Siemens:Wettrennen nach Bagdad

Im Kampf um Großaufträge zum Wiederaufbau des irakischen Stromnetzes schien General Electric gewonnen zu haben. Doch nun mischen die Münchner wieder mit.

Von Thomas Fromm

Zuletzt schien die Sache schon ziemlich klar zu sein: Alles für den US-Konzern General Electric (GE), nichts für Siemens. Die Milliardenaufträge zum Wiederaufbau der irakischen Energieversorgung sind lukrativ, und auch deshalb hatte US-Präsident Donald Trump offenbar alles getan, um die irakische Regierung davon zu überzeugen, dass es ein amerikanischer Konzern sein muss, der den Auftrag bekommt. Dem Vernehmen nach soll der politische Druck groß gewesen sein - bis hin zu der Frage, ob es Ausnahmen bei den USSanktionen gegen den Iran geben könnte. US-Medien berichteten zudem von Warnungen aus Washington, die Beziehungen zwischen beiden Ländern stünden auf dem Spiel, sollte der Auftrag an das Unternehmen aus München gehen.

Der Druck auf den Chef steigt

Nach dem Verschwinden des regierungskritischen saudi-arabischen Journalisten Jamal Khaschoggi wächst der Druck auf Siemens-Chef Joe Kaeser, seine Teilnahme an einer Investorenkonferenz in dem Königreich abzusagen. SPD-Chefin Andrea Nahles rief Kaeser in Bild am Sonntag dazu auf, dem Beispiel anderer Konzernchefs zu folgen und kommende Woche nicht an der Investorenmesse in Riad teilzunehmen: "Ich hoffe, Joe Kaeser überdenkt das noch mal", sagte sie. Aus der CDU forderte Außenpolitiker Norbert Röttgen, hochrangige Wirtschaftsführer sollten auf ihre Teilnahme verzichten. "Das gilt aus meiner Sicht beispielsweise für den CEO von Siemens, der ja zugesagt hat", sagte er. Ein Siemens-Sprecher teilte am Sonntagmittag mit, Kaeser habe sich noch nicht entschieden. Er gehe davon aus, dass die Entscheidung noch am Sonntag fallen werde, könne das aber nicht mit Sicherheit sagen. Die Veranstaltung, bei der Kaeser im Beratungsausschuss sitzt, soll am Dienstag beginnen. Reuters

Am Sonntag dann überraschte Siemens-Chef Joe Kaeser mit einem Twitter-Eintrag, der ihn zusammen mit dem irakischen Elektrizitätsminister Qasim Al-Fahdawi zeigt. Im Hintergrund die irakische Fahne, vor ihnen ein blitzblanker Schreibtisch. In den Händen halten sie zwar noch keine rechtskräftigen Verträge, aber immerhin schon ihre gerade eben unter Dach und Fach gebrachte Absichtserklärung.

Siemens verspricht, bei der Bekämpfung der Korruption zu helfen und Schulen zu bauen

In Bagdad spricht Kaeser von einem "großartigen Meilenstein für den neuen Irak", in München ist von einem "Teilerfolg" die Rede. Wenn das Energieprojekt im Irak ein großer Kuchen ist, dann bekäme jeder - Stand heute - die Hälfte davon ab. Nur, um im Bild zu bleiben: Welche Stücke es genau sein werden, das ist zurzeit wohl noch nicht entschieden. Insgesamt soll es für Siemens um den Ausbau von elf Gigawatt in den kommenden vier Jahren gehen, das entspräche in etwa der Hälfte der derzeitigen heutigen Stromkapazitäten im Irak. Geschätzter Wert des Auftrags: ein hoher einstelliger Milliardenbetrag. Was die Entscheidung über diesen Auftrag so besonders brisant macht: Es steht für alle Beteiligten sehr viel auf dem Spiel. Für Bagdad, weil ein Großteil der Bevölkerung trotz der lukrativen Ölförderung massiv unter der schlechten Elektrizitätsinfrastruktur leidet. Zuletzt hatte es wegen der Lage schwere Zusammenstöße mit Toten und Verletzten gegeben. Es geht am Ende darum, mehr als 23 Millionen Menschen mit Strom zu versorgen.

Siemens: Immer wieder Störfälle: Ein Iraker überprüft die Stromversorgung in einem Haus in Bagdad.

Immer wieder Störfälle: Ein Iraker überprüft die Stromversorgung in einem Haus in Bagdad.

(Foto: AFP)

GE befindet sich derzeit in einer schweren Krise und will den Auftragserfolg für sich verbuchen. Und Siemens: Das Unternehmen kann einen Großauftrag nicht zuletzt wegen der Krise in seiner Kraftwerksspart gut gebrauchen. So hatte die Konzernspitze mit dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall den Abbau von 6 900 Stellen weltweit vereinbart, an die 2900 davon in Deutschland.

Bereits im Sommer 2015 hatte Siemens den Zuschlag für den Bau von drei neuen Gas- und Dampfturbinen in Ägypten an Land gezogen. Hierbei ging es um Gasturbinen und Windräder im Wert von acht Milliarden Euro. Der Deal galt als Blaupause für die aktuellen Verhandlungen mit den Irakern. In München weiß man allerdings sehr wohl, dass man seit diesem Sonntag zwar schöne Bilder für Kaesers Twitter-Account hat, aber noch keine endgültige und belastbare Entscheidung. Die Rede ist in München von einer "teilbindenden Absicht", die hinter der Erklärung stehe. Die Amerikaner dürften auch weiterhin Druck auf die Regierung in Bagdad ausüben; General Electric hat bereits vor einer Woche ein Abkommen mit der irakischen Regierung unterzeichnet.

In Deutschland stößt die Strategie der Amerikaner auf Kritik

Das Tauziehen geht weiter. Jetzt wird es darum gehen, wer im Detail welche Aufträge bekommt. Nicht nur die Amerikaner, die militärisch im Irak präsent sind, machen Druck. Für die Deutschen ist Thomas Bareiß, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, mit Kaeser in Bagdad. Die Deutschen haben mehr zu bieten als die reine Stromversorgung. Allerdings nicht in Form von politischem Druck. Man verfolge einen "gesellschaftlichen" Ansatz, so ein Sprecher. Kaeser sprach in Bagdad von einer "erschwinglichen und zuverlässigen Stromversorgung", aber auch von Hilfe bei der Korruptionsbekämpfung und beim Bau von Schulen und Krankenhäusern. Das Thema Ausbildung von Fachkräften sei ein wichtiger Bestandteil, wenn es darum gehe, dem Land zu helfen. Als Kaeser vor einigen Wochen in Bagdad war, ging es unter anderem um den Bau einer intelligenten Klinik, die mit Solarenergie und Siemens-Medizintechnik arbeiten soll.

Die zivilen Angebote der Deutschen, verbunden mit der Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort auf der einen, die politische Vorgehensweise aus Washington auf der anderen Seite - beide Parteien haben sehr unterschiedliche Ansätze, um hier zu gewinnen. In Deutschland stößt die Strategie der Amerikaner bereits auf Kritik. "Diese Art der Durchsetzung der "America-First"-Doktrin im weltweiten Wettbewerb multinationaler Unternehmen ist nicht akzeptabel", sagte Joachim Lang, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Welt am Sonntag.

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