Kommentar:Die große Spaltung

Während Gutverdiener in der Corona-Krise sparen, sind Geringverdiener von Zahlungsschwierigkeiten bedroht. Der Staat muss Menschen mit niedrigem Verdienst mehr unterstützen.

Von Helena Ott

Die Corona-Krise hat die Gesellschaft wieder das Fürchten gelehrt. Sie hat Sorglosigkeit geraubt - auch bei jenen, die vorher nicht mit Krankheit, Einsamkeit oder finanziellen Sorgen zu kämpfen hatten. Trotzdem ist die Krise alles andere als ein "Gleichmacher", sondern viel mehr ein großer Spalter, zumindest was die finanziellen Sorgen vieler Privatpersonen angeht.

Während Gutverdiener jetzt unfreiwillig jeden Monat mehr ansparen - die Sparquote hat sich gegenüber 2019 fast verdoppelt - reißen Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust und eingefrorene Selbständigkeit riesige Löcher in die monatlichen Budgets von Geringverdienern. Neben der Kurzarbeit müssen Bund und Länder Privathaushalte deshalb nun dringend weiter unterstützen. Aber bitte künftig nicht mehr pauschal, als Trostpflaster für alle, wie beim Familienbonus. Sondern es muss jetzt zuvorderst denen geholfen werden, die nicht wissen, wie sie ihre monatliche Grundversorgung leisten können. Einkommensschwache Menschen, die in der Krise überlegen, wie sie die Stromrechnung und den Supermarkteinkauf bezahlen sollen. Sie sollten monatliche Überbrückungshilfen bekommen, damit sie akute Einkommenseinbußen durch die Corona-Krise überstehen und nachher aus eigener Kraft weiter wirtschaften können.

Im Oktober sind hierzulande noch mehr als ein Drittel der Haushalte von Einnahmeeinbußen durch die Pandemie betroffen. Bisher hat ein Großteil von ihnen durch noch mehr Verzicht und staatliche Hilfen durchgehalten. Doch darauf darf man sich nicht weiter verlassen. Denn die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus treffen Geringverdiener ungleich härter als Gutverdiener. Und damit auch jene, die sich nicht durch gut gefüllte Sparkonten selbst über Wasser halten können. Je höher das Gehalt, desto weniger sind die Beschäftigten von finanziellen Einschnitten betroffen. In der obersten Gruppe mit einem Verdienst von mehr als 4500 Euro netto im Monat betrifft das nur knapp 27 Prozent. In den unteren Einkommensgruppen dagegen klagen nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung fast die Hälfte der Befragten seit der Krise über monatlich geringere Einnahmen.

Taxifahrer, Minijobber, Angestellte in Hotels, Gastronomie und Handel verloren in der Krise als Erstes ihre Jobs. Geringverdiener sind häufiger befristet angestellt oder von Leiharbeitsfirmen beauftragt - ohne berufliche Sicherheit. Zudem ist der Niedriglohnsektor auch stärker von Kurzarbeit betroffen - und dort wird von den Firmen deutlich seltener das staatliche Kurzarbeitergeld aufgestockt als zum Beispiel in der Industrie.

Und dabei sprechen wir nicht von einer kleinen Minderheit. In Deutschland arbeitet jeder fünfte Beschäftigte unterhalb der Niedriglohnschwelle von 11,05 Euro brutto in der Stunde. Diese in den vergangenen 20 Jahren gefährlich aufgeblähte Verdienstgruppe ist nun nicht krisensicher.

Was, wenn in diesen Haushalten zusätzlich in den nächsten Monaten die Waschmaschine kaputtgeht, die Autoversicherung fällig wird oder eine Mieterhöhung ansteht. In Deutschland fehlt jedem vierten Menschen jegliches finanzielles Polster. Für das kommende Jahr rechnen die Wirtschaftsforscher von Creditreform, die den jährlichen Schuldneratlas erstellen, daher mit einem deutlichen Anstieg verschuldeter Privatpersonen.

Die Schere zwischen Arm und Reich, die in einer reichen Industrienation wie Deutschland sowieso unwürdig weit geöffnet ist, öffnet sich weiter, wenn der Staat jetzt nicht gegensteuert. Dabei geht es um Menschen, die bei einem Nettogehalt von um die 1000 Euro schon vor der Krise die Preise für Milch im Supermarkt vergleichen mussten. Es geht um Familien mit Kindern, in denen es mehr Köpfe als Zimmer gibt. Wo sollen diese Menschen noch sparen?

Auf individueller Ebene geht es um die Würde von Millionen Privatpersonen. Aber auch die gesamtgesellschaftliche Sicht ist entscheidend: Ökonomische Ungleichheit treibt die gesellschaftliche Spaltung voran. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass Menschen, die durch die Krise finanziell bedroht sind, zu größeren Teilen unzufrieden sind mit der Arbeit der Regierung und sich häufiger Verschwörungsmythen zur Pandemie zuwenden. Auch deshalb sollte die Politik bevorzugt denen helfen, die wirklich geringere Einnahmen haben und so wenig verdienen, dass sie den Ausfall nicht schultern können, ohne sich zu verschulden.

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