Solvency II:Neue Regeln, neue Probleme

Manche Konzerne sichern sich über eigene Versicherer gegen Risiken ab. Das ist oft kostengünstiger. Doch die aufsichtsrechtlichen Anforderungen sind mitunter hoch.

Von Friederike Krieger

Bayer hat eine, die Lufthansa, die Deutsche Bank und Volkswagen auch - die Rede ist von firmeneigenen Versicherern, den sogenannten Captives. Sie bündeln Versicherungsrisiken eines Konzerns, sammeln dafür Prämien von Tochtergesellschaften ein und zahlen im Schadenfall Geld an sie aus. Die Captives bieten den Unternehmen viele Vorteile, haben aber derzeit mit verschärften aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu kämpfen.

Das Hauptmotiv für die Gründung war in früheren Jahren oft die pure Not. "Es gab eine Zeit, wo einige Risiken nicht oder nicht ausreichend versicherbar waren", erklärt Monika Behrens, Captive-Expertin beim Makler Willis Towers Watson. Also schufen sich Unternehmen eigene Versicherer. Auch heute ist das noch ein Thema für Captives. So finden sich neben Standardpolicen wie Sach-, Betriebsunterbrechungs-, Transport- oder Haftpflichtversicherungen auch neue Risiken in ihren Büchern. Dazu gehört die Versicherung gegen Hackerangriffe. "Einige Unternehmen prüfen auch, ob sie Reputationsrisiken oder den Diebstahl geistigen Eigentums über Captives absichern können", so Behrens.

Firmeneigene Versicherer bringen viele Vorteile

Mit Captives können Unternehmen oft auch die Absicherungskosten senken. Momentan sind die Preise für Deckungen bei traditionellen Versicherern zwar niedrig, das muss aber nicht so bleiben. "Mit einer Captive macht man sich von den traditionellen Zyklen des Versicherungsmarktes unabhängiger", erklärt Behrens. "Man ist flexibler in Zeiten steigender Preise." Mit einem eigenen Versicherer habe ein Unternehmen auch eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber traditionellen Anbietern. "Versicherer sind bereit, attraktivere Konditionen zu bieten, wenn der Konzern die Möglichkeit hat, große Teile des Risikos auch selbst zu versichern", sagt sie. Zudem ermöglicht eine Captive Zugang zum Rückversicherungs- und Kapitalmarkt, der zum Teil umfassendere Versicherungen zu günstigeren Preisen bietet.

Ein wichtiges Argument für eine Captive ist das bessere Risikomanagement. "Ein Unternehmen erhält einen viel besseren Überblick über seine Risiken und kann sie auch besser steuern", sagt Behrens. Das zeige sich im Bereich Employee Benefits. Dabei geht es um Unfall- und Krankenzusatzversicherungen für Mitarbeiter sowie die betriebliche Altersversorgung. "Captives bieten hier einen Überblick über die weltweiten Ausgaben und Schäden, der vielen Unternehmen fehlt", sagt sie. Zudem verbessern sich die Einflussmöglichkeiten. So kann ein Konzern ein Gesundheitsförderungsprogramm starten, wenn er sieht, dass die Schäden durch gewisse Erkrankungen hoch sind. Durch den Einsatz einer Captive ließen sich die Kosten für Employee Benefit-Programme bei gleichem Leistungsumfang um bis zu 25 Prozent senken, sagt Behrens.

Dabei ist Captive nicht gleich Captive. "Da sind teilweise sehr kleine Captives, die nur firmeneigenes Geschäft versichern oder rückversichern, und es gibt andere Captives, die sehr viele Versicherungssparten abdecken", sagt Christian Böhm vom Technologieunternehmen Freudenberg. Einige machen auch Geschäft mit anderen Unternehmen oder mit Privatkunden. So verkauft Volkswagen inzwischen auch verstärkt Autoversicherungen. Die Lufthansa nennt mit der Delvag einen der weltweit größten Luftfahrtversicherer ihr Eigen, der auch viele Flugzeuge und andere Risiken außerhalb des eigenen Konzerns absichert.

Als Standort für Captives führt Deutschland allerdings ein Schattendasein. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin beaufsichtigt nur neun der weltweit über 6600 Captives. Weit beliebter sind Standorte wie Bermuda, Luxemburg und Irland. "Die Aufsichtsbehörden in diesen Ländern sind sehr an diesem Geschäft interessiert und haben es den Captives einfach gemacht", erklärt Monika Wieneke, ebenfalls Captive-Expertin bei Willis Towers Watson. Zudem haben sich dort viele Dienstleister für die Eigenversicherer angesiedelt. Auch das Bilanzierungssystem ist vorteilhafter. "In Luxemburg kann man sehr gut Schwankungsrückstellungen als Bilanzschutz für das Mutterunternehmen bilden", sagt Swen Grewenig, Versicherungsmanager von Bayer. Das sind Reserven für große Schäden, die zunächst steuerfrei angesammelt werden können, bis sie gebraucht werden.

Gegen den Standort Deutschland sprechen aus Sicht der Konzerne die neuen Eigenkapitalregeln Solvency II. Sie zwingen Versicherer, Eigenkapital gemäß den Risiken vorzuhalten, die sie im Versicherungsgeschäft und bei der Kapitalanlage eingehen. Die Regeln gelten zwar EU-weit. Aber nach Ansicht der Unternehmen legt die Bafin sie in Bezug auf Captives besonders streng aus. Streitpunkt ist das sogenannte Proportionalitätsprinzip, nach dem kleinere Unternehmen - zu denen die Captives meist zählen - die Regeln nicht ganz so umfassend anwenden müssen.

Kleinere Firmen müssen die Regeln nicht so umfassend anwenden. Eigentlich

Davon ist laut Christian Böhm vom Technologieunternehmen Freudenberg nicht viel zu spüren. "Wir haben jetzt eine Komplexität, die wir vorher nicht hatten", sagt er. Auch Eberhard Faller von BASF ist unzufrieden. "Wir sollen eine Captive mit wenigen firmeneigenen Risiken so steuern wie einen großen Versicherer." Faller kritisiert auch die umfangreichen Berichtspflichten. "Wir zeichnen zehn Policen und können unsere Risiken im Grunde auf ein kleines Stück Papier schreiben, müssen aber Berichte verfassen, deren Erstellung rund 200 000 Euro im Outsourcing kostet", schimpft er.

Willis-Expertin Wieneke glaubt dagegen nicht, dass Solvency II in Deutschland so viel strenger ausgelegt wird als anderswo. "Es gibt kleine Unterschiede bei der Auslegung des Proportionalitätsprinzips, die Kapitalanforderungen sind aber gleich, egal ob die Captive in Deutschland, Luxemburg oder Irland sitzt." Mit Solvency II ist ihrer Meinung nach ein entscheidender Standortfaktor für Luxemburg und Irland weggefallen. Weil auch die steuerlichen Anforderungen in den Ländern gestiegen sind, überlegten einige deutsche Firmen sogar, ihre Captives nach Deutschland umzusiedeln. Zuletzt ist die Captive des Großhändlers Metro von den Niederlanden nach Deutschland umgezogen. "Es fragen vor allem viele mittelgroße Firmen mit kleinen Captives bei uns an, welche Auflagen sie für eine Rückkehr erfüllen müssen", sagt sie.

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