Süddeutsche Zeitung

Tourismus:Geimpft in die Ferne

Die Pandemie hat Singapore Airlines hart getroffen. Doch es gibt Fortschritte: Jetzt bietet die Airline an, Geimpfte ohne Quarantäne ins Land zu bringen. Wer dabei sein will, braucht gute PC-Kenntnisse und viel Geduld.

Von David Pfeifer, Singapur

Man muss gute Nerven haben, um derzeit eine Fernreise nach Asien zu unternehmen, man braucht auch einen Drucker, fortgeschrittene Computerkenntnisse und viel Geduld. Man latscht nicht einfach mit dem Impfpass zum Gate. Nicht einmal, wenn man in der neuen "Vaccinated Travel Lane" (VTL) nach Singapur fliegen möchte. Die erste VTL-Maschine der Singapore Airlines startete am Dienstag um 22.10 Uhr aus Frankfurt in eine neue Zeit.

Wer in den vergangenen Monaten nach Asien flog, musste sehr dringende Gründe haben und meist eine 14-tägige Quarantäne in einem Hotel durchstehen. Viele wollten sich das nicht zumuten. Die neue VTL-Regelung, die Singapur nun eingeführt hat - grob übersetzt eine "Reisespur für Geimpfte" - soll ein erster Schritt des Stadtstaates sein, sich wieder zu öffnen.

Ein PCR-Test vor Abflug ist vorgeschrieben, man muss aber trotzdem einen weiteren direkt bei Ankunft in Singapur machen, den man vorher online gebucht und bezahlt haben muss. Alles etwas kompliziert. Nicht alle Regeln, die für Auslandsreisen aufgestellt werden, muss man verstehen. Aber man versteht ja auch viele Regeln in Deutschland nicht mehr.

Die Check-in-Mitarbeiter in Frankfurt sind zugewandt und nervös zugleich, es ist ja auch für sie neu. Was müssen wir auf Papier vorliegen haben? Genügt für anderes der digitale Nachweis? Das sind so die Fragen, die sich stellen, die dann aber auch gleich geklärt werden können. Reisen ist plötzlich wieder aufregend und exklusiv geworden - auch für die Mitarbeiter der Fluglinien.

"Wir sind immerhin wieder auf 50 Prozent Flugverkehr in der Urlaubssaison" erklärt Alexander Zell, Sprecher des Fraport im neuen Besucherzentrum, das im vergangenen Jahr in die Leere der Pandemie hinein eröffnet wurde. Die Deutschen flogen nach Mallorca, als in Asien schon die Delta-Variante umging und die Grenzen dicht waren. "Wie es jetzt im Herbst wird, wenn die Dienstreisen fehlen, weiß natürlich niemand."

Die Touristen sollen wieder kommen, aber vor allem die Geschäftsreisenden

Singapore Airlines darf nun zunächst nur aus Deutschland und Brunei Gäste einfliegen, die voll immunisiert sind, die mindestens 21 Tage vorher ihr Land nicht verlassen haben und auch sonst noch einige Voraussetzungen erfüllen, deren Aufzählung den Rahmen sprengen und Gäste abschrecken würde. Dabei ist das Gegenteil die Absicht. Die Leute sollen wieder kommen, die Touristen, aber vor allem natürlich die Geschäftsreisenden.

Um 98 Prozent ist der Umsatz der Singapore Airlines im vergangenen Geschäftsjahr eingebrochen. Der Verlust lag im Milliardenbereich. Die asiatischen Fluglinien waren durch die Delta-Variante und "Zero Covid"-Strategien härter betroffen als die europäischen. Indien, Australien, Thailand und andere hielten den Einreiseverkehr auf einem Minimum - alles wichtige Anflugziele der Singapore Airlines. Eine Green Lane, ein Reisekorridor mit Hongkong war geplant, wurde aber wieder verworfen, als die Ansteckungszahlen in Singapur nach oben gingen. Die Airline hat im Stadtstaat keinen Binnenmarkt, der das Geschäft hätte auffangen können.

Kurz bevor es losgeht, winken perfekt gestylte Flugbegleiter, die Männer in scharf geschnittenen Anzügen, die Frauen mit Bananen-Hochsteckfrisur, vor dem Gate den ersten VTL-Gästen zu. Es ist ein besonderer Tag. Singapore Airlines war bis zur Pandemie immer auf den vordersten Rängen der weltbesten Fluggesellschaften zu finden. Nachdem sie quasi nicht mehr abheben konnte, von einem Tag auf den anderen, dachte man über Alternativkonzepte nach, über "Flüge nach Nirgendwo", die nur aus der Stadt abheben und wieder landen. Über ein Restaurant im Stil der Bordküche. Das aber waren eher Ideen zur Kundenbindung, den Umsatzverlust hätte man damit nicht ausgleichen können.

Immerhin, die erste VTL-Maschine, die von Frankfurt abhebt, befördert 106 gebuchte Passagiere. Die First Class ist mit vier Sitzen voll besetzt, 26 von 48 Business-Class-Plätzen sind belegt, außerdem sind 15 von 24 Premium-Eco- und 55 von 184 Economy-Sitzen besetzt. Etwa ein Drittel Auslastung also, aber mehr als eine Verdoppelung zu Nicht-VTL-Flügen. Bald wird man so auch aus München direkt reisen können. Die Straits Times aus Singapur berichtet derweil quasi in Echtzeit vom ersten VTL-Flug, so wichtig wird das Thema genommen. Müsste man nicht mit Mundschutz schlafen, wäre es ein äußerst angenehmer Flug, ein kleiner Umweg um den Luftraum über Afghanistan herum, und nach etwas über 13 Stunden beginnt der Landeanflug.

Menschen in Ganzkörperschutzkleidung sagten "Welcome to Singapore"

In Singapur dann, das in Organisationsfragen manchmal selbst die Schweiz wie ein Entwicklungsland aussehen lässt, wird alles doppelt und dreifach abgesichert. Nach der Landung läuft man an Menschen in Ganzkörperschutzkleidung vorbei, die "Welcome to Singapore" durch Visier und Mundschutz nuscheln und die Temperatur nehmen. Dann werden noch mal alle Unterlagen vorgelegt, QR-Codes gescannt, Gesicht und Fingerabdrücke registriert, die App zur Nachverfolgung aktiviert. Nicht nur reiselustige Impfgegner, auch datensensible Menschen werden in Zukunft keine gute Zeit in Singapur haben, sowie in den meisten umliegenden Ländern auch. In Thailand ist das Prozedere ähnlich. Von China nicht zu sprechen.

Es geht von einer Schlange in die nächste, vom Dokumentencheck zum vorgebuchten und vorgeschriebenen PCR-Test bei der Ankunft. Singapur leidet trotz harter Restriktionen weiter unter steigenden Infektionszahlen. Und das, obwohl der Stadtstaat eigentlich eine Insel ist. Ob die Fluggäste das Virus mitbringen? Eher unwahrscheinlich, denn die werden sanft durch den Prüfungs- und Test-Parcours des Flughafens geführt, hin zum Transportmittel, das sie in eines der Hotels bringt, wo sie auf dem Zimmer auf die Ergebnisse ihres PCR-Tests warten müssen. Und das eine ganze Weile lang.

In der Zeit immerhin kann man Lee Lik Hsin per Zoom-Konferenz befragen, den Vizepräsidenten der Singapore Airlines, der viel lacht, auch bei Themen, die nicht zum Lachen sind. Doch Trübsal blasen hilft nicht, also antwortet Lee Lik Hsin auf die Frage, warum nun ausgerechnet Deutschland und Brunei die ersten Länder sind, die an dem VTL-Programm teilnehmen dürfen: "Dazu habe ich keine Meinung - nur Hoffnung. Das liegt in den Händen der Regierung. Wir haben normalerweise Flugverbindungen in 70 Länder, momentan sind nur zwei offen für Passagierflüge. Hoffentlich werden es bald mehr werden."

"Es ist ein Experiment", sagt Vizepräsident Lee Lik Hsin

Und hat er eine Meinung dazu, ob Geschäftsreisen, die immerhin einen großen Teil des früheren Geschäfts ausgemacht haben, je wiederkommen werden? Wo nun alles per Telekonferenz geht und erste Untersuchungen sagen, es wird nie mehr zum alten Stand zurückkehren? "Es gibt auch die ersten Studien, die ergeben, dass nichts einen Handschlag ersetzen kann. Und dass die Menschen Zoom-Fatique spüren" sagt Lee Lik Hsin. Mit acht Prozent Passagierauslastung ginge es aber auf Dauer nicht weiter, auch wenn das Cargo-Geschäft schon wieder besser laufe. "Singapur ist eine internationale Stadt, wir müssen uns dem Rest der Welt öffnen." Die Frage ist nur, ob der Rest der Welt auch bald wieder aufmachen kann. "Es ist ein Experiment" sagt Lee Lik Hsin noch, vielleicht geht es in einem Monat schon einfacher. Vielleicht können andere Länder es genauso machen.

Nach dem Gespräch ist es spät am Abend in Singapur. Das Ergebnis des PCR-Tests lässt auf sich warten, während draußen vor dem Hotelfenster Singapur in die Nacht funkelt und auf Besucher wartet. So nah ist man schon, und trotzdem noch nicht da.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5405293
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.