Somaliland:Wo Mütter die Wirtschaft schmeißen

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Männer ruhen sich aus, Frauen lesen oder arbeiten - kein seltenes Bild in Somaliland. (Foto: Caroline von Eichhorn)

Keine Nation erkennt das Territorium neben Somalia als Staat an - das hat viele Folgen.

Von Caroline von Eichhorn

Die Sonne knallt auf die Schotterwege, es sind über 30 Grad, auch im Winter in Downtown Hargeysa, der somaliländischen Hauptstadt. Männer fläzen in den Schatteninseln, die Frauen in ihren farbigen, breitgemusterten Hidschabs verkaufen Orangen, Bananen, Gemüse und jede Menge Khat - die pflanzliche Kaudroge, die den Hunger hemmt und fit macht, hier ist sie legal.

In Somaliland sind Zwei Drittel der Frauen die Brotverdiener in den Familien, besagen Schätzungen. Und das meist im selben Zeitraum, indem sie im Schnitt sechs Kinder auf die Welt bringen. Klingt erstaunlich, und man fragt sich, wie schaffen das diese Frauen? In Deutschland sind viele mit einem Kind plus Job überfordert.

"Uns bleibt nichts anderes übrig", sagt Nafisa Yusuf in ihrem Büro, sie ist Geschäftsführerin von Nagaad, der größten Frauenorganisation in Somaliland mit 46 Mitgliedervereinen. Wer so viele Kinder hat, muss schauen, wie er über die Runden kommt. Stattdessen sagen Somaliländer: "Kinder sind unser Reichtum." Kaum jemand stellt in dem zu 100 Prozent muslimischen Land Traditionen wie das Kinderkriegen in Frage. Frauen tragen fromm den Hidschab, verhüten kaum und gebären häufig - trotz der Arbeit. Vor allem nach dem Kriegsende vor 25 Jahren waren Frauen gezwungen, die Jobs ihrer verletzten Männer zu übernehmen. Dazu kommt: "Viele Männer verfallen dem Khat-Konsum und sind berufsunfähig", sagt Yusuf. Meist arbeiten die Frauen selbständig, auf dem Markt, in der Landwirtschaft oder als Näherinnen. Kaum eine wird aber wirklich erfolgreich. Das Geld sei zum Monatsende immer aufgebraucht. Das liegt vor allem daran, dass das Land immer noch bitterarm ist und regelmäßig von Dürren gebeutelt. "Aber die Banken geben den Frauen keine Kredite", sagt Yusuf. Es fehlten auch betriebswirtschaftliche Fähigkeiten. Yusuf und ihre Organisation Nagaad bieten Management-Workshops für Frauen an.

Kaum jemand kennt Somaliland, obwohl es größer als Griechenland ist und geschätzte 4,5 Millionen Einwohner hat. "Land" ist allerdings nicht ganz der richtige Begriff - denn Somaliland ist von keinem Land der Welt als Staat anerkannt, obwohl es sich 1991 als unabhängig erklärte und seither eine von dem "failed state" Somalia eigenständige Politik und Wirtschaft hat, welche funktioniert - Somaliland gilt als Vorbildstaat am Horn von Afrika. Obwohl es kaum internationale Unterstützung erhielt, klappt die Demokratie ebenso wie Bildung und Frieden - im Vergleich zum Rest von Somalia, wo die Terrormiliz Al-Shabab regelmäßig mit Anschlägen für neue Todesopfer sorgt.

Seit Oktober 2016 etwa versuchte Somalia Präsidentschaftswahlen abzuhalten - immer wieder wurden sie wegen Korruption oder Drohungen verschoben. Erst am 8. Februar 2017 gelang es. Doch nicht die Bürger - wie vorgesehen - gaben ihre Stimme ab, sondern die Parlamentsabgeordneten. In einem bewachten Flughafenhangar. Und Somaliländer ärgerten sich auf Twitter unter dem Hashtag #educateUNSOM darüber, dass die UN auch Abgeordnete für ihr Territorium wählen lässt. Denn ihre eigenen Wahlen - die nächste ist am 28. März 2017 - verlaufen vergleichsweise stabil. Somaliländer sehen sich als unabhängig an. Die fehlende Anerkennung hindere sie vor allem daran, wirtschaftlich voranzukommen. Keine internationale Bank lässt sich nieder. Äthiopien ist der einzige treue Handelspartner. Viele Familien sind abhängig vom Geld der Diaspora.

In diesem Gefüge sind Frauen das schwächste Glied. Ihre Situation lässt sich schwer verändern, denn auch in der Politik wirken sie kaum mit. Für eine Frau ist es laut Yusuf viel schwieriger Geld für eine Wahlkampagne zu sammeln - und überhaupt: gewählt zu werden. Immerhin gibt es ein prominentes Vorbild: Edna Adan Ismail, Mutter der Nation, ehemalige Außenministerin, das größte Krankenhaus ist nach ihr benannt.

Auch Baar Saeed Farah hat es geschafft. Sie ist die erste und einzige Frau unter 82 Parlamentariern in Somaliland. Zu Beginn der Wahlperiode 2005 gab es eine zweite gewählte Frau. "Ihr Mann starb, also musste sie sich um die Kinder kümmern und aus der Politik ausscheiden", erzählt Farah, sie trägt Hornbrille und graublaue Tücher um den Kopf. Sie hat elf Kinder. Sie verdient als Parlamentarierin gut, doch am Ende des Monats ist auch ihr Geld immer weg. Sie muss nicht nur ihre eigenen Kinder durchbringen, sondern zusätzlich die Familien ihrer Geschwister, auch einige Wähler erwarten ihre finanzielle Hilfe.

Baar Saeed Farah ist eine gebildete, reflektierte Frau, die sich für Bildung und Gleichberechtigung der Frauen einsetzt, und gegen die grausame Verstümmelung, die immer noch die überwältigende Mehrheit der jungen Mädchen über sich ergehen lassen muss. Fast alle Mädchen zwischen fünf und zehn Jahren werden beschnitten und zugenäht - meist ohne Betäubung und mit schmerzhaften Folgen fürs ganze Leben.

Doch sogar Farah hat keine Toleranz für Frauen, die das Kopftuch ablegen würden. "Eine Frau die sich nicht bedeckt, ist eine Art von nackt", sagt sie. Zur Religion gibt es in Somaliland keine Alternative. Sie bildet die Basis von allem: dem Alltag, der Konstitution, der Kultur. "Religion ist wichtiger als Politik", sagt Baar Saeed Farah.

Zur Religion gibt es in Somaliland keine Alternative. Sie bildet die Basis für alles

Dass nun eine Frau im Parlament sitzt, ist schon ein großer Erfolg. "Ich habe das Gefühl, dass mich die Männer ernst nehmen und respektieren", sagt Farah. Immer mehr Frauen wollen in die Politik und sich mehr Rechte und Wohlstand erkämpfen, zum Beispiel Noura, eine Frau im Rollstuhl, die einen Verein für Kinder und Frauen mit Behinderung gegründet hat. Das Vorankommen des ganzen Landes ist von der internationalen Anerkennung abhängig - es ist der Weg, um Auslandsinvestitionen anzukurbeln und internationale Hilfe zu bekommen, davon ist Farah überzeugt.

Immerhin gibt es seit 2015 eine Wirtschaftskammer für Frauen mit derzeit 300 registrierten Unternehmen. Und in der Bildung hat sich in den letzten 25 Jahren viel getan. Die Gesellschaft legt mehr Wert darauf, dass Frauen ihre Ausbildung abschließen bevor sie eine Familie gründen. "50 Prozent der Studenten sind weiblich", sagt Yusuf vom Frauenverband Nagaad. "Die Eltern realisieren, dass es etwas bringt, wenn sie auch ihre Töchter unterstützen."

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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