Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Wie solidarisch sind die Menschen in der Krise?

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Eine Studie analysiert das soziale Wohlergehen der G-7-Staaten im Corona-Jahr 2020. Demnach ist in vielen Ländern die Solidarität nach innen gestiegen, nach außen aber gesunken - das ist ein Problem, sagen Ökonomen.

Von Clara Thier

Es ist einfach, klare Zahlen dafür zu nennen, was die Corona-Krise mit Wirtschaft und Umwelt gemacht hat: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank, die weltweiten CO₂-Emissionen verringerten sich ebenfalls. Schwieriger ist es, in Zahlen zu beschreiben, wie es der Bevölkerung in dem Krisenjahr ergangen ist. Inwieweit waren Zivilgesellschaft und Staat in der Lage dazu, die ökonomische Krise abzufedern? Die Ökonomin Katharina Lima de Miranda und ihr Kollege Dennis Snower, früherer Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), werteten verschiedene Umfragen und Indizes aus, um darauf eine Antwort zu finden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die beiden Autoren, die für die Denkfabrik Global Solutions Initiative die G-20-Staaten beraten, bei der US-amerikanischen Denkfabrik Brookings.

Lima de Miranda und Snower hatten es sich schon vor der Pandemie zur Aufgabe gemacht, in einem neuen Ansatz BIP und CO₂-Emissionen mit Indikatoren für soziale Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit abzugleichen, um ein umfassenderes Bild von gesellschaftlichem Wohlergehen zu erhalten. Die neusten Ergebnisse sind gemischt - einige davon bezeichnen sie als Alarmsignal.

Die Autoren beobachten eine tendenziell gestiegene Handlungsfähigkeit von Individuen. Obwohl die Pandemie durch den Verlust sozialer Kontakte und von Jobs den eigenen Handlungsspielraum zunächst stark einschränkte, sanken die Werte dafür nur in Kanada, während sie in Deutschland, Italien, Großbritannien und den USA deutlich anstiegen. Das könne daran liegen, dass Menschen sich stärker darauf konzentrierten, wie sie ihrer Familie, Nachbarn oder Verwandten helfen konnten, vermutet IfW-Ökonomin Lima de Miranda. In Deutschland gaben Menschen an, etwas weniger Freiheit bei ihren Lebensentscheidungen zu haben, gleichzeitig wuchs das Vertrauen in staatliche Institutionen zu Beginn der Pandemie. Noch im Herbst gaben 77 Prozent der Bevölkerung an, dass Deutschland in der Pandemiebekämpfung seine Sache gut mache - ein Trend, der sich 2021 jedoch umkehrte.

Innerhalb nationaler Grenzen sei die gesellschaftliche Solidarität, also die soziale Einbettung und das gegenseitige Vertrauen, meist gewachsen, heißt es in der Studie. So konnte zum Beispiel die Resilienz der Zivilgesellschaft durch Nachbarschaftshilfen und andere Netzwerke die wirtschaftlichen Probleme ausgleichen. Über die vergangenen zehn Jahre war die interne Solidarität in der Mehrheit der G-7-Staaten gesunken, nun aber stieg sie in vier Ländern an, darunter auch Deutschland.

Wachsender Nationalismus - Stichwort: Impfnationalismus - spiegele sich dagegen in den gesunkenen Werten der Solidarität nach außen wider. In Kanada, Frankreich, Deutschland und besonders stark in Großbritannien fiel die äußere Solidarität. Das bereitet dem Ökonomen Snower Sorgen: "Wenn es nicht möglich ist, globale Solidarität zum nationalen Interesse und zu einer Priorität zu machen, dann können wir die Pandemie und andere tödliche Herausforderungen wie die Klimakrise nicht bewältigen." Nur Italien und Japan verzeichnen in beiden Dimensionen der Solidarität einen Anstieg, sowohl nach innen als auch nach außen - beide Länder weisen aber im G-7-Vergleich noch die niedrigsten Solidaritätswerte auf. Insgesamt hätten Bürgerinnen und Bürger nicht gelernt, dass globale Krisen globale Kooperation benötigten - das sei aber die wichtigste Lehre der Pandemie, so die Autoren.

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