Silicon Valley: Übernahmewelle:Einkaufstour 2010

Die einen haben zu viel, die anderen zu wenig Geld: Im Silicon Valley bahnt sich eine Übernahmewelle an.

Paul Katzenberger

Im Silicon Valley gehören Erfolg und Innovation zum Programm. Etablierte Technologiekonzerne wie Intel, Apple oder Hewlett-Packard finden sich hier neben jungen Parvenüs wie Google oder Facebook: Jeder einzelne dieser Namen belegt, dass hier die meisten Technologien entwickelt wurden, die die Welt in den vergangenen 15 Jahren massiv verändert haben.

Doch auch die Technologiehochburg, die als Beispiel für Hightech-Cluster in aller Welt dient, blieb von der Finanzkrise nicht verschont. Manche Beobachter fürchten inzwischen sogar, dass das Silicon Valley von anderen Boomregionen abgehängt werden könnte. Die Organisation Joint Venture: Silicon Valley Network, eine Interessengemeinschaft aus Vertretern der regionalen Politik und Wirtschaft, malte in ihrem Ausblick für das Jahr 2010 ungewohnt schwarz.

Das nächste Google

In einem Interview mit dem kalifornischen Fernsehsender KTEH redete sich Joint-Venture-Chef Russell Hancock seinen Pessimismus vom Leib: "Bei jeder Krise, die das Silicon Valley erlebte, konnten die Leute bislang sagen: 'Keine Sorge, unsere Wirtschaft ist innovativ und da draußen ist schon irgend jemand in seiner Garage und erfindet das nächste Google oder das nächste Yahoo.' Doch wenn wir jetzt die Schlüsselfaktoren für Innovation betrachten, dann müssen wir konstatieren, dass sie im Wesentlichen alle ausfallen."

Für die mäßige Perspektive macht Russell mehrere Faktoren verantwortlich: Die fehlende Unterstützung durch den klammen Bundesstaat Kalifornien, der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und die Reserviertheit von Wagniskapitalgesellschaften, wenn es um Investitionen in junge Unternehmen geht.

All diese Umstände sprächen dafür, dass jüngere Hightech-Firmen des Silicon Valleys von einem etablierteren Wettbewerber übernommen werden könnten. Denn wem die Kraft für eigenes organisches Wachstum schwindet, der gerät rasch unter die Fittiche eines stärkeren Konkurrenten.

Eigene neue Produkte fehlen

Tatsächlich staut sich nach Meinung etlicher US-Banken und Investmentgesellschaften im Silicon Valley eine Übernahmewelle auf, wofür die Beobachter aus der Finanzbranche aber noch ganz andere Gründe geltend machen als das Silicon Valley Network: Viele Technologiefirmen seien derzeit auf Übernahmen aus, weil sie in der Finanzkrise ihre Forschungs- und Entwicklungsausgaben zurückgefahren hätten, schreibt etwa die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf die kalifornische Investmentgesellschaft Allegis Capital. Denn jetzt, da der Markt anspringe, fehlten vielen IT-Firmen eigene neue Produkte und Dienstleistungen, diese müssten daher von außen zugekauft werden. "Wo immer Innovationen vorwärtsdrängen, werden die Unternehmen ein Produktdefizit haben, das sie ausfüllen müssen", sagte Allegis-Chef Robert Ackerman zu Bloomberg.

Im ersten Quartal 2010 sind in Kalifornien bereits 530 Unternehmen in einem Gesamtwert von 16,7 Milliarden Dollar geschluckt worden, das ist mehr als im ersten Vierteljahr 2009, aber weniger als in den ersten drei Monaten des Jahres 2008, als noch Transaktionen in einem knapp doppelt so hohen Volumen abgewickelt wurden.

Google bislang am kauffreudigsten

All diese Zahlen sind allerdings weit entfernt von den Umsätzen am Höhepunkt der Internet-Blase im Jahr 2000. Damals wurden allein in Kalifornien 2200 Unternehmen zum Gegenwert von 378,1 Milliarden Dollar übernommen.

Volle Kassen der Beteiligungsfirmen

In diesem Jahr war bislang Google der kauffreudigste Konzern des Golden State. Der Suchmaschinenbetreiber übernahm bis dato fünf Unternehmen, darunter die Online-Firmen Picnik (Fotobearbeitung) und DocVerse (Filesharing).

Dabei ist Google nach den Daten von Bloomberg nicht einmal der solventeste Käufer. Unter den mindestens 50 kalifornischen Unternehmen, die über Bargeld in Höhe von mindestens einer Milliarde Dollar verfügten, ragten vielmehr Wells Fargo (Kassenbestand: 68 Milliarden Dollar), Cisco Systems (39,6 Milliarden) und Apple (24,8 Milliarden) heraus.

Weil die Beteiligungsfirmen inzwischen ebenfalls viel Geld angehäuft haben, glaubt auch die Deutsche Bank, dass es bis spätestens zum kommenden Jahr zu Übernahmen im Silicon Valley auf dem Vorkrisenniveau von 2007 kommen könnte. Seinerzeit wurden im ersten Quartal 665 Deals im Volumen von 59,8 Milliarden Dollar abgewickelt - drei Mal so viel wie im ersten Vierteljahr 2010.

Verkäufer unter Druck

Tor Braham, der bei der Deutschen Bank in San Francisco die Abteilung "Fusionen und Übernahmen" (Mergers and Acquisitions) leitet, sieht einen weiteren Grund für erhöhte Übernahmeaktivitäten: "Verkäufer wollen ihre Firmen dieses Jahr loskriegen, bevor die Kapitalertragsteuer wie erwartet angehoben wird", sagte er zu Bloomberg.

Für Anleger sind die Übernahmeziele häufig interessant, da das übernehmende Unternehmen in der Regel einen Aufschlag auf den Aktienkurs der erworbenen Firma zahlen muss. Brent Thill, Analyst bei der Dependance der Schweizer Großbank UBS in San Francisco, habe drei Unternehmen identifiziert, die seiner Meinung nach bald geschluckt werden könnten, schreibt Bloomberg.

Unter den drei Namen, die Thill nenne, seien mit McAfee und ArcSight zwei Spezialisten für Antivirusprogramme und Computersicherheitssoftware. Der Datenschutz dürfte im Zeitalter der wachsenden Internet-Kriminalität an Bedeutung gewinnen, so das Kalkül des Analysten. Thills dritter Übernahmekandidat Tibco Software entwickelt Unternehmenssoftware zur Integration von Computer-Netzwerken (Cloud Computing, Grid Computing).

Auch Goldman Sachs will mögliche Übernahmekandidaten erkannt haben und führt als Aspiranten Salesforce.com und VMware auf. Salesforce.com hat sich auf Programme für das Kundenbeziehungsmanagement (Custom Relationship Management) von Online-Anbietern spezialisiert, während VMware sogenannte Virtualisierungsprogramme vertreibt. Mit Hilfe dieser Software können mehrere Betriebssysteme auf einem Computer ausgeführt werden.

An Innovationen mangelt es also nicht unbedingt. Jene Unternehmen, die Geld haben, wissen das nur allzu gut.

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