Silicon Valley:Ab in die Unendlichkeit

Silicon Valley: An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel. Illustration: SZ

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel. Illustration: SZ

Der unbedingte Wille, schnell zu wachsen, prägt die Unternehmen im Silicon Valley. Das kann den Kunden nutzen: Die Online-Universität Udacity etwa bringt die Absolventen rasch in Jobs.

Von Alina Fichter

Einen Menschen versteht man besser, wenn man weiß, was ihn antreibt: Verhält er sich so, weil er Anerkennung braucht? Oder Geld will? Bei einem Unternehmen ist es ähnlich: Die Ziele bestimmen Auftreten und Produkte. Wer das Silicon Valley verstehen will, muss sich deshalb mit den Antreibern der Firmen dort auseinandersetzen: Sie unterscheiden sich von denen der Konkurrenten anderswo.

Udacity etwa will nicht nur ein wenig wachsen. Sondern rasend schnell riesig werden. "Eine Milliarde Menschen!", ruft Sebastian Thrun bei einem Vortrag. Er ist Präsident der Online-Universität, die sich auf Kurse im Tech-Bereich spezialisiert hat. Eine Milliarde Menschen will er mit ihnen erreichen, in alle Haushalte der Welt eindringen. Etwa fünf Millionen Teilnehmer hat Udacity heute, sechs Jahre, nachdem Thrun aus Googles Innovationslabor X ausstieg, um die Plattform zu gründen.

Auch in Deutschland will Thrun jetzt wachsen. Aber das dürfte schwieriger werden als in den USA. Bildung ist hier vergleichsweise günstig, während Studenten amerikanischer Universitäten oft Hunderttausende Dollar bezahlen. Fest steht: Es ist noch ein sehr weiter Weg bis zur Milliarde.

Thruns Punkt ist aber ein anderer. Seine Vorgabe an die Mitarbeiter lautet: Strebt nach der Unendlichkeit! Das ist typisch Silicon Valley. Die Grenzen dessen, was vernünftig zu sein scheint, komplett zu ignorieren. Thrun ist zwar Deutscher, aufgewachsen im Bergischen Land. Aber er gehört zu den Größten und Gefürchtesten in Nordkalifornien. Er treibt das, was das Silicon Valley ausmacht, auf die Spitze, er stellt Fragen wie: "Wer sagt denn, dass wir nicht doppelt so lang leben können? Bald einen IQ von 4000 haben werden statt 140? Oder unser Gedächtnis downloaden können?" Er findet vieles großartig, was für andere Deutsche unheimlich klingt. Und er hat das unternehmerische Ziel des exponentiellen Wachsens verinnerlicht wie kein zweiter. Das bestimmt maßgeblich, wie er Udacity führt. Zum Beispiel ließ er kürzlich eine Beratungsfirma innerhalb seiner Online-Uni gründen. Udacity Blitz heißt sie, denn auch dabei geht es um allerhöchstes Tempo: dabei, seine Studenten in Jobs zu bringen. Das ist sein Etappenziel, um schnell zu wachsen.

Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, den Erfolg von Udacity zu messen: Wie viele Menschen melden sich zu Kursen an, wie viele schließen sie ab? Aber lauwarmes Kundeninteresse findet Thrun ungenügend. "Was wir nicht wollen, ist das Modell Fitnessstudio", sagt Christian Plagemann, der Chef von Udacity Blitz. Dort melden sich jedes Jahr Zigtausende mit guten Vorsätzen an - und verlieren nach zwei Trainings die Lust. Aber nur motivierte Teilnehmer drängen auch ihre Freunde, sich anzumelden - und nur so entsteht Wachstum.

Deshalb hat sich Thrun für eine radikale Definition von Erfolg entschieden: Haben Studenten spätestens sechs Monate nach ihrem Udacity-Abschluss eine Stelle? Der Hauptgrund, aus dem Menschen Hunderte Dollar für seine Kurse zahlen, ist, eine Anstellung zu finden - in einer Zeit, in der Amerikaner laut US-Behörde für Arbeitsstatistik zehn verschiedene Jobs mit zehn unterschiedlichen Anforderungsprofilen haben, bis sie 40 Jahre alt werden. "Es ist eine neue Zeit, in der wir leben", sagt Thrun; es gebe kein Ankommen in einem Job mehr, kein Erreichen des Gipfelkreuzes, kein Ausruhen. Stattdessen gehe der Aufstieg - das Lernen - immer weiter.

Für den Fall, dass Udacity dabei scheitert, seine Absolventen in Jobs zu bringen, hat Thrun seiner Firma eine harte Strafe auferlegt: Sie muss ihnen die kompletten Gebühren zurückerstatten. Dies zwingt das Unternehmen, alle Kräfte darauf zu fokussieren, die Jobgarantie zu erfüllen.

Studenten lernen das, was Google, Facebook, Amazon und andere Tech-Firmen gerade brauchen

Das prägt den Lehrplan: Studenten lernen ausschließlich das, was Google, Facebook, Amazon und andere Tech-Firmen gerade brauchen. Nicht Studium Generale also, die Allgemeinbildung ist egal: Es geht um Spezialwissen. Die drei Valley-Größen gehören zu den offiziellen Partnern von Udacity. Man trifft sich regelmäßig, um zu erfahren, was Menschen beherrschen müssten, um als Mitarbeiter interessant zu sein. Das wird in den Lehrplan aufgenommen. Deshalb liest sich das Kursangebot so: Programmieren, künstliche Intelligenz, Robotik, Technologie selbstfahrender Autos. Es ist die Wunschliste der Valley-Firmen. Aber Wissen vermitteln allein reicht nicht, um Studenten in Jobs zu bringen. Thrun muss beweisen, dass seine Leute auch wirklich etwas können. Die Studierenden bekommen ja keine Noten, sie bestehen Kurse oder fallen durch. Und das Nanodiplom von Udacity trägt zwar einen lustigen Namen, ist aber nirgendwo anerkannt - und bisher außerhalb des Valley auch kaum bekannt.

Die Studenten bekommen keinen Frontalunterricht, sondern sie arbeiten an Projekten, die sie später als Arbeitsprobe vorweisen können. Sie lernen etwa, Codes zu schreiben, die das selbstfahrende Auto von Udacitys Firmenparkplatz in Mountain View über die Highways nach San Francisco fahren lässt. Die Online-Uni muss die Kursmaterialien ständig erneuern, so schnell entwickelt sich das Wissen weiter.

Auch Udacity Blitz, das interne Beratungsunternehmen, hat den einen Zweck: die Jobgarantie zu erfüllen. Firmen heuern Udacity-Absolventen für ein Projekt an, etwa, wenn sie eine neue Webseite oder eine App brauchen. Gefällt den Firmen die Arbeit der frisch ausgebildeten Programmierer, bieten sie ihnen rasch eine Stelle an, so Thruns Kalkül. Das bedeutet mehr Erfolgsgeschichten, mit denen Udacity wirbt - in der Hoffnung auf neue Kunden: auf Wachstum. Thrun nennt sein Beratungsunternehmen eine Brücke zwischen Online-Kurs und Jobeinstieg. Brücke - ein ungewöhnlich statisches Wort für Thrun. Vielleicht ist ihm der Begriff "Katapult" gerade nicht eingefallen.

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