Sogenannter "Clean Diesel":Volkswagen gesteht manipulierte Abgas-Tests

Lesezeit: 3 Min.

  • Volkswagen räumt ein, Abgastests von Diesel-Autos in den USA manipuliert zu haben.
  • Die betreffenden Motoren sollen per Software während der Abgastests heimlich in einem besonders sparsamen Modus versetzt worden sein, der im Straßenverkehr nicht verwendbar war.
  • Ob VW auch in Europa manipuliert hat, ist unklar. Ebenso, ob andere deutsche Autohersteller ähnliche Tricks eingesetzt haben, um deutsche Dieselmotoren als weniger umweltschädlich zu vermarkten.

Von Thomas Fromm, München

Wahrscheinlich hatte sich Martin Winterkorn die IAA irgendwie anders vorgestellt. Eigentlich sollte Frankfurt so etwas wie ein Moment des Aufbruchs werden: VW auf dem Weg in die Zukunft, ein Konzern im Umbau, mit neuen Technologien, neuer Struktur, neuem Selbstbewusstsein. Noch im Frühjahr der Machtkampf mit dem Alt-Patriarchen und Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch.

Und nun: die Nach-Piëch-Ära.

Dann lief die Dramaturgie aus dem Ruder. Ein Manipulationsskandal, und das während der Frankfurter Automesse - für jeden Autokonzern ist das ein Albtraum. Vor allem, wenn der betroffene Konzern selbst nicht so genau weiß, was sich da eigentlich genau abgespielt hat.

VW am Wochenende, das ist ein Unternehmen unter Schock. Noch am Freitag, kurz nachdem die Meldungen aus den USA aufliefen, hieß es aus Wolfsburg: Man müsse sich erst mal selbst ein Bild machen. So viel weiß man heute: Die US-Umweltbehörde EPA wirft VW vor, mithilfe einer speziellen Software die Abgasuntersuchungen von Diesel-Pkw geschönt zu haben. Betroffen sind VW- und Audi-Modelle; die Software soll dafür gesorgt haben, dass die Schadstoff-Grenzen nur in Tests eingehalten wurden.

Schadstoffe bis zum 40-fachen der erlaubten Grenzwerte

Betroffen seien Autos der Baujahre 2009 bis 2015, darunter der A3, der Jetta und der Passat. "Einfach gesagt, diese Autos hatten ein Programm, das die Abgasbegrenzung beim normalen Fahren ausschaltet und bei Abgastests anschaltet", so EPA-Vertreterin Cynthia Giles.

Eine Vorrichtung, die bei der EPA "Defeat Device", Abschalteinrichtung, genannt wird und die dafür sorgt, dass der Ausstoß von Stickstoffdioxiden beim Fahren auch schon mal bis zum 40-Fachen über den Dieselabgas-Grenzwerten liegen kann.

Die Manipulationsvorwürfe in Zahlen: 482 000 betroffene Autos, mögliche Strafe insgesamt: bis zu 18 Milliarden Dollar.

Am Sonntag dann räumt der Konzern ein: "Der Sachverhalt trifft zu. Wir arbeiten aktiv mit der Behörde zusammen." Und Winterkorn, der 68-jährige Konzernchef, der sich so viel lieber auf die IAA konzentriert hätte, lässt wissen: "Ich persönlich bedauere zutiefst, dass wir das Vertrauen unserer Kunden und der Öffentlichkeit enttäuscht haben."

Zwei Aussagen, die aufhorchen lassen: Erstens werde man mit den "zuständigen Behörden zusammenarbeiten". Zweitens: "Hierzu hat Volkswagen eine externe Untersuchung beauftragt." Wenn externe Prüfer an Bord geholt werden, dann wird es ungemütlich.

In der Wolfsburger Zentrale stehen die Zeichen auf Sturm. Das Geschäft in den Vereinigten Staaten läuft notorisch schwach. Erst vor einigen Tagen sagte der neue VW-Markenchef Herbert Diess in Frankfurt, dass es besser werden müsse in den USA. Er wäre nicht der Erste, der versucht, die Sache in Übersee zu drehen. Aber, so Insider, vielleicht habe der frühere BMW-Manager ja die richtigen Rezepte für den Markt.

Haben auch andere Hersteller ihre Abgaswerte manipuliert?

Allein im August musste das Unternehmen bei seiner Kernmarke VW in den USA ein Absatzminus von 8,1 Prozent auf rund 32 300 hinnehmen - die Ermittlungen der Umweltbehörde werden nun nicht gerade dafür sorgen, dass es besser wird.

Die Nachforschungen, so viel ist klar, haben wohl gerade erst begonnen. Haben auch andere Hersteller in den USA die Software eingesetzt, um Öko-Standards zu simulieren, von denen man in Wahrheit kilometerweit entfernt ist? Und hat VW die Software auch in anderen Regionen, vielleicht in Europa, eingesetzt? Werden, wie am Wochenende gefordert, nun auch Untersuchungen in Deutschland stattfinden? Wird die EU-Kommission aktiv? All dies war am Sonntag noch offen - intern wird bei VW nun vieles geprüft.

Auf dem Spiel steht hierbei nicht nur das US-Geschäft von VW. Es geht um die Diesel-Strategie der deutschen Autokonzerne insgesamt, die seit Jahren versuchen, ihre Dieseltechnologie in die USA zu exportieren. Flankiert vom Branchenverband VDA, der sich seit Jahren in den USA für die Selbstzünder stark macht. Noch in der vergangenen Woche lobte VDA-Präsident Matthias Wissmann den Dieselmotor: "Allen Kritikern des Diesel sei gesagt: Wer es ernst meint mit Klimaschutz und CO₂-Reduktion, der muss auch Ja sagen zum Clean Diesel." Und er fügte hinzu: "Der moderne Clean Diesel ist ein Saubermann."

Daimler schließt ähnliche Manipulation aus. Wenigstens ein bisschen

Nur ein paar Tage später sagt der Autoexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach: "Das ist ein Bärendienst für die ganze deutsche Dieseltechnologie." Das Image von Dieselautos würde schwer angekratzt.

Einer, der am Sonntag überraschend aus der Deckung ging, war Daimler-Chef Dieter Zetsche. Bemerkenswert, wie er einerseits ausschloss, dass Daimler ähnliche Probleme hat. Andererseits aber sagte, dass man nichts ausschließen könne. Er gehe davon aus, Daimler habe die Gesetze "sowohl dem Buchstaben nach als auch dem Sinne nach" eingehalten.

Er bedauere natürlich, was Volkswagen in den USA gerade erlebe, sagte der Daimler-Chef. "Ich habe eine grobe Vorstellung, worum es geht und dass das auf uns nicht zutrifft, nicht übertragbar ist." Andererseits sei es noch zu früh, endgültige Aussagen zu machen. Damit sprach er wahrscheinlich für viele.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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