Photovoltaik:Strom von der Wand

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Forschung an der Fassade: Das Helmholtz-Zentrum Berlin erprobt den Einsatz von Solarbauteilen. (Foto: Andreas Muhs)

Solaranlagen auf Dächern sind inzwischen weit verbreitet. Doch auch Fassaden eignen sich zur Energiegewinnung. Davon können Eigentümer profitieren.

Von Gabriela Beck

Die seit diesem Jahr geltende EU-Gebäuderichtlinie fordert für Neubauten eine weitgehend ausgeglichene Energiebilanz. Bis zum Jahr 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch von derzeit 46 Prozent auf 65 Prozent steigen. Und die Bundesregierung will neuerdings schon bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität in Deutschland erreichen. Das bedeutet: Gebäude müssen künftig nicht nur weniger Energie für ihre Wärme-, Kälte- und Stromversorgung verbrauchen, sondern auch aktiv zur Erzeugung und Speicherung von Energie beitragen.

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Ein Klassiker umweltfreundlicher Energiegewinnung ist die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Deren Solarzellen wandeln Sonnenlicht direkt in elektrischen Strom um. Derzeit sind nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE bundesweit 55 Gigawatt Photovoltaik installiert, davon etwa 70 Prozent auf Dächern, der Rest in Freiflächenanlagen. Möchte Deutschland seine Ziele zum Klimaschutz und zum Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen, müsste die bereits installierte Leistung aus Photovoltaikanlagen nach Berechnungen der Fraunhofer-Wissenschaftler auf das knapp Zehnfache erhöht werden.

Doch nicht jedes Dach eignet sich für die Installation einer Photovoltaik-Anlage. Es muss das zusätzliche Gewicht tragen können und darf nicht stark verschattet sein. Und manche Dächer sind schon besetzt. "Vor allem in Städten werden Dachflächen auch für Begrünung oder technische Aufbauten genutzt", sagt Tilmann E. Kuhn, Gruppenleiter für solare Gebäudehüllen am Fraunhofer ISE. Betrachte man aber das gesamte Gebäude, stehe mehr als genug Betriebsfläche für solare Energiegewinnung zur Verfügung, um die anvisierte Leistung von 500 Gigawatt zu erreichen.

Große Auswahl: An einer Musterfassade ist zu sehen, wie Photovoltaik in die Wand integriert werden kann. (Foto: Ed. Züblin)

Photovoltaik lässt sich nämlich inzwischen nicht mehr nur in Modulform auf dem Dach installieren. Die neuesten Typen von Solarzellen sind so in Gebäude integriert, dass sie als solche kaum mehr erkennbar sind: als Fassadenplatten glänzend oder matt und farblich breit gefächert, als teiltransparente Elemente in Fensterglas oder Markisen, in Form von Dachziegeln oder als Teil eines Balkongeländers.

Allein Deutschlands Gebäudefassaden haben das Potenzial für 2200 Quadratkilometer sogenannter bauwerkintegrierter Photovoltaik (BIPV). Das entspricht einer Leistung von etwa 450 Gigawatt. Hinzukommen 2800 Quadratkilometer nutzbarer Dachfläche für weitere 550 Gigawatt Leistung.

Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse, die das Fraunhofer ISE zusammen mit dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) erstellt hat. Dazu haben die Wissenschaftler 53 Millionen oberirdische Gebäudeobjekte in Deutschland in Form eines Klötzchenmodells untersucht. Abgeleitet werden diese Klötzchen aus dem Liegenschaftskataster und den Hauskoordinaten mit Höheninformationen. In der Analyse haben die Forscher die Gebäudegeometrien sowie die technischen Charakteristika der BIPV-Systeme berücksichtigt.

Die Bauelemente können noch mehr. Sie schützen auch vor Hitze und Lärm

Kuhn sieht die Vorteile der Photovoltaik an Gebäuden vor allem in der verbrauchsnahen, flächenneutralen Stromproduktion und der höheren gesellschaftlichen Akzeptanz: "Wenn wir Strom dort produzieren, wo er auch verbraucht wird, müssen wir das Stromnetz weniger stark ausbauen, um den Strom innerhalb des Landes zu verteilen. Und wenn sich die Technik ästhetisch in die Architektur einfügt, wird sie im öffentlichen Raum nicht als Fremdkörper wahrgenommen."

Als Bauelemente, die ein Bestandteil der Gebäudehülle sind, haben BIPV-Module einen funktionalen Mehrfachnutzen. Sie wandeln nicht nur Solarenergie in Strom um. Als Teil der Fassade sind sie zugleich Schall- und Wetterschutz, Wärmedämmung oder Verschattungselemente.

Auch Fertighaushersteller verbauen Fassaden, die Strom erzeugen. Hier ein Gebäude von Schwörer-Haus mit Solarmodulen in Glasoptik. (Foto: Juergen Lippert/Schwörer-Haus)

Je mehr Fläche zur Verfügung steht, desto mehr Leistung kann BIPV erbringen. Damit wird die Fassade für Immobilieninvestoren interessant. "Die Dachfläche eines Baukörpers bleibt immer gleich groß", sagt Björn Rau, stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrum Photovoltaik Berlin am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), "die Fassade aber wächst mit der Höhe eines Hauses". Und da Strom nicht nur mittags genutzt werde, sei auch eine BIPV-Installation an Fassaden mit Ost- oder West-Ausrichtung sinnvoll, die morgens und abends am effektivsten arbeitet.

Allerdings hat bauwerkintegrierte Photovoltaik ihren Preis. Sie ist annähernd doppelt so teuer wie eine klassische Anlage auf dem Dach. Ähnliches gilt, wenn man Fassadenkosten miteinander vergleicht: Bei einer vorgehängten Konstruktion mit BIPV-Elementen, die mit Abstand zur tragenden Wand an dieser befestigt sind, müsse man mit ungefähr 500 Euro pro Quadratmeter anstelle von 200 bis 250 Euro pro Quadratmeter für eine herkömmliche vorgehängte Fassade rechnen, schätzt Rau. Darin einkalkuliert seien dann aber auch schon die gesamte Installation, also Unterkonstruktion, Kabel, Wechselrichter und die Netzeinspeisung.

Den deutlich höheren Anschaffungskosten muss die Einsparung der Bauteilkosten gegenübergestellt werden, die durch die Photovoltaik-Fassade ersetzt werden. Auch die Stromerträge müssen in die Kostenbetrachtung mit einbezogen werden. "Man darf BIPV nicht einfach als Technik zur Stromerzeugung sehen, sondern als Bau- und Gestaltungsmaterial wie Stein oder Glas", sagt Rau. "Am Ende haben Sie dann nicht nur eine Fassade, die das Haus sowieso benötigt, sondern eine, die auch noch Energie erzeugt."

Neue Chancen durch neue Gesetze? In Berlin und Hamburg soll ab 2023 eine "Solarbaupflicht" gelten

Solarmodule für bauwerkintegrierte Photovoltaik, die den Anforderungen von Architekten und Planern gerecht werden, sind indessen noch Nischenprodukte. Bis eine breite Produktpalette zu marktfähigen Preisen zur Verfügung steht, muss sich noch einiges tun. "Wir brauchen mehr Hersteller, die den deutschen Markt verstehen, die die regionale Architektur kennen und das deutsche Baurecht", erklärt Rau. Denn: "Unsere strengen Zulassungsbedingungen für neue Bauprodukte werden sich chinesische Massenproduzenten nicht antun." Dieser Markt entstehe gerade. Aber wenn es über standardisiertes Design hinausgehen solle, müsse auch mehr Nachfrage generiert werden. "Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, die Gebäudehülle in neue Photovoltaik-Baugesetze zu schreiben und nicht nur das Dach", sagt Rau.

So soll in Berlin und Hamburg von 2023 an eine "Solarbaupflicht" gelten. Die Installation und der Betrieb von Photovoltaikanlagen sind dann für Neubauten und - in Berlin - bei wesentlichen Umbauten an Dächern auf Bestandsgebäuden verpflichtend. Mehrere bayerische Städte, darunter Würzburg, Erlangen und Amberg, setzen eine "solare Baupflicht" bereits um. Die Landesregierungen von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wollen eine Solarbaupflicht für Gewerbebauten einführen. In Baden-Württemberg soll sie für neue Wohngebäude gelten und bis Ende 2022 gesetzlich verankert werden.

Hauptportal des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme mit farbigen PV-Modulen. (Foto: Dirk Mahler/Fraunhofer ISE)

Um das hohe Potenzial der BIPV zu erschließen, muss eine Brücke zwischen Planern auf der einen Seite und der Photovoltaik-Branche auf der anderen Seite geschaffen werden. Thorsten Kühn ist solch ein Brückenbauer. Am BAIP, der Beratungsstelle für bauwerkintegrierte Photovoltaik am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), berät er Architekten, Bauherren, Investoren und Stadtentwickler im Umgang mit BIPV und der neuen Solarzellen-Generation.

"Beim Gedanken an Photovoltaik haben die meisten immer noch die gängigen Aufdachanlagen mit den kristallinen, blau gesprenkelten Siliziummodulen im Kopf", sagt der Architekt und Energieexperte Kühn. "Inzwischen gibt es aber auch Module, die auf Dünnschichttechnik basieren und mehr Gestaltungsspielraum bieten oder sogar biegsame, sogenannte organische Photovoltaik." Er möchte Planer in einem ersten Schritt darüber aufklären, welch großes Spektrum an BIPV-Möglichkeiten überhaupt vorhanden ist und anschließend, welche Option für ihr jeweiliges Bauvorhaben geeignet sein könnte. Dabei fungiert er auch als Übersetzer: "Der Photovoltaiker rechnet in Leistung oder Kilowattpeak, der Architekt denkt in Quadratmetern." Seiner Ansicht nach gibt es einen großen Bedarf an unabhängiger Beratung und Fortbildung wie sie von BAIP geleistet wird.

Noch fehlen Langzeiterfahrungen

Bis jetzt gibt es wenig Erfahrung mit dem Langzeitverhalten von Solarmodulen in einer Fassade bei verschiedenen Jahreszeiten und Witterungsbedingungen. Das soll sich nun ändern. Die mit 360 Dünnschichtmodulen bestückte Vorhangfassade eines neuen Gebäudes des Helmholtz-Zentrums in Berlin-Adlershof soll als Reallabor mittels eingebauter Sensoren ab Juni diesen Jahres Daten liefern. An ihnen lässt sich ablesen, wie sich die realen Wetterbedingungen, Feinstaub, Regen und Verschmutzung auf die Leistung der Solarzellen auswirken. 72 Thermofühler erfassen die Temperatur an den Rückseiten der Module, denn Wärme kann die Leistung verringern. Wie gut die Wärme abgeführt wird, messen weitere Sensoren. Die Module selbst sind in "Helmholtz-Blau" gehalten. Selbst bei geringer Distanz sehen sie aus wie eine ganz normale Fassadenverkleidung.

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