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Europäischer Binnenmarkt:Wie die EU neues Covid-Chaos verhindern will

Mitgliedstaaten sollen sich besser auf Krisen vorbereiten, damit zum Beispiel nicht wieder Schutzkleidung knapp wird. Nationale Exportverbote soll es nicht mehr geben. Das sieht ein brisanter Gesetzentwurf vor.

Von Björn Finke, Brüssel

Dieser Ärger soll sich nicht wiederholen: Zu Beginn der Pandemie verboten Mitgliedstaaten wie Deutschland die Ausfuhr von Schutzmasken und anderer Ausrüstung in Nachbarländer. Zugleich wurden Grenzübergänge unkoordiniert geschlossen, was zu kilometerlangen Staus führte, etwa an der deutsch-polnischen Grenze. Laster mit Nachschub für Supermärkte steckten in dem Chaos fest. Ein EU-Gesetz mit dem leicht dramatischen Namen "Notfallinstrument für den Binnenmarkt", auf Englisch abgekürzt SMEI, soll derartige Einschränkungen künftig verhindern.

Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager sagte am Montag bei der Präsentation in Brüssel, dass die EU neue Instrumente brauche, "mit denen wir rasch gemeinsam reagieren können, sodass wir bei jeder neuen Krise sicherstellen können, dass unser Binnenmarkt offen bleibt und lebenswichtige Waren - auch zum Schutz der Menschen in Europa - verfügbar sind". Die Verordnung, mit der sich nun Europaparlament und Ministerrat als Gremium der Mitgliedstaaten befassen, zielt darauf ab, dass die Länder besser vorbereitet sind. Zum anderen sollen nach Ausbruch einer Krise Einschränkungen des Waren- und Personenverkehrs möglichst vermieden werden.

Dass Brüssel den Binnenmarkt besser schützen will, ist kein Wunder, denn er ist das wirtschaftliche Herzstück der Europäischen Union. Dank gemeinsamer Regeln können Unternehmen ihre Waren genauso einfach im EU-Ausland verkaufen wie im Heimatland; Bürger können im Ausland leben und arbeiten. Umso schmerzhafter ist es, wenn Regierungen dann in ihrer Verzweiflung die Grenzen wieder dichtmachen. Zulieferketten zerreißen, Grenzpendler kommen nicht ins Büro.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Kommission und Mitgliedstaaten eine Beratungsgruppe gründen, um sich über Risiken für Lieferketten und die Versorgung des Binnenmarktes auszutauschen. Gefahren können nicht nur von Pandemien ausgehen, sondern auch etwa von Kriegen oder Naturkatastrophen. Erkennt das Gremium eine Bedrohung, kann die Kommission den sogenannten Überwachungsmodus ausrufen. Wird die Lage ernst, würde sogar der Notfallmodus aktiviert.

Die Kommission kann Konzernen reinreden

Im Überwachungsmodus müssen die 27 Regierungen damit anfangen, Lieferketten für strategisch wichtige Güter besser zu kontrollieren, zum Beispiel medizinische Schutzausrüstung. Daneben kann die Kommission die Mitgliedstaaten ersuchen, Notfall-Reserven dieser Güter anzulegen. Erfüllt ein Land nicht die Vorgaben, kann aus der Bitte eine verpflichtende Anweisung werden.

In der Notfallstufe wird es Regierungen untersagt, die Ausfuhr solch wichtiger Produkte ins EU-Ausland zu verbieten. Außerdem kann die Kommission den Mitgliedstaaten empfehlen, Unternehmen beim Ausbau der Fertigung zu helfen, etwa durch beschleunigte Genehmigungsverfahren. Reicht das nicht aus, kann die Brüsseler Behörde Konzerne in Ausnahmefällen zwingen, Bestellungen für strategische Güter vorrangig zu behandeln - zulasten anderer Order von anderen Kunden. Ablehnen dürfen die Firmen nur, wenn sie schwerwiegende Gründe geltend machen können.

Aus dem EU-Parlament kommt bereits Zustimmung: Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini lobt zum Beispiel die geplante Beratungsgruppe. "Eine bessere Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten in einem neuen Beratungsgremium ist eine Lehre aus der Corona-Pandemie, um die Grenzen offen zu halten", sagt die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses. Auch René Repasi, der binnenmarktpolitische Sprecher der SPD im EU-Parlament, begrüßt die Initiative. "Ob Covid oder Angriffskrieg auf die Ukraine: Die Grundlagen, auf denen die europäische Wirtschaft aufbaut, haben sich als nicht krisenfest erwiesen", sagt der Abgeordnete. "Daher muss der Binnenmarkt in Krisen besser geschützt sein und reibungsloser funktionieren."

Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab verweist ebenfalls auf die schlechten Erfahrungen zu Beginn der Pandemie. "Nationale Alleingänge bei Grenzschließungen, beim Beschaffungswesen oder bei Exportkontrollen funktionieren nicht", sagt der binnenmarktpolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion. Das Notfallinstrument sei "die richtige Antwort" auf derartige Herausforderungen.

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