Süddeutsche Zeitung

Snapchat:"Die Uhr tickt"

Snap, die Mutter des Messenger-Dienstes Snapchat, verliert Nutzer, die Aktie fällt. Wie die Wende gelingen, kann ist unklar.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Evan Spiegel lässt sich sehr ausführlich aus in diesem Memo, das er Ende September an die Mitarbeiter seines Unternehmens Snap verschickt hat, doch er sagt sehr wenig. Es sind mehr als 6500 Worte, darunter finden sich eine Reihe sehr schöner Begriffe. Da wäre etwa der des von Warren Buffet geprägten "Economic Moat" (die Fähigkeit, seine Vorteile den Konkurrenten gegenüber langfristig zu nutzen), doch in Wahrheit labert Spiegel sehr umständlich und teils unverständlich um den heißen Brei herum. Eigentlich geht es um folgendes, und das lässt sich in wenigen Worten ausdrücken: Snapchat ist nicht mehr cool, erstmals in seiner - wenn auch noch recht jungen - Geschichte verliert das Netzwerk Nutzer. Was bedeutet: Das Unternehmen verbrennt Geld, und dass sich das in absehbarer Zeit bessern könnte, ist nicht zwingend zu erwarten.

Das sehen auch die Anleger so: Der Aktienkurs ist mittlerweile auf weniger als sieben Dollar gefallen. Im März 2017 ist Snap für einen Ausgabekurs von 24 Dollar an die Börse gegangen, wenige Wochen später erreichte die Aktie den Höchstwert von 27 Dollar - nun ist sie eben nur noch ein Viertel davon wert. "Die Uhr tickt", formuliert es Michael Nathanson von der Analysefirma Mofett Nathanson ziemlich gnadenlos. Wenn das Unternehmen so weitermache wie bisher und regelmäßig mehr als 200 Millionen Dollar pro Quartal verliere, könnte ihm im kommenden Sommer das Geld ausgehen - es sei denn, es bekäme eine neue Kapitalspritze.

Spiegel gesteht, und das ist sehr ungewöhnlich für ihn, in diesem Memo eigene Fehler ein. Man habe die Plattform vorschnell und hastig überarbeitet, um sie möglichst schnell profitabel zu machen. Nach diesem kurzen "Mea Culpa" prognostizierte er, dass die Firma bereits im kommenden Jahr profitabel sein solle - worauf Schnapchat-affine Beobachter mit einem Emoji reagieren sollten, bei dem ein gelbes Männchen Tränen lacht, denn: Wie, bitteschön, soll das gehen? Spiegel schreibt auf Englisch: "Digging our moat in the developing world". Das ist schon auf Englisch kaum zu verstehen, man kann es irgendwie übersetzen mit: die Coolnesss von Snapchat in Entwicklungsländern einsetzen und dort mehr Nutzer generieren.

40 Prozent der Mitarbeiter, wollen die Firma längerfristig verlassen

Das Problem dabei: Snap baut keine eigenen Server-Netzwerke auf, es nutzt die von Amazon und Google. Das ermöglicht dem Unternehmen zwar Freiheit und schnellere Reaktionen, bedeutet aber auch, dass jedes versendete Video und jedes Bildchen das Unternehmen ordentlich Geld kostet und für Verluste sorgt, wenn es nicht sogleich auch Einnahmen über Werbung generiert. Die Expansion in diese Länder ist deshalb teuer und dürfte sich nicht sogleich rentieren, und wenn sich Snap eines nicht leisten kann derzeit, dann ist es, noch mehr Geld zu verbrennen.

Zum anderen möchte Spiegel seine Plattform attraktiver machen für ältere Nutzer - worauf die Beobachter mit einem Emoji reagieren sollten, das Panik und Ratlosigkeit ausdrückt. Snap ist deshalb beliebt gewesen, weil sich dort junge Leute austauschen, und weil alle anderen nicht einmal kapieren, was da eigentlich genau passiert. Spiegel will die Grundcoolness seiner Plattform abschaffen, um profitabel zu werden. Der desaströse Umbau der Plattform im Januar zeigte, wie sensibel diese Nutzer auf Veränderungen dieser Art reagieren, zumal, wenn sie zur Steigerung des Umsatzes dienen sollen und nicht dafür, die Coolness der Plattform voranzubringen.

Wer nicht cool ist, der wird aus dem Rudel ausgeschlossen, das gilt in Teenager-Cliquen ebenso wie für soziale Netzwerke - im zweiten Quartal verlor die Plattform drei Millionen Nutzer, seit Oktober ist es einer Umfrage der Investmentbank Piper Jaffray zufolge nicht mehr die meistgenutzte Social-Media-App bei amerikanischen Teenagern - die Position nimmt nun Instagram ein, das zu Facebook gehört. Zu allem Überfluss gibt es eine interne Umfrage, die der Finanzplattform Cheddar zugespielt worden ist - 40 Prozent der Mitarbeiter planen demzufolge, nicht langfristig bei Snap zu bleiben. Und zwar, das ist das Beunruhigende daran, weil sie die Zukunft des Unternehmens als nicht besonders rosig ansehen.

Spiegel gibt sich recht schwatzhaft in diesem Memo, bietet aber wenig Konkretes darüber an, wie es weitergehen soll. Nur eines wird klar, er sagt es nicht direkt, es lässt sich aber zwischen den Zeilen herauslesen: Spiegel hat keine Ahnung, wie er die Coolnesss von Snapchat bewahren und Snap gleichzeitig profitabel machen will.

Auch wenn viele Mitarbeiter bei Snapchat nicht ihre Zukunft sehen, es gibt hochrangige Manager, die zu Snap wechseln. Jeremi Gorman, bisher Chefin des Amazon-Anzeigenverkaufs, soll künftig als Chief Business Officer das Werbegeschäft bei Snap beflügeln. Sie verantwortet den Vertrieb und das Marketing gegenüber Geschäftskunden. Und Jared Grusd, zuletzt Chef der Online-Zeitung Huffington Post, kommt als Chief Strategy Officer.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2018
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