Silicon Valley:Staub im Tal

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Wer das Silicon Valley verstehen will, muss sich das "Burning Man"-Festival ansehen. Dort zeigt sich, worauf es ankommt.

Von Alina Fichter

Es ist wieder diese Zeit des Jahres, in der sich die Silicon-Valley-Bewohner den weißen Staub aus den Klamotten klopfen. Überall hat er sich festgesetzt: im Zelt, den Autositzen, dem Teppichboden. Er rieselt den Menschen aus Ohren und Haaren und Nasenlöchern, denn gerade ist das neuntägige "Burning Man"-Festival zu Ende gegangen: Der Wüstensturm, der so fest zum Programm gehört wie das Anzünden einer Kunstfigur, war in diesem Jahr besonders hartnäckig.

Das Festival sagt wahrscheinlich mehr über die Geisteshaltung des Silicon Valley aus als Garagen-Start-ups, Geeks und Gigabytes. Wer es erlebt hat, versteht besser, wie die Erfinder in Nordkalifornien ticken, worauf sie Wert legen, was sie mögen und wie sie neue Ideen gewinnen.

"Burning Man ist für mich das jährliche Reset", sagt etwa Seymour Duncker, Gründer und Chef von iCharts, einer Firma, die Unternehmen hilft, datengetriebener zu arbeiten. Für ihn ist Burning Man, was der Neustart-Knopf für Computer ist - hinterher sind Updates installiert und alles funktioniert geschmeidiger: "Ich komme mit offenem Geist und neuer Energie zurück ins Valley." Seit sieben Jahren lebt er dort. Drei davon fuhr er die sieben Stunden nach Black Rock City. So heißt die Stadt, die jedes Jahr in der gleichnamigen Wüste Nevadas für das Festival auf- und nach dessen Ende wieder abgebaut wird. Drei Jahre: Duncker ist damit laut Insider-Sprech ein "Regular". Bevor er sich einen "Hardcore" nennen darf, muss er noch ein paar Runden im Wüstensand drehen.

Viele der Tech-Größen sind Hardcores. Amazon-Gründer Jeff Bezos ist erklärter Fan des Festivals, Mark Zuckerberg von Facebook fährt meist hin, und Tesla-CEO Elon Musk sagte sogar einmal, dass Burning Man und Silicon Valley ein und dasselbe seien. Das Wüstentreiben hat den Ruf einer heimlichen Netzwerkveranstaltung. Geschäfte machen oder neue Business-ideen ausbrüten ist in der Wüste zwar offiziell nicht das Ziel. Aber in der Tech-Szene Nordkaliforniens ist alles Private auch geschäftlich - selbst das Bestaunen einer brennenden Figur. So soll Eric Schmidt es auch deshalb zum Google-Chef geschafft haben, weil er die Liebe der Firmengründer zu Burning Man teilt.

Viele der zehn Gebote, auf denen die temporäre Stadt in Nevada steht, gelten auch im Valley: Jeder ist nur für sich selbst verantwortlich, zum Beispiel. Und jeder ist ganz im Moment und blendet alles bisher Dagewesene aus. Nur weil Menschen im Valley das könnten, seien sie fähig, ganz Neues zu erfinden, so erzählen sie es.

70 000 Menschen sind in diesem Jahr in die Wüste gepilgert, aus dem Valley fuhr eine Autokolonne dorthin. Dollarscheine bringen ihnen nichts: Ein Prinzip, das an die Sharing Economy aus dem Valley erinnert, in der niemand mehr etwas besitzt und dennoch jeder alles hat. Ein Auto etwa - per Uber-App herbeigerufen -, oder eine Wohnung, auf der Website des Privatzimmer-Vermieters Airbnb gebucht.

Man kann in Black Rock City nichts kaufen außer heißen Kaffee. Den Rest bringen die Festival-Besucher mit - und geben an andere weiter, wovon sie zu viel haben, Wodka-Melone-Drinks, Mangold-Lasagne oder Massagetalent. Zugegeben, im teuren Valley ist zusätzlich ein wenig Geld dagegen existenziell. Die Gier auf Millionen hat das Tal von einer Idylle mit Aprikosenbäumchen zu einer Start-up-Maschine verwandelt. Das prägt zunehmend auch die Wüstenfestivalkultur.

Das Festival ist direkt dem libertären Geist San Franciscos entsprungen

500 Dollar kosteten Burning-Man-Tickets in diesem Jahr - statt 35, wie zu Beginn. Das ist eine drastische Preissteigerung. Und die Reichen setzen sich auch hier immer stärker vom Rest der Gemeinschaft ab. Unvergessen etwa, wie ein Wagniskapitalgeber eine exklusive Party in der Wüstenstadt schmiss, die 16 500 Dollar pro Kopf kostete, er flog Models dafür ein, Zutritt nur mit speziellem Armbändchen. Normalsterbliche werden zugunsten von Superreichen von einem Ort vertrieben, den sich beide gerade eben noch friedlich geteilt hatten. Das erinnert an die Gentrifizierung ganzer Städte im Silicon Valley.

Dabei wurde die Burning-Man-Idee doch als soziale Utopie geboren: Menschen kommen zusammen, um sich in einer vorübergehenden Alternativgesellschaft auszuprobieren. 1986 verbrannte Larry Harvey mit seinen Hippie-Freunden eine hölzerne Figur am Strand von San Francisco, als "spontanen Akt, sich selbst auszudrücken", der schnell zur Tradition wurde. Irgendwann wanderte der Akt in die Wüste, weil es der Polizei am städtischen Strand zu bunt wurde. Das Festival ist also direkt dem libertären Geist San Franciscos entsprungen, der das Tech-Tal noch immer bestimmt: Jede noch so verrückte Idee ist erst mal willkommen. Auch wenn sie lautet, eine Stadt samt Restaurants und Bars für 70 000 Menschen in der Wüste aufzubauen, die nach neun Tagen wieder völlig verschwindet.

Die Selbstdarstellung ist ein zentrales Prinzip des Treibens geblieben - ebenfalls eine Parallele zur Valley-Kultur. Bloß dass die Menschen im Tal mit schicken Teslas auf sich aufmerksam machen, in der Wüste aber mit schrägen Kostümen: Viele Besucher ziehen sich an, als seien sie einem Science-Fiction-Märchen entsprungen. Oder sie tragen gar nichts, je nach Persönlichkeit. Dieses Jahr stand das Festival unter dem Motto "Radical Ritual", die Feiernden sollten Riten, Prozessionen, Tempel und Visionen erfinden. Eine Teilnehmerin schuf einen "Schrein der verlorenen Momente": Jeder durfte einen Gedanken notieren und an die Schnüre der Skulptur knoten.

Denn darum geht es in Black Rock City: etwas zu schaffen, das andere gerne nutzen. Zu experimentieren. Die eigenen Grenzen auszutesten - gerne auch mithilfe von Drogen. Ganz genau wie im Silicon Valley also. Nur mit mehr Staub und Wüstenstürmen.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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