Silicon Valley:Nehmen und geben

Transport workers' strike unleashes traffic chaos in San Francisc

Proteste made in USA: Tausende Menschen demonstrieren im Oktober 2013 in Oakland/Kalifornien.

(Foto: John G. Mabanglo/dpa)

Sie entwickeln selbstfahrende Autos und kluge Computer - und machen damit Jobs überflüssig. Deswegen setzen sich immer mehr Pioniere aus dem Silicon Valley für eine neue Form der sozialen Absicherung ein.

Von Jürgen Schmieder

Wenn man möglichst rasch 400 Euro auftreiben müsste - für unerwartete Reparaturen des Autos etwa oder für Medikamente - woher nimmt man das Geld? Manche haben es einfach, andere können Freunde fragen, und es gäbe notfalls noch die Möglichkeit, Schmuck oder Möbel zu verkaufen. Niemand würde ernsthaft antworten: "Ich habe keine Ahnung!" Oder etwa doch?

Eine Studie der amerikanischen Notenbank Fed ergab, dass 47 Prozent der Amerikaner derzeit nicht in der Lage wären, 400 Dollar ohne fremde Hilfe oder Verkäufe aufzubringen. Schlimmer noch: Viele könnten das Geld nicht mal von Freunden borgen, weil die selbst keines haben. Eine gemeinsame Umfrage der Universitäten Oxford und Princeton ergab, dass mehr als ein Viertel der Amerikaner auf die Frage, wie sie im äußersten Notfall innerhalb eines Monats 2000 Dollar besorgen würden, so reagierten: "Ich habe keine Ahnung!" Was für ein Armutszeugnis, im wahrsten Sinne des Wortes.

Tesla-Chef Elon Musk sagte neulich dem Fernsehsender CNBC: "Es wird wahrscheinlich ein bedingungsloses Grundeinkommen oder etwas Ähnliches geben." Musk ist einer der Chefvisionäre im Silicon Valley, der Mann für die wirklich bahnbrechenden Ideen. Mit den Firmen Tesla und Solar City plant er die Energierevolution, mit Space X eine Flucht zum Mars: "Durch die Automatisierung in vielen Bereichen wird die Arbeitslosigkeit steigen, aber auch die Produktivität. Ich sehe derzeit keine andere Lösung, als dass die Gesellschaft einen Teil der Einnahmen gleichmäßig an alle verteilt."

100 Familien in Oakland sollen bis zu 2000 Dollar pro Monat bekommen, egal ob sie arbeiten

Musk ist mit dieser Forderung im Silicon Valley nicht alleine, Wissenschaftler Andrew Ng, Google-Entwickler Ray Kurzweil oder Investor Albert Wenger haben bereits ähnliche Vorschläge geäußert. Facebook-Mitgründer Chris Hughes bezeichnete die amerikanische Volkswirtschaft als kaputt: "Wir müssen ehrlich sein: Millionen von Jobs sind bereits weggefallen, noch mehr werden folgen. Wir müssen uns mit der Zukunft von Arbeit und Einkommen beschäftigen." Bill Gross, Gründer der Investmentfirma Pacific Investment Management, sagt gar: "Unsere Regierung muss sich mit dieser revolutionär klingenden Idee befassen. Die Menschen brauchen ein Grundeinkommen, damit sie überleben können. Sollte sich das nach Sozialismus anhören: Gewöhnen Sie sich daran!"

Die Initiatoren der digitalen Revolution verkünden seit Jahren nicht ohne Stolz, wie sie mit ihren Ideen ganze Branchen sprengen oder ihrer Meinung nach altertümliche Unternehmen in den Ruin treiben. Sie werden mit selbstfahrenden Autos, Putzrobotern und Lieferdrohnen mitverantwortlich sein, dass einer Oxford-Studie zufolge in den kommenden 20 Jahren knapp die Hälfte aller Jobs in den USA überflüssig werden. Es ist das Ende des amerikanischen Traums. Die amerikanische Realität im Jahr 2016 sieht so aus, dass 21 Prozent der Amerikaner einen Lottogewinn für die wahrscheinlichste Möglichkeit halten, irgendwann mal eine Million auf dem Konto zu haben.

Wenn das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen funktioniere, "können wir die Strukturen einer Gesellschaft völlig neu denken", sagt Sam Altman. Er ist durch den Verkauf der Social-Network-App Loopt reich geworden und durch Beteiligungen an Unternehmen wie Airbnb, Reddit oder Pinterest stinkreich. Altman, gerade mal 31, ist der Präsident von Y Combinator, einem der mächtigsten Gründerzentren im Silicon Valley. Altman will im kommenden Jahr ein Experiment starten: Er will 100 Familien in Oakland zwischen 1000 und 2000 Dollar pro Monat überlassen. Einfach so, ohne Gegenleistung. Auch, wenn sie dann ihren Job kündigen und den ganzen Tag nichts tun. "Wenn das Pilotprojekt klappt, dann werden wir eine größere Studie über die Vereinigten Staaten hinweg durchführen", sagt Altman und betont, dass dieses Basiseinkommen keine sozialistische Idee sei: "Die Menschen können immer noch verdammt reich werden. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es Billionäre geben wird. Das ist unfair, gewiss, aber das Streben nach Wohlstand treibt eine Gesellschaft voran. Wir dürfen jedoch nicht zulassen, dass es Menschen gibt, die kein Geld für Miete, Essen oder Heizung haben." Das klingt, aus dem Mund eines Menschen, der Milliarden von Dollar bewegt, vernünftig - aber auch ein bisschen nach schlechtem Gewissen.

Die Idee ist praktisch für die Unternehmer: Sie können weitermachen wie zuvor

In Oakland leben die Vergessenen und Überflüssigen der digitalen Revolution. Sie sind jahrelang Taxi gefahren und auf die andere Seite der Bay Area gezogen, weil sich in San Francisco nur noch Menschen mit sechsstelligem Jahresgehalt die Miete für eine Wohnung leisten können. Die nun als Uber-Fahrer die Firmengründer und Geldgeber vom Flughafen nach Fremont oder Mountain View fahren und hoffen, dass das nicht ganz so schnell mit den selbstfahrenden Taxis geht. Die im Notfall keine 400 Dollar haben, weil sie diese 400 Dollar heute brauchen, um zu überleben.

Sie denken im Silicon Valley gerade über ein Problem nach, das sie auch selbst kreiert haben. Der technologische Fortschritt bringt einige Gewinner hervor und sehr viele Verlierer. Bei einem bedingungslosen Grundeinkommen müssten die Firmengründer und Investoren ihr Verhalten nicht ändern. Sie dürften einfach weitermachen mit der Disruption zahlreicher Branchen und dem Gestalten der Welt nach ihren Vorstellungen. Der Kollateralschaden, steigende Arbeitslosigkeit, würde durch das Grundeinkommen kompensiert. Es wäre Opium fürs Volk.

Natürlich verkaufen die Technik-Evangelisten die Idee das Basiseinkommens als innovativ (obwohl sie deutlich älter ist als das Silicon Valley) und wohltätig. Wer nicht mehr jeden Tag für sein Einkommen schuften muss, darf kreativ oder zum Müßiggänger werden, wie Musk betont: "Die Menschen haben dann mehr Zeit, sich mit anderen, komplexeren und interessanteren Dingen zu beschäftigen. Auf jeden Fall werden sie mehr Freizeit haben." Er sagt aber auch: "Ich weiß nicht, was man sonst machen könnte." Das klingt dann auch nach: Ich habe keine Ahnung.

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