Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Digitale Optimistin

Die Italienerin Francesca Bria kämpft dafür, die Daten zu einem öffentlichen Gut zu machen.

Von Francesca Polistina, München

Manchmal kommen die Anrufe des Lebens einfach so, unerwartet. Bei Francesca Bria passierte es 2015 in London, wo sie in "Innovation und Unternehmertum" promoviert hatte und wo sie zu dem Zeitpunkt für die britische Innovationsstiftung Nesta arbeitete. Das Telefon klingelte, sie sah eine fremde Nummer, erzählt sie heute. Am Apparat war Ada Colau, die neu gewählte Bürgermeisterin von Barcelona. Sie hatte einen Bericht über Smart Cities gelesen, den Bria für die Europäische Kommission geschrieben hatte.

Smart Cities - so nennt man Städte, die vernetzte Technologien und Systeme entwickeln, um nachhaltig, inklusiv und effizienter zu sein, und genau das sollte die katalanische Hauptstadt in Colaus Plänen werden. Ob Bria sich vorstellen könne, das umzusetzen, und zwar so, dass auch ihre Mutter den Nutzen der Digitalisierung verstehen würde, fragte die Bürgermeisterin. Wenige Zeit später saß die Italienerin in Barcelonas Stadtrat, dem Gobierno municipal, als Digitalchefin und als einzige Ausländerin. Sie hatte nie in Barcelona gelebt, dafür aber klare Ideen: Die Smart Cities sollen nicht technologie-, sondern menschengetrieben werden.

Was danach passierte, wird häufig als Modell zitiert und führte zur Gründung des internationalen Bündnisses "Städtekoalition für digitale Rechte", zu dem auch Berlin und München gehören. Barcelona startete ein großes Experiment für partizipative Demokratie, 400 000 Bürgerinnen und Bürgern stimmten in der Online-Plattform "Decidim Barcelona" ab und machten Vorschläge für die Regierungsagenda, von der Mobilität bis hin zur Wohnungs- und Klimapolitik. Diese Vorschläge wurden dann zum großen Teil auch umgesetzt, erzählt Bria.

Außerdem arbeitete sie daran, die Daten zu einem öffentlichen Gut zu machen, wie die Wasserversorgung und die Straßen. "Normalerweise bezahlen die Bürger zweimal: für die Dienstleistungen und für die Daten, die sie kostenlos an die Unternehmen abgeben und auf Basis derer die Unternehmen dann Geld machen", sagt sie. Also änderte die Stadt auf ihre Initiative die Ausschreibungsverfahren so, dass die Auftragnehmer dazu verpflichtet waren, die von ihnen gesammelten Daten - sei es über die Abfallentsorgung, die Energieeffizienz von Gebäuden oder was auch immer - an die Stadt weiterzuleiten. Und zwar in einem maschinenlesbaren Format, damit alle Bürgerinnen und Bürger, die Journalisten sowie alle Unternehmen wirklich davon profitieren könnten.

Nach ihrer Zeit in Barcelona lebt Francesca Bria wieder in Rom, wo sie 1977 geboren wurde und wo sie nun Präsidentin des Italienischen Nationalen Innovationsfonds ist. Dabei handelt es sich um einen vor Kurzem gegründeten Venture Capital Fonds, der in vielversprechende Start-ups und Bereiche wie Biotech oder Greentech investiert.

Francesca Bria gilt als progressive Digitalexpertin und Kämpferin für den dritten Weg: den sogenannten Big Democracy, den sie als europäische Alternative sieht zu dem amerikanischen Modell des Big Tech, wo die Daten in den Händen weniger Großkonzernen liegen, und zum chinesischen Big State, wo sie vom Staat aufbewahrt werden. "Es ist Zeit, dass die Demokratie die Souveränität über die Daten wiedererlangt. Außerdem sollen die Bürger entscheiden, was mit ihren Daten geschieht", sagt sie.

Während des Interviews antwortet Bria auf viele Fragen, sie sei Optimistin. Auch in der Pandemie: "Das ist der Moment, um einen Neustart zu wagen", meint sie. Die Europäische Union soll nicht mehr als regulatorische Macht gesehen werden, sondern einen "digitalen Humanismus" vorantreiben, der die demokratische Bürgerbeteiligung, den Umweltschutz und die Menschenrechte garantiert.

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