. Das wird berechnet als das Verhältnis der Standardrente zu dem aktuellen deutschen Durchschnittsverdienst. Also: Wie viel Prozent von einem Durchschnittslohn bekommt der Standardrentner? Vor 15 Jahren betrug dieses Rentenniveau noch 53,3 Prozent, 2016 waren es 48,1 Prozent.

Kriegen die Menschen also immer weniger Rente?

Nein, so pauschal lässt sich das nicht sagen. Weil es beim Rentenniveau um ein Verhältnis geht, sagt es nichts über die absolute Höhe der Renten in Deutschland aus. In den vergangenen Jahren ist das Rentenniveau zwar gesunken. Aber das lag daran, dass die Durchschnittslöhne gestiegen sind. Die Standardrente ist auch gestiegen, allerdings nicht ganz so stark. Ein paar Zahlen zum Vergleich: Vor 15 Jahren lag der Durchschnittsverdienst (netto vor Steuern) bei 24 244 Euro pro Jahr, die Standardrente bei 12 925 Euro. Bis ins Jahr 2016 stieg der Durchschnittslohn auf 29 880 Euro, die Standardrente stieg auf 14 367 Euro. Das Rentenniveau sank in dieser Zeit um 5,2 Prozentpunkte.

Was hat Olaf Scholz jetzt genau vorgeschlagen?

Scholz will, dass die Bundesregierung noch vor der nächsten Wahl eine Garantie für das Rentenniveau bis ins Jahr 2040 beschließt. Das bedeutet: Wenn die Arbeitnehmer im Durchschnitt mehr verdienen, muss auch die Standardrente entsprechend steigen. Bislang hat sich die große Koalition auf eine Stabilisierung bis 2025 geeinigt. Bis dahin soll ein Rentenniveau von 48 Prozent garantiert werden, also ungefähr auf dem aktuellen Wert.

Ist dieser Vorschlag sinnvoll?

Der Finanzminister argumentiert mit Gerechtigkeit und Sicherheit: Ein stabiles Rentenniveau garantiere den Menschen Sicherheit im Alter, und dass sie bei der schnellen Entwicklung der Gesellschaft nicht abgehängt werden.

Ökonomen kritisieren jedoch vor allem den Gerechtigkeitsaspekt. Die Standardrente bis 2040 bei 48 Prozent des Durchschnittslohns zu stabilisieren, sei "unfinanzierbar und unfair gegenüber den Jüngeren", sagte Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg der Süddeutschen Zeitung. Um solche Pläne zu finanzieren, müssten Arbeitnehmer deutlich höhere Rentenbeiträge zahlen, auch die Mehrwertsteuer könnte steigen. Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut für Sozialpolitik in München geht davon aus, dass die Pläne schon 2030 mehr als 40 Milliarden und 2040 sogar 100 Milliarden Euro pro Jahr kosten würden.

Aber ist Altersarmut nicht schon jetzt ein großes Problem?

Wer sein Leben lang wenig in die Rentenkasse eingezahlt hat, etwa weil er keine Ausbildung und wenig verdient hat oder als Hausfrau die Kinder großgezogen hat, dem kann später die Altersarmut drohen. Um dieses Problem zumindest etwas aufzufangen, gibt es eine Grundsicherung im Alter, ein Pendant zu Hartz IV. Derzeit beziehen aber nur gut drei Prozent der Menschen im Rentenalter diese Grundsicherung, Ökonomen gehen davon aus, dass die Zahl mittelfristig auf 4,8 Prozent steigen wird.

Wie man Armut in einer wohlhabenden Gesellschaft berechnet, ist umstritten. Das Statistische Bundesamt gibt jedes Jahr eine Armutsgefährdungsquote heraus. Einfach gesagt: Wer weniger als 60 Prozent eines gewichteten mittleren Pro-Kopf-Nettoeinkommens in deutschen Haushalten verdient, gilt als armutsgefährdet. Das waren 2016 etwa 1033 Euro. Experten wie der ehemalige Generalsekretär der Caritas Georg Cremer sagen deshalb, dass diese Quote eher ein Maß für Ungleichheit ist. Tatsächliche Armut lässt sich damit nicht messen, wie ein plakatives Beispiel zeigt: Wenn in einem Dorf von zehn Einwohnern neun Millionäre sind, ist nach dieser Berechnung jemand mit 500 000 Euro Einkommen armutsgefährdet. Nach den Zahlen von 2016 sind Alleinerziehende besonders armutsgefährdet (43,6 Prozent), junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren ebenfalls (25,5 Prozent). Bei Menschen über 65 liegt die Quote bei 14,8 Prozent.

Die gesetzliche Rente ist umlagefinanziert. Vereinfacht gesagt bedeutet das: Wer arbeitet, zahlt jeden Monat einen Beitrag in die Rentenkasse ein. Dieses Geld wird an die aktuellen Rentner ausgezahlt. Es ist also nicht so, dass Arbeitnehmer ihre Rente "ansparen": Sie erwerben lediglich Ansprüche, die sie später geltend machen.

Dieses System gerät an seine Grenzen, wenn sich die Gesellschaft verändert. Es gibt mehr ältere Menschen, die Anspruch auf eine Rente haben und länger leben als früher. Die Kosten steigen also. Gleichzeitig gibt es weniger jüngere Arbeitnehmer, die in die Rentenkasse einzahlen. Ökonomen warnen deshalb, dass das Rentensystem künftig entweder nicht mehr finanzierbar ist oder die Belastung für jüngere Menschen enorm steigt.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Die große Koalition hat mit dem Rentenpaket 2014 unter anderem die Rente ab 63, die Mütterrente und die Erwerbsminderungsrente eingeführt. Davon sollen Menschen profitieren, die lange gearbeitet oder niedrigere Rentenansprüche haben. Das Kostenproblem lösen diese Maßnahmen allerdings nicht, sie sind eher eine zusätzliche Belastung. Ähnlich sieht es mit den Plänen im aktuellen Koalitionsvertrag aus. Mit der geplanten Mütterrente II ab 2019 sollen zum Beispiel Mütter mit drei oder mehr vor 1992 geborenen Kindern mehr Erziehungsjahre für die Rente gutgeschrieben bekommen, nämlich drei statt zwei Jahre.

Ein Lösungsvorschlag für das Finanzierungsproblem ist, dass die Menschen länger arbeiten müssen. Zum Beispiel bis zum 69. oder 70. Lebensjahr. Das Argument dafür ist, dass die Menschen heute gesünder sind und länger leben. Sie würden dann länger in die Rentenkasse einzahlen und davon selbst auch bei den Rentenansprüchen profitieren. Bei einem höheren Renteneintrittsalter müsste es allerdings auch geeignete Konzepte für Menschen geben, die zum Beispiel als Maurer schwer körperlich gearbeitet haben und das im Alter nicht mehr können.

Außerdem fordern Experten, dass alternative Rentenkonzepte stärker gefördert werden müssen. Etwa betriebliche Altersvorsorge oder eine staatlich bezuschusste kapitalgedeckte Vorsorge. Dabei legen Menschen im Laufe ihres Arbeitslebens Geld an, das im Idealfall Zinsen abwirft. Von diesem angesparten Kapital wird dann mindestens ein Teil der Rente finanziert. Ein weiterer Ansatzpunkt ist, Selbstständige zur Altersvorsorge zu verpflichten. Denn bisher sorgen viele nicht für das Alter vor.

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