Silicon Valley:Nicht genug zum Leben

Silicon Valley: An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel. Illustration: SZ

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel. Illustration: SZ

Nirgendwo in den USA sind Wohnungen teurer und die Obdachlosigkeit höher als im Silicon Valley. Die Technologie-Industrie mischt sich ein und steuert mit einer Lobbyorganisation für ihre Mitarbeiter gegen - was alles nur noch schlimmer macht.

Von Alina Fichter

Das Zimmerchen kostet 2000 Euro, in das nicht mehr als eine Matratze und ein kleiner Tisch passen. "Wir vermieten es nur an eine Person. Normalerweise", sagt der Verwalter. Es gibt da wohl Verhandlungsspielraum. Etwa neun Techies leben in dem Häuschen mit verdrecktem Pool in Mountain View, 60 Kilometer südlich von San Francisco, die genaue Mitbewohnerzahl bleibt unklar. Bei einer weiteren Besichtigung stellt sich das Zimmer als Garage heraus, was zunächst vielversprechend klingt, ist doch alles Große im Silicon Valley in Garagen entstanden, der Apple-Konzern etwa. Aber wieder ist die Mitbewohnerzahl unklar - und diesmal geht es um Ratten.

Die ganz alltägliche Suche nach einer Bleibe in der Bay Area, wo der Wohnungsmarkt so teuer ist wie nirgends sonst in den USA. Längst schon hat er Downtown Manhattan in New York City überholt, obwohl dort die Wall Street liegt, das Finanzzentrum der Welt. Laut dem Fintech-Unternehmen Smart Asset braucht ein Haushalt mindestens 185 000 Euro Jahreseinkommen, um sich eine Dreizimmerwohnung in San Francisco leisten zu können. In New York reichen 136 000 Euro.

Google, Facebook, Uber und andere ziehen jedes Jahr Tausende neue Mitarbeiter an, die sich auf dem schmalen Landstrich zwischen San Francisco und San José drängeln, der seine natürlichen Grenzen mit der San Francisco Bay und dem Nordpazifik aber nicht ausdehnen kann. So teuer ist es hier geworden, dass die Technologieunternehmen dem nun entgegenwirken wollen. Dabei handeln sie so kurzsichtig, dass sie das Problem noch verschärfen könnten. YIMBY heißt die neueste Initiative, "Yes in My Backyard", und Microsoft-Mann Nat Friedman treibt sie maßgeblich voran. Er hat mit ein paar Tech-Kollegen von Yelp, Stripe und Pantheon bereits über eine halbe Million Euro für seine Lobbyorganisation gesammelt, mit der er die kalifornischen Gesetzgeber überzeugen will, dass mehr Häuser gebaut werden müssen, besonders in Gegenden, in denen nur Einfamilienhäuser zugelassen sind.

Neben dem Zuzug von Tech-Arbeitern liegen die Ursachen der Wohnungskrise in der Bay Area vor allem in restriktiven Bauordnungen. San Francisco etwa durfte deshalb von 2007 bis 2014 nur 16 500 Wohnungen bauen - statt der 32 000 benötigten.

Auch mit seinem Namen will YIMBY die sogenannten Nimbys ("not in my backyard") herausfordern, die sich gegen neue Häuser in ihrer Nachbarschaft wehren. In Palo Alto, wo einst Hewlett Packard und Google entstanden, wehren sich Alteingesessene dagegen, dass plötzlich Single-Wohnungskomplexe und Mehrfamilienhäuser ihre idyllische Vorstadt-Atmosphäre zerstören könnten.

"Das würde den Charme der Stadt kaputt machen, die sich so schön nach Kleinstadt anfühlt", sagte ihr Bürgermeister Patrick Burt kürzlich. "Würden die Bewohner Palo Altos in einer Großstadt leben wollen, zögen sie nach San Francisco." Burt lebt seit 37 Jahren hier und findet, es solle alles so bleiben, wie es ist. So denken viele seiner Nachbarn und verhindern den Bau von Wohnungen. Dabei bleibt gar nichts in Palo Alto, wie es ist. Allein die Datenfirma Palantir und der Handelskonzern Amazon nehmen hier Hunderte Quadratmeter ein. Beide wachsen rasend schnell und brauchen mehr Mitarbeiter. Gerade hat der Stadtrat Palo Altos abgestimmt und klargestellt, dass diese Firmen integraler Bestandteil der hübschen Kleinstadt seien, sie zahlen ja gute Steuern. Aber die Menschen bei der Wohnungssuche unterstützen will keiner.

Wenn im Valley mal gebaut wird, dann bloß für die Reichen

So läuft das in den meisten der Dutzenden Kleinstädte, aus denen das Silicon Valley hauptsächlich besteht. Und auch wenn die ganze Bay Area ein Problem hat, besprechen die zuständigen Bürgermeister nicht, wie sie es gemeinsam lösen könnten.

Denn selbst die typischen Valley-Tech-Paare mit zwei sechsstelligen Gehältern haben mittlerweile Schwierigkeiten, etwas Passendes zu finden. Wie Kate Downing, Produktanwältin, mit einem Programmierer verheiratet und ehemalige Wohnungsbeauftragte für Palo Alto: Sie zog weg aus der Stadt, weil sie sich nicht leisten konnte, dort eine Familie durchzubringen.

YIMBY will dafür sorgen, dass künftig doppelt so viele Häuser gebaut werden wie bisher. Häuser für Menschen wie Downing. Die Initiative geht also in eine ähnliche Richtung wie der Willow-Campus von Facebook: Der Konzern baut an seinem Firmensitz Menlo Park ein eigenes Dorf für seine Mitarbeiter auf. Im besten Fall erleichtern YIMBY und Facebook also reichen Programmierern das Leben und Pendeln. Das ist nicht schlecht.

Aber es geht am eigentlichen Problem vorbei. Facebook wird nur 15 Prozent seiner Willow-Wohnungen unter Marktpreis anbieten. Das ist viel zu wenig. Denn wenn im Valley mal gebaut wird, dann bloß für die Reichen. Was am dringendsten fehlt, ist erschwinglicher Wohnraum. Normale Menschen, Lehrer etwa, können sich die Mieten nicht mehr leisten und ziehen in Städte östlich der Bay. Wegen des immerwährenden Staus brauchen sie für das Pendeln zum Arbeitsplatz dann zwei Stunden - für eine Strecke. Geringverdiener wie jene, die den Googlern das Essen zubereiten oder deren Büros reinigen, fahren oft noch weiter.

Wer bleibt, läuft Gefahr, auf der Straße zu landen. Nirgendwo sonst in den USA ist die Obdachlosigkeit so hoch wie hier. Und sie trifft auch die Mittelklasse. Menschen hausen auf der Straße oder in Zeltstädten, Containern, Wohnmobilen; diese prägen das Stadtbild von San Francisco.

Man sollte es besser nicht Technologieunternehmen überlassen, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Sie haben nur den eigenen Vorteil im Blick und verschärfen die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter.

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