Silicon Wadi:Luftbrücken bauen

Silicon Wadi: An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise (München), Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv) und Christoph Giesen (Peking) im Wechsel.

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise (München), Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv) und Christoph Giesen (Peking) im Wechsel.

Start-ups in Berlin und Tel Aviv zeigen, wie Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich funktioniert. Daraus könnte die Politik lernen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Die Flugzeuge zwischen Berlin und Tel Aviv sind die besten Kontaktbörsen - erst recht, wenn die allgemeine Urlaubszeit wieder vorbei ist. Denn dann reisen vor allem jene, die beruflich zwischen Deutschland und Israel pendeln. Während der vierstündigen Flugzeit ergeben sich fast zwangsläufig Kontakte und häufig spannende Gespräche. Fast jeder Sitznachbar hat einen interessanten beruflichen Hintergrund, weiß Wissen und Telefonnummern zu vermitteln. So entstehen auf diesen Flügen Forschungsgemeinschaften, Büropartnerschaften, Firmenbeteiligungen und manchmal fliegen auch Funken, die zu einer Geschäftsidee werden.

Es sind vor allem junge Menschen, die in den Start-ups in Tel Aviv und Berlin so etwas wie eine gemeinsame Kultur gefunden haben. Diese beide Städten haben viele Ähnlichkeiten, vor allem aber stehen sie für Offenheit und Toleranz - was in den jeweils anderen Landesteilen beider Staaten nicht immer in dem Ausmaß zu finden ist. In beiden Städten zeigt sich auch, dass nicht alles perfekt funktioniert. Deutschland war jahrzehntelang ein Synonym für funktionierende Technik und Perfektionismus. Diesen Ruf haben die Kalamitäten rund um den Bau des neuen Flughafens in Schönefeld ramponiert. Während der Flughafen Berlin Brandenburg 2012 hätte eröffnet werden sollen, verzögert sich in Israel der Start des Schnellzuges von Jerusalem nach Tel Aviv bereits seit 2008 immer wieder. Und das in einem Land, das sich selbst als Start-up-Nation preist und dessen Unternehmen zentrale Transportfragen der Zukunft lösen. Selbstfahrende Autos gehören zum Alltag, aber auch mit denen steht man häufig im Stau. Der Zug ist keine Alternative. Die Eisenbahnverbindung zwischen Jerusalem und Tel Aviv stammt aus der Osmanischen Zeit und wurde vor 126 Jahren eröffnet. Der Zug von Tel Aviv ins 55 Kilometer entfernte Jerusalem braucht eine Stunde und vierzig Minuten und kommt in einer entlegenen Station an. Seit 2001 wird das Projekt Schnellzug geplant, aber es gibt immer wieder Rückschläge und Verzögerungen. 2011 zog sich die Deutsche Bahn zurück, weil ein Teilstück der Trasse auf einem von Israel 1967 besetzten Gebiet verläuft.

Ende September soll nun nach mehrmaliger Verschiebung der Betrieb aufgenommen werden - allerdings nur zwischen Jerusalem und dem Flughafen Ben-Gurion bei Tel Aviv. Bis das Teilstück zwischen dem Flughafen und dem Stadtzentrum fertiggestellt ist und damit eine durchgängige Verbindung zwischen Jerusalem und Tel Aviv in einer halben Stunde möglich wird, dürfte es noch ein Jahr dauern - mindestens.

22 deutsche Unternehmen wie Siemens oder Telekom haben Forschungszentren eröffnet

Dabei ist Mobilität das Wichtigste für die digitalen Nomaden. Sie packen ihren Laptop und die Badehose ein, docken in einem der Büros an und springen mal in den Wannsee, mal in Meer. Ihnen gelingt die Verbindung beider Welten mit einer Leichtigkeit, die der Politik fehlt. Wenn sich am 4. Oktober nach einer längeren Pause wieder die deutsche Regierung, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit den Mitgliedern des israelischen Kabinetts zu Regierungskonsultationen in Jerusalem trifft, wird nicht nur der ohnehin kaum mehr wahrnehmbare Nahost-Friedensprozess zur Sprache kommen, sondern es wird auch um Innovationen gehen. Hier findet man rascher eine Basis, denn es geht um gemeinsame Interessen. Israel mit seiner wissensbasierten Wirtschaft und Deutschland, das eine wichtige Industrie-Macht sei, könnten ihre Stärken in vielen Bereichen bündeln, meint der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, in einem Beitrag für den Tagessspiegel und der Jerusalem Post.

Insgesamt 22 deutsche Unternehmen wie Siemens oder Deutsche Telekom haben das schon erkannt und Innovationszentren oder Forschungseinrichtungen in Israel eröffnet. Es sind auch viele so genannte Innovationsscouts im Auftrag deutscher Firmen im Lande unterwegs, um Lösungen für spezielle Probleme zu finden. Aber auch immer mehr Israelis mit Deutschland-Bezug oder Deutsche mit Israel-Affinität treten als Berater für potenzielle Investoren auf. Denn es macht für immer mehr deutsche Unternehmen Sinn, sich an israelischen Start-ups zu beteiligen.

Beide Seiten können von ihren unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und beruflichen Zugängen profitieren. Denn die Israelis können den Deutschen zeigen, was es heißt, sich an Neues zu wagen, ohne mögliche Stolpersteine schon im Voraus einkalkuliert zu haben. Die Israelis gehen auch mit der Einstellung heran, dass selbst im Scheitern etwas Positives liegen kann - nämlich ein mehr an Erfahrung, was wiederum in neue Projekte einfließt. Stetigkeit und Durchhaltevermögen - nicht zu unrecht als deutsche Tugenden in Israel bekannt - sind dagegen in den Start-ups von Tel Aviv weniger verbreitet. Ein bisschen mehr davon würde vielen Start-ups in Israel gut tun, wo viele Unternehmen trachten, ihre Firma nach der Gründung möglichst rasch wieder zu verkaufen.

Flüge zwischen Tel Aviv und Berlin ermöglichen nicht nur Erfahrungsaustausch, sondern zeigen, wie wunderbar "normal" die Beziehungen vieler junger Menschen aus den beiden Staaten geworden sind. Sie leben im Hier und Jetzt, gestalten heute die Zukunft. Sie wollen das Gestern überwinden, die gemeinsamen Geschichte, die Deutschland und Israel durch die Shoah untrennbar verbindet. Die komplizierte historische Verbindung steht bei vielen jungen Israelis und Deutschen nicht mehr dominierend im Vordergrund, wenn sie sich an neue gemeinsame Projekte wagen. Sie sind weiter als die Politiker ihrer Länder.

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