Süddeutsche Zeitung

Silicon Wadi:Innovation als Obsession

Was macht ein kleines Land wie Israel anders, dass hier so viele innovative Firmen gedeihen? 5400 Start-Ups entstanden in den vergangenen Jahren. Auch deutsche Unternehmen schauen sich in den High-Tech-Hotspots Tel Aviv und Jerusalem um.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Was macht Israel zu einer Start-up-Nation? Ziv Aviram, Gründer und Vorstandschef des Autozulieferers Mobileye, muss nicht lange überlegen: "In der israelischen Kultur ist erwünscht, dass man verschiedene Dinge ausprobiert. Man verliert das Gesicht nicht, wenn man scheitert." Mobileye ist nicht gescheitert, sondern nach der Übernahme für 15,3 Milliarden US-Dollar durch Intel im März zum Vorzeigeunternehmen geworden. In dem Gebäude am Stadtrand von Jerusalem wurde in den vergangenen acht Jahren vieles ausprobiert und einiges verworfen, ehe man die 360-Grad-Erfassung mit acht Kameras hingekriegt hat, die Voraussetzung für autonomes Fahren ist.

Wie das funktioniert, kann man auf einem kleinen Stück Autobahn in der Nähe ausprobieren. Das Auto, ein weißer Audi, sieht von außen ganz normal aus. Schaut man genau hin, fallen die kleinen Kameras an verschiedenen Stellen auf. Im Innenraum befinden sich mehrere Laptops, der hintere Bereich ist mit Geräten vollgestopft. Es stellt sich dann schon ein mulmiges Gefühl ein, wenn der Fahrer die Hand vom Steuer nimmt - ein Kontrollverlust. Aber ist in Flugzeugen der Autopilot doch nicht längst eine Selbstverständlichkeit? Von 2021 an wird autonomes Fahren zum Alltag gehören, sagt Aviram.

Für diesen Tag wollen auch deutsche Autobauer gerüstet sein, weshalb sie sich in Israel umschauen. Auswahl gibt es reichlich: 450 Start-up-Unternehmen beschäftigen sich mit Lösungen für Fahrzeuge.

Vor drei Wochen verkündete der Automobilzulieferer Continental den Ankauf des Start-ups Argus Cyber Security. Das Unternehmen mit Sitz in Tel Aviv ist darauf spezialisiert, digital vernetzte Fahrzeuge vor Cyberattacken zu schützen. Daimler eröffnete vergangene Woche ebenfalls in Tel Aviv einen neuen Tech-Hub. Vorstandschef Dieter Zetsche schwärmte - von dort aus live zum SZ-Wirtschaftgipfel nach Berlin zugeschaltet - von den Möglichkeiten und der kreativen Atmosphäre im Land. Die gibt es tatsächlich, wie die vielen Co-Working-Spaces und Start-up-Quartiere zeigen. Man probiert einfach aus, hilft sich gegenseitig, und wenn es nicht klappt, dann beginnt man etwas Neues.

Öffentliche Institutionen und Personen spielen eine aktive Rolle: Die diplomatischen Vertretungen Israels loben Wettbewerbe aus, zwei Dutzend mit den besten Ideen wurden zuletzt Anfang November nach Jerusalem eingeladen und vom zuständigen Minister Zeev Elkin wie Staatsgäste begrüßt. Wer den inzwischen verstorbenen Präsidenten Shimon Peres erlebt hat, mit welcher Begeisterung er jedes Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos von innovativen Ideen in seinem Land schwärmte und wie er junge Israelis persönlich Vertretern der großen Tech-Firmen vorstellte, versteht: Innovation ist hier eine nationale Obsession.

Der Staat steckt auch viel Geld in die Forschung. Bei den Forschungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Israel laut OECD mit vier Prozent auf dem Spitzenplatz. Das Weizmann-Institut, das Technion in Haifa, die Hebräische Universität in Jerusalem und die Ben-Gurion-Universität genießen weltweit einen hervorragenden Ruf und die Verbindung zur Praxis ist eng. Mobileye und das nicht so bekannte Start-up Orcam, das High-Tech-Sehhilfen entwickelt, wurden etwa von Amnon Shashua, einem Forscher an der Hebräischen Universität gegründet.

Hinfallen, aufstehen und nichts als gewiss hinnehmen - das macht den Unterschied aus

Aber es gibt noch andere Gründe, warum Tech-Firmen, von denen es derzeit 5400 gibt, in dem kleinen Land mit gerade einmal 8,4 Millionen Einwohnern so gedeihen: das Militär. Die israelischen Streitkräfte sind eine Talente-Schmiede, hier werden nicht nur die technischen Fähigkeiten und das Know-how gefördert, sondern auch Netzwerke für die Zukunft geflochten. Vor allem die IT-Aufklärungseinheit 8200 erweist sich als Hub.

Ofer Ben-Noon, Geschäftsführer der von Continental angekauften Argus Cyber Security, sieht in der Ausbildung bei dieser Eliteeinheit den Grundstein für seinen eigenen Erfolg. Bei Einstellungsgesprächen wird seltener gefragt, auf welcher Uni man war, sondern bei welcher Militäreinheit. Wer den zweijährigen Dienst nicht absolviert, befürchtet berufliche Nachteile.

Junge Leute mit IT-Kenntnissen sind in Israel besonders begehrt. Um sie werben auch US-Firmen. Auffällig ist, dass bisher kein israelisches Unternehmen zu den Großen der Tech-Branche zählt. Facebook, Google, Apple und Co. sind im Land aber mit zumindest einem Büro, meist auch mit einer Forschungseinheit, vertreten. So weiß man, was läuft und kann dann Personal oder gleich Firmen einkaufen.

Aber ohne Geld aus dem großen Amerika hätten viele der Start-ups aus Israel den Sprung auf den Weltmarkt ohnehin nicht geschafft. Das Risikokapital sitzt hier locker. Allein im Vorjahr wurden 4,8 Milliarden Dollar in israelische Firmen investiert. Vergangenen Mittwoch wurde ein Rekord verkündet: Drei Start-ups sammelten an einem einzigen Tag insgesamt mehr als 180 Millionen US-Dollar ein.

Kein Wunder, dass viele warnen, dieser Boom werde bald ein Ende haben - zumal, wenn hoch gesteckte Erwartungen nicht erfüllt werden. Als Beispiel dient Better Place, mit dem Gründer Shai Agassi seine Vision von batteriegetriebenen Autos umsetzen wollte. 850 Millionen US-Dollar sammelte er ein, bereits ein Jahr später musste er Konkurs anmelden. Der 49-Jährige hat inzwischen ein neues Start-up gegründet, will noch nicht sagen, womit er sich beschäftigt. Aber er sei reifer und erfahrener durch das Scheitern geworden.

Hinfallen, aufstehen und nichts als gewiss hinnehmen - das macht den Unterschied aus und Israel so besonders.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3759191
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.11.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.