Snapchat:Im Windschatten

Snapchat: Datenrecherchen der SZ zeigen, wie Facebook Usern immer wieder die Mitgliedschaft in politischen Gruppen vorschlägt.

Datenrecherchen der SZ zeigen, wie Facebook Usern immer wieder die Mitgliedschaft in politischen Gruppen vorschlägt.

(Foto: Manan Vatsyayana/AFP)

Bei all den Debatten um soziale Netzwerke hat sich Snapchat als Insel der Gelassenheit erwiesen - der Konzern will davon profitieren.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer mal an einem Wettrennen teilgenommen hat, der weiß: Es lohnt manchmal, im Windschatten der Konkurrenten zu bleiben, bis die all ihre Energie im Gegenwind verschwendet haben. Wenn man all das betrachtet, was in den vergangenen Jahren auf Technikkonzerne eingeprasselt ist, von vergifteten Debatten über Bedenken zu Daten-Sicherheit, Wahlmanipulation und Fake News, dann kommen die Chefs von Facebook (Mark Zuckerberg), Twitter (Jack Dorsey) und Alphabet (Sundar Pichai) daher wie müde Langstreckenläufer, die bald schon wieder vor dem Kongress aussagen müssen, während Evan Spiegel, Gründer und Chef von Snap, knapp dahinter beschwingt tippelt und ein fröhliches Lied pfeift.

Das liegt womöglich auch daran, dass Spiegel sich seit Jahren beharrlich weigert, seine Plattform ein soziales Netzwerk zu nennen, und es stimmt schon: Gerade in den vergangenen Monaten war Snapchat eine Alternative vor allem für junge Leute, in deren Leben es noch ein paar andere wichtige Dinge gibt als Populismus-Politiker und von beiden Seiten aus vergiftete Coronavirus-Debatten. Die Plattform war, wenn man so will, eine kleine Insel der Gelassenheit mit dem unschätzbaren Vorteil, dass die meisten der gesellschaftlichen Geiferer den Kurs zu dieser Insel nicht kannten - oder bei der Ankunft einfach keine Ahnung hatten, wie sie sich verhalten sollten. Snapchat ist noch immer eine Möglichkeit für junge Leute, sich von den Alten abzugrenzen, und Spiegel pflegt dieses Image geradezu genial.

Der 30 Jahre alte Gründer prognostiziert zum Beispiel für die kommenden Jahre ein Umsatzwachstum von 50 Prozent pro Jahr, und das Ungeheuerliche daran ist nicht die Zahl selbst - die er Analysten zufolge wirklich erreichen könnte -, sondern eher, wie er das erreichen will. Er will sich nicht auf Wachstum und Engagement vorhandener Nutzer verlassen, wie es andere Plattformen tun. "Augmented Reality wird die Zukunft sein", sagte er kürzlich: "Wir verdoppeln unseren Einsatz in diesem Bereich."

Das bedeutet: Die Nutzer nicht mit Werbung nerven, wie es zum Beispiel Instagram tut, sondern dafür sorgen, dass die Leute denken, dass ihnen ein Mehrwert geboten wird - also über die Technologie ein Kleidungsstück anprobieren, Sitze im Stadion überprüfen oder an einem Konzert teilhaben. Snapchat ist auf mehr als 50 Prozent der Smartphones in den USA installiert, allerdings liegt der Marktanteil bei der Werbung gerade mal bei einem einstelligen Prozentsatz. Das Problem für Spiegel: Er muss denen, die Werbung auf Snapchat buchen, erklären, was Snapchat überhaupt ist - doch gehört es zum Reiz der Plattform, dass es eben nicht alle kapieren.

"Wenn wir analysieren, wie die Nutzer auf unserer Plattform unterwegs sind, dann sind wir ziemlich zuversichtlich, diese ehrgeizigen Zahlen auch erreichen zu können", sagt Spiegel. Er sieht sich bei einem Wettlauf in der Position dessen, auf den die Zuschauer dringend wetten sollten. Das Umsatzwachstum im vergangenen Quartal: 62 Prozent. Die durchschnittliche Prognose der Analysten für das laufende Geschäftsjahr: 48 Prozent.

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