Software:Mit Open Source siegt die Vernunft
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Von Helmut Martin-Jung und Christoph Neidhart
Gerald Pfeifer sieht die Sache ganz pragmatisch: "Die Kunden brauchen Software, die funktioniert", sagt der Österreicher, der bei der Nürnberger Software-Firma Suse die Bereiche Produkte und Services leitet. "Wenn's nicht tut oder zu langsam arbeitet, ist es keine Option." Es, das ist Software, die man auch in Fachkreisen noch vor einigen Jahren vielfach belächelt hat. Oder, wie der Windows-Hersteller Microsoft, mit Krebs verglichen und bekämpft hat, wo es nur ging: Open-Source-Software, auch freie Software genannt.
Software also, deren Quellcode jedermann zur Verfügung steht, die jeder verändern darf. Man übertreibt kaum, wenn man feststellt: Diese Software regiert inzwischen die Welt. Und ja, sie ist eine Option, eine Option, die immer häufiger gezogen wird.
"Open-Source-Software ist in vielen Bereichen zum Standard geworden", sagt Peter Ganten, Chef der Bremer Open-Source-Softwarefirma Univention und Chef der Open Source Business Alliance. "Google, Facebook, Amazon - sie alle basieren auf Open-Source-Software", sagt Ganten, "auch Android", also Googles Betriebssystem, das die weitaus meisten Smartphones antreibt sowie viele andere Geräte.
Wieso diese überraschende Wende? Und wer schreibt eigentlich diese Software, was ist die Motivation dahinter?
Dass Open-Source-Software heute so erfolgreich ist, könnte man als Sieg der Vernunft bezeichnen. Es ist für Firmen wenig sinnvoll, Basis-Leistungen ihrer IT-Systeme alleine zu entwickeln oder sie teuer und unflexibel bei kommerziellen Anbietern einzukaufen. Mehr und mehr Unternehmen öffnen sich deshalb für die einst als Hobby-Produkte geschmähte Software.
Entstanden ist, was der Stuttgarter Open-Source-Unternehmer Frank Karlitschek als "Kollaborationsmodell" bezeichnet. Firmen, die bestimmte IT-Basisdienste brauchen, entwickeln sie gemeinsam. Firmen wie IBM, Google und viele andere leisten ihren Beitrag, alle profitieren davon. Das prominenteste Beispiel für eine Software, die so entwickelt wird, ist Linux.
Linux mit GNU-Lizenz
Linus Torvalds, sein Schöpfer, hatte die erste Version seines Betriebssystems 1991 nur für den Eigengebrauch geschrieben. Torvalds, damals 21, veröffentlichte es aber im Internet - und war überrascht vom großen Echo. Die nächste Version von Linux, die er im Sommer 1993 publizierte, versah er mit der sogenannten GNU-Lizenz. Sie erlaubt es Anwendern, das Programm herunterzuladen, den Quellcode einzusehen, es zu nutzen und auch, es zu verändern.
Verfasser dieser Lizenz war Richard Stallman. Mit Modifikationen ist sie zum Industrie-Standard geworden. Hersteller wie Microsoft und Apple hingegen verbieten es ihren Kunden, jene Programme zu modifizieren, für die sie teures Geld bezahlt haben. Was die Kunden auch kaum könnten, denn sie bekommen die Programme in einer Form, die nur Computer verarbeiten können, nicht aber als Quellcode.
Freie Software ist also - entgegen dem landläufigen Vorurteil - nicht zu verstehen als Software, die es kostenlos gibt. Die GNU-Lizenz erlaubt es dem Anwender sogar, die Software zu verkaufen, verbunden mit einem Servicevertrag etwa. Oder integriert in ein Gerät - ein Auto zum Beispiel.
Mit freier Software wird deshalb auch Geld verdient und das nicht zu knapp. Die Firma Red Hat zum Beispiel vertreibt eine Linux Version für Unternehmen, Red Hat Enterprise Linux (RHEL), setzte damit sowie mit anderer freier Software im vergangenen Jahr vier Milliarden Dollar um und machte 254 Millionen Dollar Gewinn. Der Aktienkurs des Unternehmens hat sich im Laufe nur eines Jahrzehnts verzehnfacht. Die Nürnberger Firma Suse, ebenfalls Spezialist für Open-Source-Software, verfolgt ein ähnliches Geschäftsmodell und entwickelt sich ebenso erfolgreich. Sie bieten ihren Kunden die Garantie, dass sie die Software über längere Zeiträume stabil nutzen können, leisten Support und helfen zum Beispiel auch dabei, sie in eine Richtung weiterzuentwickeln, die der Kunde wünscht.
Diese Wünsche können ganz unterschiedlich sein. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) etwa lege äußersten Wert auf Ausfallsicherheit, sagt Gerald Pfeifer von Suse. Andere Kunden wollten, dass man Updates auch einspielen kann, ohne Cluster aus Hunderten von Servern neu starten zu müssen. Letzteres Problem ist ein gutes Beispiel für die kollaborative Organisation bei Open-Source-Software. Verschiedene Hersteller hatten, getrieben von Kundenwünschen, verschiedene Ansätze entwickelt, wie man den Neustart umgehen könnte. Am Ende setzte sich eine Lösung mit dem besten dieser Ansätze durch. Ganz ohne Konflikte geht das natürlich auch nicht immer ab. "Manchmal sagen wir: links. Und ein anderer sagt: rechts, das dauert dann manchmal ein bisschen. Und manchmal gibt es auch nicht die eine Lösung", sagt Pfeifer.
Insgesamt aber seien Open-Source-Produkte in vielen Bereichen führend - wegen des Entwicklungsmodells. "Vor 15 Jahren", sagt Pfeifer, "musste Linux noch aufholen, etwa bei der Skalierbarkeit", also der Möglichkeit, mit den Anforderungen schnell und unkompliziert mitzuwachsen. Das aber habe sich komplett gedreht.
Autobauer basteln an "Automotive Grade Linux"
Und so überlegt mittlerweile auch die Autobranche sehr intensiv, bei den IT-Grundsystemen für autonome Fahrzeuge dieses erfolgreiche Modell zu übernehmen. Schließlich steht fest: Die Autos der Zukunft werden Computer auf Rädern sein. Und diese Computer brauchen ein stabiles Betriebssystem. Toyota zum Beispiel engagiert sich bereits seit sieben Jahren beim "Automotive Grade Linux" (AGL), einem Kooperationsprojekt, das eine einheitliche Software-Plattform für die Automobilindustrie aufbauen will.
Nun ist klar, dass Autos in anderen Zeiträumen entwickelt werden als etwa Smartphones und auch länger im Einsatz sind. Daher gibt es Versionen von Linux, die auch lange unterstützt werden, bekannt unter dem Kürzel LTSI, das für Long Term Support Initiative steht.
Ihr oberster Wächter, im Jargon Maintainer genannt, ist Tsugikazu Shibata, ein Software-Ingenieur der Firma NEC. Das Tokioter Traditionsunternehmen setzt heute voll auf Open Source. Nein, es sei nicht einfach gewesen, seine Bosse von Open Source zu überzeugen, lacht Shibata. "Erst musste ich mich selbst überzeugen." Schließlich seien in den großen japanischen Firmen die meisten Leute "old school". Doch nach zehn Jahren Arbeit an Linux glaubt Shibata, der auch dem Vorstand der Linux-Stiftung angehört, vorbehaltlos an Open Source. In den nächsten 15 Jahren drohe Linux keine Konkurrenz, ist er sicher. Der Kernel, also der innerste Kern des Systems, sei schon heute der sicherste.
Open Source bedeutet oft Flexibilität
Es kommt aber auch ein Zweites hinzu: Die Digitalisierung hat es mit sich gebracht, dass sich Geschäftsfelder schnell verändern. "Google oder Amazon verwenden Open Source, weil sie nur so schnell selber Veränderungen vornehmen können", sagt Open-Source-Experte Peter Ganten, "die können nicht auf Microsoft oder Oracle warten." Mit Open Source, ergänzt Frank Karlitschek, der Stuttgarter Open-Source-Unternehmer, vermeide man auch, sich einem kommerziellen Anbieter auszuliefern. Für andere Unternehmen ist die Transparenz besonders wichtig, die Open Source bietet. "Nur durch Quellcode-Analyse ist es möglich zu prüfen, was wirklich mit meinen Daten passiert", sagt Ganten.
Bis 1974 waren Computerprogramme in den USA nicht Copyright-geschützt. Microsoft-Gründer Bill Gates zettelte als einer der ersten einen Streit um ein Software-Copyright an. In einem offenen "Brief an die Hobbyisten", eine bissige Umschreibung für die Szene der freien Programmierer, argumentierte er, wenn Software nicht durch ein Copyright geschützt und bezahlt werde, hätten die Ingenieure keinen Anreiz, sie weiterzuentwickeln. Zwar müssen sich die Microsofts und Oracles mittlerweile nolens volens mit Open Source arrangieren, weil sich diese Software in vielen Gebieten als Standard etabliert hat. Ihre feindselige Haltung haben sie deshalb zumindest in der Kommunikation nach außen längst aufgegeben. Doch geht die Entwicklung weiter wie bisher, nagt das natürlich mehr und mehr an ihrem Geschäft.
Das betrifft zum Beispiel auch das Bildungswesen. Die mögliche Koalition aus Union und SPD hat sich hohe Ziele auch bei der Bildung gesteckt. "Alle haben erkannt, dass etwas geschehen muss", sagt Peter Ganten, der für seine Firma auf gute Geschäfte hofft. Das Schulsystem müsse Schülern, Lehrern und auch den Eltern Anwendungen zur Verfügung stellen, die auf allen Geräten laufen und unter der Kontrolle des Bildungssystems stünden. Diesen Markt, sagt Ganten, dürfe man nicht den großen US-Unternehmen überlassen, da sei er sich auch mit den allermeisten Kultusministern einig.
Ob sich hier auch eine von Vernunft getriebene Lösung finden wird wie bei Linux und anderen Open-Source-Produkten, eine, die vielleicht auch die Zersplitterung des Bildungswesens überwinden oder kitten kann, wird sich zeigen müssen. An der Software hängt das vermutlich nicht in erster Linie.