Solar Millennium: Gehalt für Utz Claassen:Neun Millionen für 74 Tage

Der Kurzzeit-Chef Utz Claassen hat bei Solar Millennium ein extrem üppiges Salär kassiert. Das empörte nicht nur die Öffentlichkeit, sondern beschäftigt nun auch die Staatsanwaltschaft: Sie ermittelt wegen Untreue gegen drei Aufsichtsräte der Erlanger Firma.

Markus Balser und Uwe Ritzer

Die Pläne übertreffen alles Dagewesene: Sechs Milliarden Dollar soll das größte Solarkraftwerk der Welt kosten. Auf einem 2800 Hektar großen Areal in der kalifornischen Mojave-Wüste etwa 350 Kilometer östlich von Los Angeles soll es entstehen. Viele hundert Millionen Dollar will der Erlanger Kraftwerksentwickler Solar Millennium bis zum Sommer für den ersten Bauabschnitt eintreiben. In einigen Jahren soll die Anlage so viel Strom liefern wie ein Kernkraftwerk. "Blythe ist ein Meilenstein für unsere Nation", sagt US-Innenminister Ken Salazar.

EnBW und Claassen offenbar vor aussergerichtlicher Einigung

Das üppige Salär für Utz Claassen beschäftigt nun die Staatsanwaltschaft.

(Foto: ddp)

Blythe soll nur der Anfang sein. In Spanien steht bereits eine Pilotanlage. China will ähnliche Kraftwerke bauen. Auch Indien ist interessiert. Solar Millennium scheint ganz oben angekommen, auf einer Stufe mit Großkonzernen wie Siemens. Ein Hoffnungsträger des grünen Zeitalters. Auch beim gigantischen Wüstenstromprojekt Desertec ist man dabei. "Wir entwickeln Zukunft", tönt der Firmenslogan.

Nun jedoch droht die eigene Vergangenheit Solar Millennium einzuholen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung geht es um mögliche schwere Untreue und etwaige Verstöße gegen das Aktienrecht, die nun auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen. Sie stehen in Zusammenhang mit dem merkwürdigen 74-Tage-Engagement des Star-Managers Utz Claassen an der Spitze von Solar Millennium.

Vom 1. Januar bis 15. März 2010 war der Ex-Chef des Energiekonzerns EnBW Vorstandsvorsitzender des Erlanger Unternehmens. Man trennte sich im Unfrieden. Im Zusammenhang mit den vielen Millionen Euro, die Claassen bei Solar Millennium kassierte, soll es zu strafbaren Handlungen durch den Aufsichtsrat gekommen sein. Zu diesem Schluss kommt ein interner Untersuchungsbericht vom Februar dieses Jahres. Das brisante Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, belastet den Aufsichtsrat schwer.

Allein das hohe Gehalt für Claassen und damit verbundene "sehr großzügige Rückzahlungsregelungen bei vorzeitigem Ausscheiden" seien bereits "grenzwertig", heißt es darin. Diese Grenzen seien jedoch mit einer späteren Zusatzvereinbarung mit Claassen ganz klar überschritten worden. Mit ihr sei Solar Millennium "ein weiteres hohes finanzielles Risiko eingegangen", gemessen an der überschaubaren Ertragskraft des Unternehmens. Die Vereinbarung sei ein "gravierender aktienrechtlicher Verstoß" und strafbar als Untreue "bei der die naheliegende Möglichkeit eines besonders schweren Falles besteht", so das Fazit.

Der von Solar Millennium bislang unter Verschluss gehaltene Untersuchungsbericht stammt von der Erlanger Anwaltskanzlei Bissel. Er stützt sich auf ein entsprechendes Rechtsgutachten des Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie der Universität Erlangen-Nürnberg, Hans Kudlich.

Der Imageschaden ist riesig, die finanziellen Folgen fatal

Der Bericht wurde im Juni vorigen Jahres vom damaligen Solar-Millennium-Vorstandschef und Claassen-Nachfolger Thomas Mayer in Auftrag gegeben. Wenig später war auch Mayer weg. Der Inhalt der Expertise ist eine volle Breitseite gegen den Aufsichtsrat um den mächtigen Unternehmensgründer Hannes Kuhn, der noch immer als Kopf hinter Solar Millennium gilt und 15 Prozent halten soll. Das äußerst üppige Salär für Utz Claassen beschäftigt inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Sie hat Ermittlungen wegen Untreue gegen drei Aufsichtsräte aufgenommen, bestätigte Oberstaatsanwalt Wolfgang Träg auf Anfrage. Auslöser sei die Anzeige eines Aktionärs von Solar Millennium.

Damit reißt die bizarre Personalposse um Utz Claassen die Firma endgültig in einen tiefen Strudel. Die juristische Aufarbeitung des Debakels lässt tiefe Blicke in ein Unternehmen zu, dessen Gegenwart von grotesken Auseinandersetzungen überschattet wird, was viele Fragen aufwirft: Wie konnte eine Firma, deren Umsatz sich im Geschäftsjahr 2009/2010 auf gerade noch 73,2 Millionen Euro halbierte und die ganze 700.000 Euro Vorsteuergewinn auswies, Millionenverträge mit Claassen schließen? Musste ein Ex-Vorstandschef gehen, weil er brisantes Material gegen den Aufsichtsrat in den Händen hatte? Und warum verschwieg das Management der Öffentlichkeit monatelang den Untersuchungsbericht?

"Eine Bewertung ist seriös nicht möglich"

Die Geschichte von Solar Millennium erzählt von großen Hoffnungen und einem tiefen Fall. Im Kern geht es um hochtrabende Pläne. Der schillernde Claassen sollte den Mittelständler auf die nächste Ebene hieven. Das hoffte zumindest der Aufsichtsrat. Doch dann wirft Claassen nach 74 Tagen urplötzlich hin. Der Business-Plan des Unternehmens sei "seines Erachtens eindeutig fehlerhaft", habe er Anfang Februar 2010 mitgeteilt - nur einen guten Monat nach seinem Start. So steht es in Unterlagen des Aufsichtsrates.

Wüstenstrom-Projekt

In den USA will Solar Millennium ein Super-Sonnenkraftwerk bauen, größer als die Anlage in Kramer Junction, Kalifornien (Bild).

(Foto: dpa)

Das Kontrollgremium trifft sich an Claassens Wohnort Hannover zu einer geheimen Krisensitzung im Flughafenhotel. Verzweifelt versucht der dreiköpfige Aufsichtsrat, den Spitzenmanager zu halten. Die Panik ist groß; man überredet ihn zum Bleiben. Der Preis ist hoch: Der Aufsichtsrat stimmt der Änderung einer großzügigen Vergütungsvereinbarung zu - und macht es Claassen so noch leichter zu gehen. Von einer "freien Beendigungsoption" für den Manager ist die Rede. Einen Monat später ist der endgültig weg.

Der Imageschaden ist riesig, die finanziellen Folgen sind fatal. Denn die Antrittsprämie nimmt Claassen mit: stattliche neun Millionen Euro. Am Ende der kurzen Amtszeit steht damit die sagenhafte Gage von weit mehr als 100.000 Euro täglich. Insgesamt 50 Millionen Euro hätte er in fünf Jahren kassieren sollen. Viel Geld für einen Mittelständler, der am Ende mit leeren Händen dasteht.

Bereits im Sommer 2010 beginnt die Suche nach den Schuldigen. Der Vorstand von Solar Millennium beauftragt die auf Strafrecht spezialisierte Kanzlei Bissel mit besagter Untersuchung, die klären soll: Wie konnte sich Claassen, der heute eine Medizintechnik-Firma betreibt und sich um den Fußballklub RCD Mallorca kümmert, mit so vielen Millionen aus dem Staub machen?

Als der für den eigenen Aufsichtsrat gefährliche Bericht im Februar 2011 vorliegt, verschwindet er in der Schublade. Die Kanzlei Bissel ist ab sofort raus. Nun wird die Kanzlei Skadden mit einer "informellen Sonderprüfung" beauftragt und ein Gegengutachten eingeholt, das der SZ vorliegt. Es kommt für die Aufsichtsräte zu weit angenehmeren Ergebnissen.

Geschrieben hat es der Wiesbadener Fachanwalt Alfred Dierlamm. Er sieht keine Pflichtverletzungen in dem Claassen-Deal. Die Bissel-Expertise komme zu einem "unzutreffenden und nicht vertretbaren Ergebnis", so Dierlamm. "Eine Bewertung der Nachtragsvereinbarung allein auf Grundlage des Vertragstextes ist seriös nicht möglich." Bissel habe nicht "die Ereignisse in Betracht gezogen, die damals zu dem Vertrag führten", sagt Aufsichtsratsmitglied Michael Fischer der SZ. Diese Basis sei zu dünn. "Fakt ist vielmehr: Wir waren in einer Zwangslage, in der wir eine Abwägung unter hohem Zeitdruck treffen mussten", sagt Fischer. "Um unmittelbaren Schaden vom Unternehmen abzuwenden, blieb uns keine andere Wahl, als den Nachbesserungen in Herrn Claassens Vertrag in dieser Form zuzustimmen."

Ein Sprecher von Solar Millennium ergänzt, Gegengutachter Dierlamm habe sich "auf einen vorläufigen ermittelten Sachverhalt" stützen können. Offen bleibt, warum man diese angeblich neuen Fakten nicht einfach der Kanzlei Bissel zukommen und sie nacharbeiten ließ.

Abgesehen von möglichen strafrechtlichen Konsequenzen steht auch eine zivilrechtliche Aufarbeitung an, die für das Vorzeigeunternehmen der grünen Hightech-Szene in Deutschland sehr teuer werden kann. Claassen weist jeden Vorwurf der Abzocke vehement von sich. Er hat Solar Millennium verklagt und fordert eine Abfindung von 7,1 Millionen Euro. Solar Millennium hat Widerklage erhoben; Utz Claassen soll sein Antrittsgeld komplett zurückzahlen. Verhandelt wird ab Herbst vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth.

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