Wenn an diesem Montag der Startschuss für das gigantische Solarenergieprojekt Desertec fällt, dann könnte ein neues Zeitalter der Energieversorgung beginnen. Desertec soll einmal das größte Solarstromvorhaben der Welt sein mit Kraftwerken, die bis zu 20 Gigawatt Energie liefern und ein Siebtel des Strombedarfs Europas decken. Es hat vieler mutiger Träumer bedurft, um Desertec auf den Weg zu bringen, das noch ein großes Abenteuer mit vielen Hindernissen ist. Doch man muss kein Ökofreak oder Solarjünger sein, um solarthermische Kraftwerke zu befürworten. Selbst bei einer nüchternen Analyse spricht alles für diese Art der Stromgewinnung.
Warum erst jetzt? Die Idee, Sonnenstrahlen einzufangen, in Wärme umzuwandeln und damit Strom zu erzeugen, ist keineswegs neu. Man weiß, dass Solarthermie im gesamten Sonnengürtel der Erde, wo die Sonne häufig scheint und Wolken nur selten das Licht diffus machen, funktioniert. Seit Ende der achtziger Jahre hängt in der kalifornischen Mojave-Wüste ein solches Kraftwerk am Netz. Es ist im Laufe der Jahre immer wieder erweitert worden und läuft einwandfrei; zwölf Milliarden Kilowattstunden Strom hat es geliefert. Vor allem aber ist der Preis für die dort produzierte Kilowattstunde stetig gesunken, der Kraftwerksbetreiber schätzt ihn inzwischen auf zwölf Cent.
Doch das Vorzeige-Kraftwerk ist zu früh gekommen. Die Ölkrise der späten Siebziger - ein Grund für den Bau - verflog, herkömmliche Rohstoffe waren billig genug, um daraus Strom zu gewinnen. In den USA vergaß man diese phantastische Möglichkeit Strom zu gewinnen, ohne teure Brennstoffe, ohne die Gefahr eines Unfalls, ohne radioaktive Hinterlassenschaften, ohne die Atmosphäre aufzuheizen. Auch Deutschland hat die Solarthermie vernachlässigt. Ursprünglich waren deutsche Ingenieure maßgeblich an der Entwicklung der Technik beteiligt. Doch das mitteleuropäische Klima eignet sich nicht, um Sonnenwärme in Strom umzuwandeln, die Kraftwerke müssen in Südeuropa oder Nordafrika stehen, weshalb weder die Regierung Kohl noch die rot-grüne Koalition Interesse zeigten. Im Gegenteil: Für die Grünen war Solarthermie eine Großtechnologie, die es zu meiden galt. Sie förderten lieber Solarzellen auf deutschen Dächern als Kraftwerke in der Sahara.
So wurde eine wichtige erneuerbare Energieform sträflich unterschätzt. Denn im Gegensatz zu Solarzellen liefern solarthermische Kraftwerke bezahlbaren Strom. Vor allem können sie rund um die Uhr laufen, weil die Wärme gespeichert wird und auch nachts in Strom umgewandelt werden kann. Wenn die Sonne tatsächlich einmal tagelang nicht scheint, kann man auch notfalls eine Gasturbine anwerfen.
Spricht denn gar nichts gegen solarthermische Kraftwerke? Doch, aber die Vorteile überwiegen die Nachteile. Da wäre erstens der Transport des Stroms, der über das Mittelmeer geleitet werden muss. Mit Gleichstromübertragung ist das jedoch kein großes Problem mehr, und die Mehrkosten fallen kaum ins Gewicht. Zweitens fürchten manche die Abhängigkeit von Staaten, wo man mit islamistischem Terror rechnen muss. Doch Terroristen müssten viele Anlagen gleichzeitig angreifen, um Europa wirklich zu treffen. Der Vorteil, mit relativ stabilen Ländern wie Marokko oder Tunesien ins Solargeschäft zu kommen, eröffnet diesen wirtschaftliche Perspektiven. Desertec wäre ein Vorzeigeprojekt für die dümpelnde Mittelmeerunion der EU. Mit Imperialismus - der dritte Einwand - hat das nichts zu tun; man kann sich Geschäftsmodelle überlegen, bei denen Afrikaner von Desertec profitieren.
Das größte Hindernis: Solarthermische Kraftwerke sind teuer, die Investitionskosten sind ähnlich hoch wie bei einer Atomanlage. Deshalb muss die Bundesregierung - und möglichst die gesamte EU - den Bau der Solarmeiler unterstützen, mit Zuschüssen, Steuererleichterungen und zuverlässigen Rahmenbedingungen. Desertec darf nicht nur eine PR-Aktion von Unternehmen bleiben. Die Politik muss mithelfen, damit die Operation Wüstensonne ein Erfolg wird.