Kolumne: Silicon Beach:Weniger Apps sind mehr

Kolumne: Silicon Beach: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Skype, Zoom, Teams, Slack, Facetime, SMS, Whatsapp, dazu die Messenger der Social-Media-Portale: Es gibt viel zu viele Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren - was tun?

Von Jürgen Schmieder

Es ist völliger Irrsinn, was da passiert. Nein, viel schlimmer: Es wirkt wie das Experiment der Technikbranche, wie lang es dauern wird, die komplette Menschheit in den Wahnsinn zu treiben. Es begann mit der E-Mail einer lieben Kollegin: Man könne doch mal wieder über die Arbeit oder auch über Gott und die Welt reden. Klar, antwortet man freudig, das Wann ist schnell geklärt, es geht nun um das Wie, und das ist im Jahr 2021 die Vorstufe zur Hölle. Die Kollegin, ebenso freundlich wie effizient, wechselt zur Terminvereinbarung von E-Mail zum Portal Slack; das, dies aber nur nebenbei, den privaten Computer wegen Altersschwäche ablehnt. Man könne gern Skype, Zoom oder Teams verwenden, es gingen für Videotelefonien auch die Varianten Whatsapp oder Facetime. Die Daten, über die man sich unterhalten wolle, könne man davor über Dropbox oder Slack schicken, SMS und E-Mail-Programm seien nicht geeignet. Es passt, dass der Kollege von der Ostküste einen Link zu Twitter per Instagram-Direktnachricht schickt, man müsse sich das mal durchlesen, vielleicht ein Thema - und sich gleichzeitig der Sohn beschwert, dass man seine Nachricht per Snapchat zu einem Tiktok-Tanz noch nicht gesehen habe.

Kleines Experiment an alle, die bis hierhin gelesen haben: Wie viele Apps auf dem Startbildschirm des Handys haben eine Direct-Messenging-Funktion - also die Möglichkeit, dass einen irgendwer erreichen kann? Auf dem Telefon, auf dem dieser Text entsteht, sind es insgesamt 13: zwei E-Mail-Programme (privat und dienstlich), die Messenger von Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und Tiktok, SMS und Whatsapp, Slack, Teams, Skype und Zoom - gerade leuchtet bei neun davon dieser rote Bommel rechts oben als schlechtes Gewissen, dass man gefälligst gucken sollte, wer da was von einem will. Das Portal zur Hölle öffnete sich im April, als für ein Gespräch mit zwei Leuten fünf Plattformen verwendet wurden.

Klar ist das immer einfach: Sich als mittelalter Typ über neumodisches Zeug zu beschweren, sorgt immer für Zustimmung bei anderen mittelalten Leuten. Die anderen belächeln einen dann, und sie verweisen auf den Spruch, der schon vor fünf Jahren auf der Titelseite der messeeigenen Zeitschrift einer Technikkonferenz in Las Vegas zu sehen war: "Adapt Or Die!" Also: Wer sich nicht an die digitale Revolution anpassen will, solle doch bitte die Freundlichkeit besitzen, sich von dieser Welt zu subtrahieren, wie es die Dinosaurier getan haben. Meg Whitman, damals Chefin des Tech-Konzerns HPE, rief den Besuchern zu, dass jede Firma gefälligst eine digitale sein müsse; beim Gang über die Messe wurde einem bewusst, dass sie jeden einzelnen Menschen meinte.

Manchmal fühlt man sich wie ein Tintenfisch

Deshalb, bitte nicht falsch verstehen: Technik ist kein Teufelszeug. Es ist ein Segen, sich live per Videotelefonie mit Leuten unterhalten zu können, die auf der anderen Seite der Weltkugel hocken, und es ist auch wunderbar, sich in Echtzeit zu informieren, was dort so passiert. Es hilft zudem, gerade in Zeiten des Pandemie-Home-Office, riesige Datenpakete an Kollegen verschicken zu können. Nur: Muss sich die Techbranche dauernd als Meteor präsentieren, der eine Gefahr für alle darstellt, die sich nicht anpassen?

Die Coronavirus-Pandemie, so heißt es derzeit häufig, würde Trends verstärken, die ohnehin zu beobachten gewesen seien. Also: Man muss nicht jeden Morgen ins Büro hetzen und dort den halben Tag in Konferenzen verbringen, genau deshalb lud man all die Apps runter. Zoom ist effizient für Massenvideokonferenzen, Slack ideal für Koordination unter Kollegen und das Verschicken größerer Dateien; auf die Verschlüsselung von Whatsapp will man auch nicht verzichten. Jedes Portal besetzt eine Nische, was allerdings dazu führt, dass man sich fühlt wie ein Tintenfisch, der all seine Tentakel braucht, um all die Programme bedienen zu können.

Wenn die vergangenen Monate eines gezeigt haben, dann doch dies: Man kann durchaus überleben, ohne sich allem anzupassen. Massenvideokonferenzen, zu denen wegen der Einfachheit (man muss ja nur auf einen Knopf drücken, um teilzunehmen) alle eingeladen werden, sind nicht sehr effizient, wenn 90 Prozent der Teilnehmer nebenbei auf dem Handy spielen und weder etwas beitragen oder etwas daraus mitnehmen. Gruppenchats sind das Fegefeuer für jede Beziehung, selbst eine perfekt organisierte, virtuelle Messe ersetzt nicht diese zufälligen Begegnungen auf den Fluren oder auch an der Bar, und wer seine Nachrichten auf allen Kanälen abfeuert, wird beliebig und irrelevant.

Wer eine App löscht, hat weniger Angst, etwas zu verpassen

Die Kommunikation sollte also neu geordnet werden. Zumal die Menschen bereits recht deutlich gezeigt haben, dass sie schon noch gern selbst darüber entscheiden, wie sie sich anpassen wollen, und dass sie statt Dinosauriern auch selbst Meteore sein können. Meg Whitman etwa stellte das nach ihrer Zeit bei HPE schmerzhaft fest. Sie gründete mit Jeffrey Katzenberg das Portal Quibi - kurze Videoschnipsel zum schnellen Zeitvertreib, das sollten die Leute sehen. Das konnten sie auch anderswo, das Alleinstellungsmerkmal fehlte. Vor einem halben Jahr stellte Quibi den Betrieb ein; es war ausgestorben, ohne je wirklich gelebt zu haben.

Nein, keine Schadenfreude über das Scheitern des Portals; es gehört zu den grandiosen Eigenschaften dieser Branche, etwas ausprobieren zu dürfen ohne Furcht vor Misserfolg. Dennoch sorgt es für ein wohliges Gefühl im Bauch, wenn man mal ein paar der Kommunikations-Apps von seinem Handy löscht: Die Angst, irgendwas zu verpassen, sinkt, und man vergewissert sich, dass Technik dem Menschen dienen soll und nicht umgekehrt.

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