Silicon Beach:Unter der Sonne

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

In Südkalifornien werden Geschäfte am Strand, manchmal sogar beim Surfen, gemacht. Sie haben dort das Networking nicht erfunden - sie haben es perfektioniert. Südkalifornien wird immer mehr zur Alternative des Silicon Valley.

Von Jürgen Schmieder

Natürlich ist es völlig verrückt, was da passiert. Es passiert jedoch derart häufig, und es passiert immer, wirklich immer, derart nonchalant, dass sich kaum noch jemand darüber wundert: Da begegnen sich zwei Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben, auf Surfbrettern im Pazifischen Ozean, sie sprechen ein wenig über die Wellen und ihre Ideen (wichtig: Jede Idee ist eine gute Idee in Südkalifornien), und wenn die beiden das Wasser verlassen und bestens gelaunt über den weißen Sand laufen, dann hat der eine in das Start-up des anderen investiert, gern auch mal einen Millionenbetrag.

Silicon Beach Surfers nennt sich diese eine von unzähligen Vereinigungen in Los Angeles, die den "Strandortvorteil" zum Verbandeln und Verhandeln nutzen. Leute begegnen sich scheinbar zufällig in dieser Stadt, es folgt jedoch einer inneren Logik, die jeder kennt und dennoch keiner erklären kann: Man trifft einen Manager des Gesundheitsportals Headspace und den Ingenieur von Jessica Albas Lifestylefirma The Honest Company auf dem Grillfest des Nachbarn, dessen Start-up Meditation und Restaurants verknüpfen will, und am Ende des Abends haben sie nicht nur über den Sport der Kinder geredet, sondern auch übers Geschäft.

Silicon Beach entwickelt sich so zur Silicon-Valley-Alternative, gerade an der Schnittstelle zwischen Unterhaltungs- und Technikbranche: Das soziale Netzwerk Snap hat gerade Büros in Santa Monica bezogen, der Musikdienst Spotify hat sich den hippen Arts District im Stadtzentrum ausgesucht, Netflix einen zweiten Firmensitz in Hollywood. Schauspieler Ashton Kutcher hat in einem Film Apple-Gründer Steve Jobs verkörpert, im wahren Leben hat er gemeinsam mit dem ehemaligen Madonna-Manager Guy Oseary und dem Milliardär Ron Burkle die Venture-Capital-Firma A-Grade Investments gegründet und laut Forbes aus dem Startkapital von 30 Millionen Dollar mittlerweile mehr als 250 Millionen gemacht.

Sie haben Networking nicht erfunden in Südkalifornien, sie haben es indes perfektioniert - seit Jahrzehnten treffen sich die Leute an Futterstellen für Goldgräber: Mittagessen im Chateau Marmont, Cocktail in der Polo Lounge, eine Party in den Hollywood Hills. Dieses Prinzip haben sie nun auf die Technikbranche erweitert: Frühstück in The Butcher's Daughter in Venice Beach, ein Baseballspiel der Kinder in West Hollywood, Surfen im pazifischen Ozean. Jede Idee ist eine gute Idee, gerade Promis wie Leonardo DiCaprio (MindMaze), Tyra Banks (The Muse) oder Robert Downey jr. (Ethos) lesen nicht mehr nur Drehbücher, sondern auch Businesspläne.

Los Angeles ist, schon immer übrigens, eine Stadt derer, die es versuchen und nicht schaffen. Die Red Hot Chili Peppers besingen das im Lied "Under the Bridge", in dem der Protagonist einsam unter einer Brücke im Stadtzentrum liegt und sich mit Drogen vollpumpt. Wer eine Firma gründet, der hat meist nicht besonders viel Geld, für sich selbst oder für Büros, und das ist ein weiterer Vorteil von Los Angeles gegenüber San Francisco beim Werben um vielversprechende Start-ups: Im Silicon Valley kann sich selbst jemand mit sechsstelligem Jahresgehalt nur ein 13-Quadratmeter-Zimmerchen leisten. Das kostet 1395 Dollar im Monat.

Los Angeles ist ebenfalls absurd teuer, im Durchschnitt aber 25 Prozent günstiger als San Francisco, und es gibt noch ein paar Ecken, die gerade für Firmengründer bezahlbar sind: Playa Vista zum Beispiel, El Segundo oder Hawthorne, das Elon Musks Konzerne Tesla, Space-X und The Boring Company beherbergt. Apropos Musk: Der schläft, so erzählt er immer wieder, hin und wieder in der Tesla-Fabrik im nordkalifornischen Fremont - weil er nach eigenen Angaben bis zu 24 Stunden am Tag arbeitet, aber auch deshalb, weil er kein Haus mehr im Silicon Valley besitzt. Man muss sich keine Sorgen um den Rücken des Weltenretters machen, er schläft immer wieder mal in der Villa seines Freundes Larry Page, Gründer von Google.

Es wäre zu früh, von einem Exodus aus dem Silicon Valley zu reden. Risikokapitalgeber haben im vergangenen Jahr einer Studie der Beraterfirma PricewaterhouseCoopers zufolge in den USA insgesamt 99,5 Milliarden Dollar in Firmen investiert, knapp die Hälfte davon noch immer im Norden Kaliforniens. Der Anteil von Los Angeles ist im vergangenen Jahr um 26 Prozent auf 7,56 Milliarden Dollar gestiegen, die Zahl der Venture-Capital-Firmen hat sich mehr als verdoppelt. Es tut sich was am Silicon Beach, und das könnte auch daran liegen, dass sie im Norden andauernd an der Verbesserung des Planeten arbeiten, während sie im Süden die Welt ganz in Ordnung finden, so wie sie ist.

Natürlich möchten sie auch im Süden an der Zukunft basteln, gewiss, das bedeutet jedoch nicht, dass sie ihre Firmen unbedingt in einer Garage gründen müssen, wie es William Hewlett und David Packard im Jahr 1939 getan haben. Sie müssen auch nicht im Büro schlafen und im Fitnessstudio duschen wie Elon Musk während seiner Zeit als Gründer des Finanzdienstleisters Paypal. Es ist dann schon nett, sich bei all den Gedanken um die Zukunft auch in der Gegenwart eine ordentliche Wohnung leisten zu können. Man darf sich nur nicht, will man erfolgreich sein in Silicon Beach, in dieser Wohnung oder im Büro verkriechen. Man muss hinaus, in den Ozean, zum Wandern in die Malibu Mountains oder auch nur zum Fußballspiel des Sohnes in Hermosa Beach. Linienrichter dort: Tom Sturges, der einst als Kreativchef von Universal Music Künstler wie die Foo Fighters, 50 Cent oder Jack Johnson entdeckt hat. Er hat kürzlich ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Jede Idee ist eine gute Idee".

© SZ vom 26.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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