Smartphone:Apps machen süchtig - muss das sein?

Kind mit Smartphone

Viele Apps und Spiele sind so programmiert, dass sie Dopamin-Ausschüttung anregen - das macht süchtig.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)
  • Tech-Konzerne wollen, dass Nutzer möglichst oft aufs Smartphone schauen. Ihnen geht es ums Geld.
  • Designer aus der Branche wehren sich gegen die Profitmaximierung.
  • Sie forder, dass ethische Fragen und die psychische Gesundheit der Nutzer eine größere Rolle bei der Entwicklung von Apps spielen müssen.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Einige Wochen vor Anbruch des Sommers haben die US-Amerikaner ein Problem bemerkt: Die ohnehin rar gesäten Urlaubstage sind weniger wert, wenn sie über das Smartphone-Display gebeugt verbracht werden. "Leidest Du unter Ping-Überlastung?", fragte eine Frauenzeitschrift in Anspielung auf die ständigen Benachrichtigungen.

Das Angebot an digitalen Fastenkuren ist in diesem Jahr nochmals gewachsen. Eine Universität in Virginia bringt Schülern inzwischen sogar bei, ihrem Gegenüber wieder in die Augen zu sehen, statt den Blick auf dem Bildschirm zu verstecken. Und spätestens seit vor wenigen Wochen die renommierte TV-Sendung "60 Minutes" das Thema aufgriff ("Süchtig nach deinem Telefon?"), hat die Debatte den Mainstream des weiterhin technikfreundlichen Landes erreicht.

Nun stößt das Thema ausgerechnet in jener Zunft auf offene Ohren, der bereits anhand ihrer Titel eine gewisse Komplizenschaft an den unruhigen Verhältnissen nachzuweisen ist: Designer für "Benutzeroberflächen" oder "Nutzererfahrung" diskutieren inzwischen immer offener darüber, ob sie bei der Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle höhere ethische Maßstäbe ansetzen sollten, statt Menschen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben an ihr Gerät zu fesseln.

Soziale Netzwerke triggern das Belohnungszentrum ähnlich wie Spielautomaten

Das liegt auch daran, dass der Einfluss von Designern innerhalb der Unternehmen im Silicon Valley wächst. "Design erhält so viel Respekt wie nie, sagt Khoi Vinh, Chefdesigner bei Adobe. "Es sind in den letzten Jahren viele Designer ins führende Management aufgerückt, sogar in den Vorstand. Gründer verstehen, dass das Teil der Firmen-DNA sein muss." Apples Chefdesigner Jony Ive spielte schon sehr lange eine wichtige Rolle in seiner Firma, doch bekam er zuletzt mehr und mehr Verantwortung.

Und sie verstehen, was für eine mächtige Kombination aus Verhaltenspsychologie, Datenauswertung und klugem Design entsteht: Eine ständig optimierbare Impuls-Endlosschleife, gespeist durch die Erwartung von Likes, den Benachrichtigungen in inaktiven Phasen und Funktionsweisen, die der ehemalige Google-Designethiker Tristan Harris mit den Mechaniken von Spielautomaten vergleicht.

Erst jüngst berichtete die New York Times darüber, wie der Fahrdienst Uber seine Chauffeure zur Mehrarbeit bringt: Erinnerungen beim Ausloggen, dass es nur noch wenige Dollar bis zu einem gewissen Tagesverdienst seien; neue Angebote, während sie noch einen Fahrgast befördern; SMS-Nachrichten aus der Zentrale, unter denen weibliche Namen stehen. Dazu kommen noch die passenden Platzierungen und Größen der Knöpfe auf den digitalen Benutzeroberflächen, die eine Entscheidung zugunsten der Firma einfacher machen. Kurz gesagt: Das alles sind Design-Entscheidungen.

Designer beginnen, offen über die blinden Flecken der Tech-Branche zu sprechen

Digitales Design ist immer Verhaltenssteuerung, doch gerade in den USA pflegt das Fach eine besondere Nähe zu den Business Schools und ihrer Kennzahlen-Fokussierung. Studenten bekannter US-Design-Einrichtungen wie Parsons, SIAT oder Carnegie Mellon werden nicht darin geschult, Entwürfe nach ethischen Gesichtspunkten zu kritisieren, klagen Branchen-Veteranen. Dazu kommen noch viele Quereinsteiger und Schnellausbildungen. "Wir brauchen mehr Einrichtungen, an denen du nicht nur das ,wie', sondern auch das ,warum' lernst", stellt Adobe-Mann Vinh fest.

"Wir können es uns nicht leisten, neutral zu sein", mahnte vor kurzem Mike Monteiro, streitbarer Chefdesigner bei Mule Design. "Könnte man sich irgendeine andere Branche vorstellen, die darüber diskutiert, ob sie ethische Fragen berücksichtigen muss?" In den vergangenen 18 Monaten nun haben Designer begonnen, in kleinen Kreisen, Branchenzirkeln und auf Konferenzen offener über die blinden Flecken ihrer Profession zu sprechen.

Höchste Zeit dafür: "Wir merken gerade, dass wir mit Bots, Geräten ohne Bildschirm wie Amazons Echo oder auch autonomen Autos an einen Punkt gelangt sind, an dem wir Technologie und Mensch nicht mehr trennen können", sagt Pamela Pavliscak. Sie sitzt in einem Gremium für ethisches Design künstlicher Intelligenz und legt im Herbst ein Buch zum Thema vor. Auch sie kennt den Zwiespalt in den Firmen: Die Branche funktioniert nach Zahlen wie "zurückkehrende Nutzer", "Absprungrate" oder "Verweildauer", der "hoffnungslose Kreislauf aus Aufmerksamkeit und Profit", wie sie es nennt.

Eine Art hippokratischer Eid für Designer und Programmierer

Pavliscak weiß, dass diese Kriterien nicht verschwinden werden. Sie fordert deshalb, weichere Faktoren wie emotionales Wohlbefinden oder Vertrauen in ein Produkt mit einzubeziehen. Wenn ein App-Nutzer das Gefühl habe, seine Zeit sinnvoll verbracht zu haben, sei er wahrscheinlich zufriedener als ein Mensch, der aus neurotischem Verlangen immer wieder eine App aufruft. "Wir messen die Lebensqualität einer Bevölkerung inzwischen ja auch nicht mehr einzig am Bruttoinlandsprodukt", zieht sie die Verbindung zur Debatte über angemessene Indikatoren für den Wohlstand einer Nation.

Wie ethisch komplex eine solche Fragen sind, zeigt sich allerdings bereits bei der Umsetzung: Sollen Menschen über ihren emotionalen Zustand digital befragt werden oder - Sensoren und Bilderkennung machen es möglich - werden die Daten einfach automatisch gesammelt? Designen ließe sich beides. Pavliscak weiß, dass sich solche Einzelfallfragen nur schwer nach einem Regelbuch abarbeiten lassen. Sie hält deshalb Überlegungen über eine Art hippokratischen Eid, wie ihn Ärzte ablegen, für gerechtfertigt.

Die wichtigen Entscheidungen treffen letztendlich doch die Manager

Ganz soweit ist die Profession dann allerdings doch nicht. Adobe-Mann Vinh wäre schon glücklich, wenn seine Kollegen qualitative und ethische Kritikpunkte ehrlicher und auch fundierter äußern würden. Denn die eng vernetzte Technologie-Branche hat immer noch ein Elefantengedächtnis, wer einmal wen angepinkelt hat und wann.

"Es ist schwierig: Wenn du persönliche und berufliche Beziehungen als Arbeitnehmer behalten möchtest, musst du genau darüber nachdenken, was du sagst", sagt er. Würde Digitaldesign-Kritik einen Stellenwert wie Film- oder Musikkritik haben, ist Vinh sicher, würde das auch zu besseren Apps, Robotern und autonomen Systemen führen.

Und womöglich auch zu einer weiteren Stärkung des Einflusses. Denn die wichtigen Entscheidungen in den höheren Ebenen der Technologie-Firmen treffen am Ende immer noch Technik-Chefs und Leiter des operativen Geschäfts - und nicht die Designer.

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