Signal-Gründer Moxie Marlinspike:Der Meister der Verschlüsselung geht

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Signal-Gründer Moxie Marlinspike sucht einen Nachfolger für sein Unternehmen. (Foto: Steve Jennings/AFP)

Moxie Marlinspike hat mit der Chat-App Signal eine sichere Alternative zu Whatsapp geschaffen. Nun tritt er als Chef ab - und einer der Whatsapp-Gründer übernimmt.

Von Jannis Brühl

Moxie Marlinspike erinnert sich noch, wie es war, die ganze App allein zu stemmen: "Ich habe den ganzen Android-Programmcode geschrieben, (...) ich war die einzige Person in Kundendienstbereitschaft und habe die gesamte Produktentwicklung gemacht." Heute hat sein Produkt, die Chat-App Signal, 40 Mitarbeiter, 100 Millionen Dollar Stiftungsgeld im Rücken und ist vermutlich auf einer dreistelligen Millionenzahl Handys installiert.

Zeit für Marlinspike, sein Kind alleine laufen zu lassen. Der nostalgische Rückblick ist Teil seines Abdankungsschreibens auf dem Signal- Blog: "Es ist ein neues Jahr, und ein guter Zeitpunkt, um mich als CEO von Signal zu ersetzen." Damit verliert ein bemerkenswertes App-Projekt seinen Chef.

Signal gilt den meisten Fachleuten für IT-Sicherheit als beste Alternative zu Whatsapp, dem Marktführer, der immer unter Verdacht steht, es auf die Daten seiner Nutzer abgesehen zu haben. Signal sammelt über seine Nutzer kaum Datenpunkte: die Telefonnummer und den letzten Zeitpunkt, zu dem die App geöffnet wurde. Unternehmen, Polizisten und Geheimdienste können damit wenig anfangen. Signal hat keine Informationen über Kontakte oder Gruppen, in denen ein Nutzer Mitglied ist, oder mit wem er oder sie kommuniziert hat. Zudem gilt die Verschlüsselungstechnik von Signal, die Marlinspike selbst erfunden hat, als beste auf dem Markt. Signal ist Technologie für Menschen, die der Technologie nicht trauen. Dissidenten und viele andere, die keine Lust haben, sich überwachen zu lassen, schwören darauf. Laut der Analyse-Firma App Annie ist Signal in dieser Woche unter den 50 beliebtesten Apps für das iPhone in Deutschland.

Lange war gute Verschlüsselungstechnik etwa für E-Mails von Laien kaum zu benutzen. Marlinspike baute sein Signal-Protokoll dagegen unsichtbar in die App - ironischerweise auch in den Konkurrenten Whatsapp, der ihn einst dafür anheuerte. Er gilt deshalb als jener Meister der Verschlüsselung, der den Massen sichere Handy-Kommunikation brachte. Seit Whatsapp seine besonders sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung 2014 in seine App baute, kommunizieren Milliarden Menschen gut geschützt vor Hackern, die den Datenverkehr zwar abfangen, ihn aber nun nicht mehr entschlüsseln können. Aber ein Problem bleibt: Whatsapp ist immer in Versuchung, Daten mit seinem Mutterkonzern Meta oder seinen Schwestern Instagram und Facebook zu teilen. Behörden in mehreren Ländern untersuchen diese Praktiken.

Einen wie sich selbst wird er nicht finden

Marlinspike bleibt Mitglied des Aufsichtsrats der Signal-Stiftung, und er will sich um die Suche nach einem Nachfolger kümmern. Einen wie sich selbst wird er wohl nicht finden. Der Mann mit den Dreadlocks lebte in besetzten Häusern, sprang auf Züge, um durchs Land zu fahren. Alles will er im Geist der Do-it-yourself-Punk-Ethik selbst machen, er macht monatelang Segelbootwracks wieder flott und sucht dabei im Müll des Strandrestaurants nach übriggebliebenen Pommes. Er stellte seine Programmierkenntnisse in den Dienst der krypto-anarchistischen Idee: dass die Freiheit des Einzelnen vor neugierigen Unternehmen und Staaten mit klug programmierter Computertechnik geschützt werden kann. Seine Antwort auf das freche "Sie haben doch nichts zu verbergen, oder?" schnüffelfreudiger Staatsdiener ist der Satz: "Wir alle sollten etwas zu verbergen haben." Seinen bürgerlichen Namen und sein Alter versucht er geheim zu halten.

Marlinspikes fast schon schicksalhafte Verstrickung mit Whatsapp hat zur Folge, dass ihm einer der Co-Gründer von Whatsapp vorerst nachfolgt. Bis Marlinspike einen Nachfolger gefunden hat, wird Brian Acton Signal leiten, der bislang dem Aufsichtsrat der Stiftung vorstand. Die Stiftung gründeten beide zusammen 2018 mit 50 Millionen Dollar aus Actons Vermögen, die Summe verdoppelte er bald.

Für den 49-jährigen Acton ist Signal so etwas wie eine große Bitte um Vergebung. Acton und sein Mitgründer Jan Koum verkauften Whatsapp für 19 Milliarden Dollar an den Facebook-Konzern und blieben an Bord. Als sie erkannten, dass ihr neuer Chef Mark Zuckerberg wenig Interesse an ihrem Versprechen hatte, Daten der Nutzer nicht mit zielgerichteter Werbung zu Geld zu machen, gingen sie von Bord. Acton ging zu Signal, um seinen Idealismus auszuleben.

Mit seinem Geld und seiner Konzernerfahrung hat sich Signal professionalisiert. Die App läuft seit längerem stabiler, ihre einst spartanische Oberfläche lässt Nutzer nun auch Emojis verschicken. Acton erbt auch Marlinspikes bislang umstrittenstes Projekt: eine anonymisierte Kryptowährung namens Mobilecoin, die "so anonym wie Cash" sein soll. Marlinspike träumt davon, Menschen über Signal weltweit Geld versenden zu lassen. Kritiker sehen eine riskante Strategie, die die Sicherheit der App schwächen könnte. Sobald Finanzdienstleistungen ins Spiel kommen, greifen scharfe staatliche Regeln. Behörden könnten so einen Weg finden, Signal Vorschriften zu machen und Kommunikation und andere Nutzerdaten doch noch aufzuknacken.

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