Süddeutsche Zeitung

Sigmar Gabriel:Gut verdrahtet

Der frühere Wirtschaftsminister könnte Cheflobbyist der Autoindustrie werden. Die verspricht sich viel von seinen politischen Kontakten.

Von Detlef Esslinger, Markus Balser, Kristina Ludwig und Nico Fried, Berlin

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie im Gespräch. "Gabriel ist zu 99 Prozent sicher", zitierte Bild am Sonntag einen nicht genannten Manager der Branche. Er sei der Wunschkandidat der Autokonzerne und der Zulieferer. Zuvor hatten auch andere Medien über Gabriels Aussichten für die VDA-Spitze berichtet.

Der Posten des Spitzenlobbyisten der Autoindustrie muss neu besetzt werden, nachdem der frühere Ford-Manager Bernhard Mattes im September seinen Rückzug zum Jahresende 2019 angekündigt hatte. Auf Nachfrage wollte sich Gabriel nicht zu dem Bericht äußern - das heißt, er vermied sowohl eine Bestätigung als auch ein Dementi. Im VDA hieß es am Sonntag, die Personalie sei noch nicht geklärt. Vizepräsident Arndt G. Kirchhoff, der im Präsidium des Verbandes die Autozulieferer vertritt, sagte am Sonntag der Süddeutschen Zeitung, bei einer Vorstandssitzung des VDA am 7. November in Berlin werde "zum ersten Mal" darüber gesprochen, wer künftig den Verband führen solle - "aber mit Sicherheit noch nichts entschieden".

Aus Branchenkreisen heißt es, im Automobilverband sei zumindest klar, dass man sich einen festen, gut verdrahteten Präsidenten wünsche, der seine ganze Arbeitskraft auf die Vertretung der Branchenbelange in Berlin konzentrieren kann. Gabriel gilt mit seiner Branchenkenntnis demnach als natürlicher Kandidat. Auch, dass er in der großen Koalition praktisch jeden kennt, sehe man als Vorteil. Solche Kontakte hatte man bei Mattes vermisst. Nicht ideal sei für einige Hersteller allerdings Gabriels Nähe zu VW. Man wünsche sich in der Branche jedoch eine rasche Entscheidung, um kein Vakuum entstehen zu lassen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete, neben Gabriel werde auch mit der früheren CDU-Politikerin Hildegard Müller gesprochen. Der scheidende EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) hatte für den Posten bereits abgewunken.

In den eineinhalb Jahren seit seinem Ausscheiden als Außenminister und Vizekanzler hat Sigmar Gabriel bereits fleißig an seiner Karriere außerhalb der Politik gearbeitet. Er wurde etwa zum Vorsitzenden des Vereins Atlantik-Brücke gewählt. Wie aus der Antwort des Kanzleramts auf eine schriftliche Frage der Linken hervorgeht, bat Gabriel seit April 2018 um die Genehmigung für zahlreiche, lukrative Jobs. Der Ex-Minister wollte Autor für den Holtzbrinck-Verlag werden, zu dem etwa das Handelsblatt gehört, außerdem bezahlter Redner bei verschiedenen Anlässen und Hochschuldozent im In- und Ausland. Er fragte die Mitwirkung beim European Forum on Global Responsibilities und im Beirat der International Crisis Group an. Zudem meldete er Posten im Aufsichtsrat des Hannoveraner Bauunternehmens Günther Papenburg, im Algebris Policy and Research Forum, bei der Zeag GmbH Zentrum für Arbeitgeberattraktivität und zuletzt im Beirat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte.

Eine vorläufige Absage bekam Gabriel lediglich für sein Ersuchen, in den Verwaltungsrat eines geplanten Bahnunternehmens der Firmen Siemens und Alstom einzusteigen. Auch den Aufsichtsrat der polnischen, schwerreichen Kulczyk Holding lehnte das Kanzleramt vorerst ab; nach der Karenzzeitregelung für ehemalige Minister müsse Gabriel bei diesen Posten jeweils noch ein Jahr warten, teilte man ihm mit.

Zum 1. November legt Gabriel nun auch sein Bundestagsmandat nieder - wie es der Zufall will, genau 18 Monate nach seinem Ausscheiden aus der Regierung und damit am Ende der Karenzzeit. "Und wenn man nicht mehr recht gebraucht wird, dann soll man besser gehen", schrieb Gabriel zum Abschied. Gebraucht wird er jetzt anderswo.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019
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