Silicon Valley:Leben ohne Sex

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(Foto: N/A)

Die besseren Babys entstehen, wenn Technologie die Zeugung übernimmt, heißt es im Silicon Valley. Viele Mitarbeiterinnen von Apple & Co. lassen bereits ihre Eizellen einfrieren. Entsteht dort ein Tal von designten Menschen?

Von Alina Fichter

Das Paar muss sich entscheiden, welchen ihrer 20 im Reagenzglas entstandenen Embryos es in ein paar Monaten als Baby im Arm halten will: Wie wäre es mit dem hier, der laut Arztpapieren das Zeug zum Football-Star hat? Oder doch lieber der da, weil er höchstwahrscheinlich superschlau sein wird?

Gut möglich, dass die baldige Mutter das eine will, während der künftige Vater auf das andere besteht: Diese Art des Ehekrachs sei bald unausweichlich, sagt Hank Greely, denn das Kinderkriegen wandle sich gerade fundamental. Eltern können bestimmte Eigenschaften für den Nachwuchs auswählen - und Krankheiten einfach abwählen. Im Labor, auf dem Papier. Und ganz ohne Sex.

Spricht man mit Greely, beschleicht einen kurz der Gedanke, dass da ein Science-Fiction-Autor vor einem sitzt. Bis der Gesprächspartner seine Thesen mit Daten und Beispielen unterlegt und sie in die Gegenwart holt. Wie Greely, Genetikprofessor und Direktor des Instituts für Recht und Biowissenschaften an der Stanford- Universität. Er sagt, große Teile seiner Vision würden heute längst umgesetzt.

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) etwa gibt es schon lange: Der älteste so zur Welt gekommene Mensch ist heute 27 Jahre alt. Paare nutzen PID, um zu entscheiden, ob Embryos, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, wirklich in die Gebärmutter eingesetzt werden sollen. Aber erst jetzt steigt die Anwendung exponentiell: In den USA wurde PID 2014 etwa 7000 Mal eingesetzt - 2016 bereits in 60 000 Fällen. Eine Versechsfachung, vorangetrieben durch die Paare aus der Bay Area. So heißt das Silicon Valley, wenn San Francisco eingeschlossen ist. Viele Menschen hier wollen nicht nur als Erste etwas Neues entwickeln, sondern auch als Erste alles Neue ausprobieren.

Werdende Eltern nutzen PID meist, um zu erfahren, welcher Embryo gesund ist. Aber Paare in der Bay Area wollen nun auch entscheiden, ob sie einen Sohn oder eine Tochter auf die Welt bringen. Und Genetiker Greely ist sich ganz sicher: Demnächst wird es möglich sein, alles über einen Embryo zu erfahren. "Sein gesamtes Erbgut zu entschlüsseln, kostet bald nur noch 500 Euro statt einer halben Milliarde", sagt er: Welche Haarfarbe das Kind haben wird, welchen Intelligenzquotienten, ob es aufgeweckt oder still sein wird, musikalisch oder sportlich, aufbrausend oder geduldig. Der Einsatz von PID werde sich noch deutlich ausweiten, sobald Paare die Eigenschaften ihrer Kleinen auswählen können wie Zutaten in einem Supermarkt. Zudem sind viele Silicon-Valley-Einwohner besessen davon, die Besten zu sein und die besten Kinder zu präsentieren. Nicht ungewöhnlich, dass Eltern von ihren Zehnjährigen exzellente Noten und herausragende sportliche Leistungen einfordern, damit die es später mal an die Stanford schaffen und noch später an die Konzernspitze eines selbst gegründeten Unternehmens. Wenn solche Eltern den potenziell cleversten, sportlichsten und charmantesten Embryo auswählen können und dafür kein teurer, schmerzhafter Eingriff mehr nötig ist - was sollte sie davon abhalten?

Es wäre nicht das erste Mal, dass das Silicon Valley einen Trend beim künstlichen Kinderkriegen anführt. Seit 2014 bezahlen Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen, wenn sie erst einmal ihre Karriere vorantreiben wollen, bevor sie eine Familie gründen.

Ist das die Zukunft: Kein Autismus mehr, keine wilden Kinder, nur noch Supersportler

Die Initiative löste auch in Deutschland eine heftige Debatte darüber aus, ob die Tech-Konzerne ihre Mitarbeiterinnen zu Karrieremaschinen machen, die auf Knopfdruck Kinder kriegen, wenn es dem Konzern passt. Zugleich wurde das Einfrieren im Silicon Valley ganz leise zur Normalität. So dürfte das auch beim designten Kind werden: Während PID in Deutschland nur zu bestimmten Zwecken erlaubt ist, probieren die Menschen hier aus, was geht.

Greely nennt noch einen Grund, aus dem Eltern im Valley die neuen Möglichkeiten der Menschwerdung besonders rasch annehmen könnten: Es hält sich hartnäckig die These, dass hier mehr autistische Babys auf die Welt kämen als anderswo auf der Welt. "Das Geek-Syndrom" nannte das Tech-Magazin Wired dieses Phänomen und erklärte es so: Unter Computerfreaks seien autistische Züge häufiger; wenn sie Familien gründeten, potenziere sich die Wahrscheinlichkeit, diese an den Nachwuchs weiterzugeben. "Wenn Eltern vermeiden können, solche Wesensmerkmale oder Krankheiten an ihre Kinder weiterzugeben, werden sie es tun", sagt Greely. In nicht mal mehr 20 Jahren sei das leicht und günstig zu haben.

Behält Greely recht, würde sich grundlegend ändern, wie sich Leben entwickelt: Im Silicon Valley könnte über die folgenden Generationen jeder menschliche Makel ausgelöscht werden. Kein Autismus mehr, keine wilden Kinder, nur noch Supersportler, alle irgendwie gleich. Es wäre eine Anmaßung, denn: Wer legt fest, was ein Makel ist? Und: Machen nicht erst Makel uns menschlich? Das zeigt, wie wichtig es heute für jeden ist, die technologischen Möglichkeiten genau zu kennen, damit sich Gesellschaften entscheiden können, ob sie mit den Folgen leben möchten.

Greely ärgert sich im Nachhinein über den Titel seines Buches zum Thema: "Das Ende des Sex". Das habe Käufer abgeschreckt. Dabei würden Menschen auch noch Sex haben, wenn es biologisch längst überflüssig geworden sei. Dafür gebe es schließlich noch andere Gründe als das Kinderzeugen.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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