Soziales Netzwerk in der Krise:Die Faszination Facebook ist am Ende

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Lange Zeit basierte Facebooks Aufstieg vor allem auf der Erfolgsgeschichte des Mark Zuckerberg. Das reicht jetzt nicht mehr. Die entscheidende Frage nach dem Aktienabsturz ist: Wird das soziale Netzwerk künftig Informationen über Nutzer zu Geld machen? Schaurige Szenarien sind denkbar.

Varinia Bernau

Der Rausch ist vorbei, nun kommt der Kater. Eine geniale Erfindung ist eben nicht automatisch auch ein geniales Geschäft. Mark Zuckerberg, der einst Facebook erfunden hat und dieses Unternehmen Mitte Mai an die Börse brachte, ist einem Trugschluss erlegen. Weil er gierig war, ebenso wie die wenigen zu Rate gezogenen Manager und Investmentbanker. Weil er den Mahnern kein Gehör schenkte. Dies sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um einem angekratzten Unternehmen seinen Glanz zurückzugeben. Auch nicht, um das Vertrauen derer zu stärken, die Facebook tagtäglich als digitalen Plaudertreff nutzen.

Vielleicht rückt für Facebook künftig der Verkauf von Nutzerinformationen stärker in den Fokus? (Foto: AFP)

Lange Zeit reichte es aus, Investoren eine gute Geschichte zu erzählen, um sie in den Bann zu ziehen. Die Faszination Facebook, das war die Geschichte eines "Nerds", eines technikverliebten Sonderlings, der sich in einer amerikanischen Studentenbude daran macht, die ganze Welt zu vernetzen. Die einstigen Schulfreunde, die sich längst aus den Augen verloren haben, wieder zusammenführt. Der einen Nährboden schafft für dynamische Start-ups, für Spieleentwickler oder Musik-Streaming-Dienste. Und der sogar das scheinbar unerschütterliche Machtgefüge in der arabischen Welt ins Wanken bringt. Doch die Faszination Facebook, sie reicht nicht mehr aus, nun, da das Unternehmen an der Börse ist. Jetzt müssen Zahlen her - und zwar gute.

Facebook steckt in einem tiefen Dilemma

Die erste Quartalsbilanz, das war die Stunde der Wahrheit. Sicher, dass die Aktie seit Handelsstart mehr als ein Drittel ihres Wertes verloren hat, das liegt vor allem daran, dass der Preis des Papiers zum Börsenstart viel zu hoch veranschlagt war. Und dass Facebook nun so tief in die Verlustzone gerutscht ist, erklärt sich vor allem mit der Entlohnung von Mitarbeitern durch Aktien und dafür fällige Steuern, die mit dem Börsengang zu zahlen waren.

Doch die Bilanz, die Facebook nun vorgelegt hat, sie belegt auch, dass das Unternehmen in einem tiefen Dilemma steckt: Es kann die Begeisterung, den Ansturm auf das Netzwerk nicht in Gewinne ummünzen. So genial der Zuckerberg beim Entwerfen einer Technologie, ja, auch beim Entwerfen einer Vision ist, so wenig taugt er als Manager.

Als er sich vor acht Jahren daran machte, aus seiner Idee ein Unternehmen zu formen, da wählte er denselben Weg, den schon so viele andere Internetunternehmer vor ihm beschritten hatten: Er setzte auf Werbung. Das war weder kreativ, noch mutig. Dass er daran festhielt und sich zu wenige Gedanken über neue Erlösquellen machte, war sogar gefährlich.

Wie gefährlich, zeigt sich nun, nachdem große Werbekunden abgesprungen sind. Nun, da immer mehr Menschen über ihr Telefon ins Netz gehen. Denn auf den kleinen Bildschirmen sind auch die Anzeigen kleiner - und die dafür zu zahlenden Preise, sprich: Facebooks Umsätze.

Will Zuckerberg neue Einnahmen generieren, so muss er dazu den Datenschatz anzapfen, der auf den Großrechnern von Facebook schlummert. Es sind all die Informationen, die 955 Millionen Menschen ganz freiwillig und wie selbstverständlich preisgeben: Alter und Geschlecht tragen sie bei der Anmeldung ein; politische Überzeugungen und private Vorlieben tun sie zusätzlich mit jedem Klick auf den Gefällt-mir-Knopf kund. Und wo sie wann unterwegs sind, verrät inzwischen mehr als jeder zweite von ihnen, wenn er Facebook übers Handy nutzt.

Es sind Informationen, die in solch einer Fülle kein Geheimdienst dieser Welt hat - und die die schaurigsten Szenarien ermöglichen. Die entscheidende Frage ist: Wird Facebook sie zu Geld machen, wenn der an der Börse geschürte Druck weiter steigt?

Kürzlich ploppte bei Facebook ein Fenster auf. Ein Bild war darauf - und die Frage: "Ist dies der echte Name deines Freundes?" Dahinter stand die ökonomische Ratio, dass Daten erst dann etwas wert sind, wenn sie einem Menschen eindeutig zuzuordnen sind - und nicht nur einem Pseudonym wie "Reiner Zufall".

Facebook in falschen Händen kann immensen Schaden anrichten

Auch eine Software hat das Unternehmen neulich vorgestellt, die via Facebook geführte Chats auf Schlüsselbegriffe wie etwa Sex durchforstet. Wittern Facebooks aufmerksame Mitarbeiter Gefahr, etwa den Hinweis auf sexuellen Missbrauch, so wenden sie sich an Sicherheitsbehörden. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass solch ein Computerprogramm in den falschen Händen, mit den falschen Absichten, immensen Schaden anrichten kann. Erst recht, wenn sich jene Gerüchte bewahrheiten, wonach Facebook mit dem Gedanken spielt, das Eintrittsalter in das soziale Netzwerk auf unter 13 Jahre zu senken.

Was Aktienhändler freut, das fürchten Datenschützer. Was dem Investor zunächst gefällt, das könnte den Nutzer verschrecken. Diesen Widerspruch, der in jedem Geschäft steckt, das auf der Sammlung wertvoller, aber eben auch sensibler Daten basiert, kann auch Mark Zuckerberg nicht auflösen. Die Macht des Nerds im Kapuzenpulli ist groß. Noch größer aber ist die Macht der Anleger und all jener, die Facebook nutzen.

© SZ vom 28.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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