Umfrage unter Wirtschaftswissenschaftlern:Sieben populäre Irrtümer über Ökonomen

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov / SZ)

Die Zunft hat ihren Ruf weg. Ökonomie-Professoren sind schlecht im Prognostizieren, sozial eher unsensibel, gegen Mindestlöhne - und im Zweifel in der AfD. Ist das wirklich so?

Von Thomas Fricke und Sofia Velasco

Gut 1000 Ökonomen haben in den vergangenen Wochen an der dritten großen Befragung der deutschen Wirtschaftswissenschaftler teilgenommen. Die Fragen wurden vom Internetportal Wirtschaftswunder im Auftrag der Süddeutschen Zeitung und in Kooperation mit der Ökonomenvereinigung, dem Verein für Socialpolitik, gestellt und ausgewertet. Die Antworten der Wissenschaftler bringen manches Klischee ins Wanken. Teil zwei der Auswertung.

Die AfD hat eigentlich recht

So lautete lange ein Standardsatz, wenn es um die Partei des Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Lucke ging, bevor diese sich in internen Querelen verlor. Eine Partei von Professoren für Professoren? In Wahrheit schneidet die AfD bei den Ökonomen im Land ziemlich schlecht ab - nicht besser als bei Nicht-Professoren.

(Foto: SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (7): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ,)

Auf die Frage, für welche Partei sie die größte Sympathie haben, antwortete nicht einmal jeder Zwanzigste mit der Lucke-Partei - und das bei einer anonymisierten Auswertung. Also wie im richtigen Wählerleben. Macht gerade einmal 4,3 Prozent - knapp unter der Fünf-Prozent-Schwelle. Schlechter kommen unter den Wirtschaftswissenschaftlern nur Linkspartei und Piraten weg.

Wirtschaftskompetente CDU

Bei den Ökonomen steht die Parteienlandschaft auf dem Kopf. Erstaunlich: Die Partei der Kanzlerin kommt dieses Frühjahr gerade noch auf 13,6 Prozent Sympathisanten unter den Wirtschaftsexperten - noch einmal ein bisschen weniger als bei der Vorgängerumfrage 2010 mit gut 14 Prozent. Damit rangiert die Union noch hinter der SPD, die auf - ebenfalls bescheidene - knapp 15 Prozent kommt.

Am beliebtesten sind bei Deutschlands Ökonomen, Achtung, die Grünen, die zwar gegenüber 2010 ein Fünftel Wähler verloren haben, mit gut 20 Prozent aber noch vor der FDP liegen, der zweiten Volks(wirte)partei. Die Liberalen haben zwar auch bei den Professoren verloren, kommen mit 17 statt 20 Prozent aber immer noch besser davon als SPD und CDU. Kurz: Hätten Professoren das Sagen, würden wir nicht von Bernd Lucke regiert, sondern eher von einer Großen Koalition aus Grünen und FDP.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sind dagegen, fast alle Professoren im Sachverständigenrat auch, und die Bundesbank hat ebenfalls keinen Hehl aus ihren Zweifeln gemacht. Der Mindestlohn scheint ökonomisch einfach nicht gut.

Na ja, so eindeutig scheint das nicht zu sein. Tatsächlich hält der Umfrage zufolge eine Menge Ökonomen den Mindestlohn für falsch - unabhängig davon, ob jene 8,50 Euro zu hoch sind oder nicht, die seit Januar in Deutschland als Untergrenze gelten. Wenn der Lohn gesetzlich höher liege als das, was am Markt sonst vereinbart würde, müssten Jobs wegfallen. Das antworteten fast 40 Prozent der Experten.

(Foto: SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (7): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ,)

Immerhin ein Fünftel der 1000 Umfrageteilnehmer hält einen Mindestlohn für nötig und sinnvoll, weil er hilft, Missbrauch zu verhindern oder die Einkommen zu stabilisieren. Mit pauschal 8,50 Euro sei er nur zu hoch. Und: Ein stattliches Drittel der Experten findet, dass der Mindestlohn selbst in dieser Höhe in Ordnung geht - und fühlt sich durch die ersten Monate Praxistest eher bestätigt. Der große Einbruch am Arbeitsmarkt ist bislang ausgeblieben. Viele Betriebe scheinen sich zumindest derzeit auch die höhere Bezahlung leisten zu können.

Im Grunde spiegelt sich in den Umfragewerten die internationale Debatte. Auch da ist die Meinung geteilt, gibt es theoretisch viele Bedenken, in der Praxis aber wenige Belege dafür, dass ein Mindestlohn so viel Schaden anrichtet, wie seine Gegner unken. Einigen wir uns auf unentschieden.

Die Schuldenbremse wirkt

Seit in Deutschland die Schuldenbremse verabschiedet worden ist, scheint die staatliche Neuverschuldung gestoppt zu sein. Zufall oder nicht? Auch hier gilt, dass sich Deutschlands Ökonomen gar nicht so einig sind. Zwar ist der Anteil derer seit 2010 spürbar gestiegen, die in der Schuldenbremsenvorgabe eines mehr oder weniger ausgeglichenen Haushalts in konjunkturell normalen Zeiten ein geeignetes Instrument sehen, um Staatsschulden abzubauen. Uneingeschränkt begeistert scheint aber nur eine Minderheit von gut 20 Prozent zu sein. Lediglich unter Vorbehalt wollen fast 60 Prozent die Schuldenbremse lobpreisen.

(Foto: SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (7): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ,)

Was sich hinter der Skepsis verbirgt, wird bei der Frage danach klarer, was denn die beste Strategie wäre. Da herrscht bunte Vielfalt. Nur noch 14 Prozent votieren für die bisherige EU-Praxis, jährlich Ziele für das Staatsdefizit vorzugeben. Gut jeder Vierte stimmt dafür, lediglich die Staatsausgaben unter Kontrolle zu halten, die nicht von der Konjunktur abhängen - weil sich alles andere ohnehin schwer steuern lasse. Und immerhin zwölf Prozent sagen, es solle besser gar keine festen Regeln geben, nach dem Motto: Es ist besser, keine Regeln zu haben, als diese ständig zu brechen, weil Wirtschaft und Staatsdefizite gar nicht so genau zu steuern sind.

Es ist kein Geheimnis, dass Kanzler Gerhard Schröder beim Aufstellen seiner Agenda eine Menge aus der Reformvorschlags-Liste des Sachverständigenrats abgeschrieben hat. Entsprechend positiv ist heute auch das Urteil der Ökonomen. Oder nicht?

(Foto: SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (7): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ,)

Immerhin gut 40 Prozent der befragten Wissenschaftler stufen Schröders Agenda tatsächlich als Hauptgrund dafür ein, dass seit 2005 die Arbeitslosigkeit in Deutschland so stark gesunken ist. Und fast 50 Prozent stimmen zu, dass Deutschland sich dadurch für die kommenden Jahre fit gemacht hat. Immerhin ein Viertel der Ökonomen im Land hält allerdings die gute weltweite Konjunktur für den wichtigeren Grund. Und jeder Fünfte sagt, dass es weniger an der Agenda, als vielmehr an der Lohnzurückhaltung in den Betrieben lag, die Jahre vor den Reformen eingesetzt hat. Gut 20 Prozent urteilen umgekehrt, dass Deutschland durch die Agenda gar nicht wirklich fit gemacht worden ist - und das Land sehr viel radikalere Reformen bräuchte. Auch hier scheint es noch Diskussionsbedarf zu geben.

Reichtum ist gut

Lange Zeit galt unter Ökonomen, dass Einkommen gar nicht stark genug auseinander driften können, weil das einen Anreiz schafft, aufzusteigen. Leitspruch: Leistung muss lohnen. So sieht es etwa der Sachverständigenrat noch heute.

(Foto: SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (7): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ,)

Im Durchschnitt urteilen die Ökonomen im Land da heute offenbar kritischer. Mehr als die Hälfte der Befragten stimmt der Äußerung "stark zu", wonach "eine sehr ungleiche Einkommensverteilung mehr ökonomisch-soziale Schäden als Nutzen mit sich bringt". Nur zehn Prozent sehen das anders. Fast die Hälfte der Experten stimmt dem Vorschlag sogar zu, in Ländern mit besonders hohem Gefälle wie den USA die Einkommen stärker progressiv zu besteuern - die Steuersätze bei sehr hohen Einkommen immer weiter zu erhöhen.

Dagegen sind nur 14 Prozent. Es spricht einiges dafür, dass die Zunft hier auch unter dem Einfluss der neuen Forschungen steht, die durch das Buch des Franzosen Thomas Piketty über den Trend zur Ungleichheit angeschoben wurden. Gut 40 Prozent sprechen sich "stark" dafür aus, solche Verteilungsfragen künftig in der Wirtschaftspolitik stärker zu berücksichtigen.

Die Energiewende ist gefährlich

Die forsche Klimapolitik der Bundesregierung kommt Deutschlands Wirtschaft immer teurer zu stehen. So lautet eine Warnung, die Ökonomen wie Ifo-Chef Hans-Werner Sinn oft äußern. Die Sorge: Der Versuch, auf erneuerbare Energien umzustellen, bedeutet vor allem steigende Kosten. Das sieht die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler offenbar gelassener. Dass durch die Energiewende per se die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährdet ist, finden nur knapp 18 Prozent.

Rund 23 Prozent der Experten sagen, dass das nur für Teile der Wirtschaft wie etwa energieintensive Industrien gilt. Mehr als die Hälfte der Ökonomen hält weder die eine, noch die andere Gefahr für so groß - und stimmt der Aussage zu, dass die Energiewende (zumindest) auch eine Chance ist, neue Technologien zu entwickeln und in Sachen klimafreundlicher Produktion weltweit Märkte gewinnen zu können.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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