Siemens:"Was wird aus den Menschen?"

Dass sich Siemens ständig neu erfindet, ist eines der Naturgesetze des Konzerns. Die Streichungen in der Energiesparte jedoch machen vielen Mitarbeitern Angst.

Von Thomas Fromm

Man kann die Lage bei Siemens an diesem Tag an zwei Farblagern fest machen: schwarz-grau und rot. Rot sind die Plakate und Jacken der IG-Metaller, die schon morgens um acht Uhr vor der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München stehen und gegen die Kürzungspläne des Managements in der Kraftwerkssparte demonstrieren. Sie halten ein Plakat mit den Bildern von 600 Mitarbeitern hoch, auf dem steht: "Was wird aus den Menschen?"

Schwarz und grau hingegen sind die Anzüge und Kostüme der Menschen, die um diese Zeit auf dem Weg in ihre Büros in der Firmenzentrale sind. Während die Schwarzgrauen über den Platz in Richtung Haupteingang gehen, schauen Sie manchmal in Richtung der roten Gruppe. Die aber stehen an diesem Tag für eine Seite des Siemens-Konzerns, der mit der schwarzgrauen wenig zu tun hat.

In der Energiesparte soll massiv gestrichen werden, weil das Geschäft mit großen Kraftwerksturbinen in Zeiten der Energiewende nicht mehr läuft. Die Frage ist nur: Wie soll das gehen, wenn man eigentlich einen Beschäftigungspakt mit der Arbeitnehmerseite abgeschlossen hat? Und vor allem: Darf man das überhaupt bei einem Konzerngewinn von 6,3 Milliarden Euro und einem Umsatz von 83 Milliarden Euro?

Drinnen sitzt wenig später Vorstandschef Joe Kaeser und spricht von einem "sehr erfolgreichen Erfolgsjahr" und über das große Ganze. Die Lage in Nordkorea, Katalonien und die Bundestagswahlen in Deutschland. Die Botschaft ist klar: Das Meer, durch das der große Tanker Siemens gerade hindurch muss, ist ziemlich aufgewühlt. Aber: "Wir haben auch in 2017 gehalten, was wir versprochen haben." Wenn der Aktienkurs seit Sommer 2013 um mehr als 50 Prozent gestiegen ist, dann, so Kaeser, sei dies auch "ein monetäres Barometer für den Erfolg und die Glaubwürdigkeit der Strategie eines Unternehmens".

Erfolg, der liegt für Kaeser vor allem im Digitalen. "Siemens gehört schon heute zu den zehn größten Software-Unternehmen der Welt", sagt er. Digital, das ist die Zukunft. So wie vieles schon mal Zukunft war in diesem Riesenkonzern und heute Vergangenheit ist. Handys, Kommunikationsnetze, Speicherchips, Glühlampen. Dass sich der Konzern ständig neu erfindet, Bereiche auslagert, verkauft oder an die Börse bringt, ist eines dieser Siemens-Naturgesetze. Die Manager sagen: Die Welt da draußen verändert sich ja auch. So wie jetzt wieder.

Am 16. November will der Vorstand die Arbeitnehmervertreter über seine Pläne in der Kraftwerkssparte informieren. Es könnten an die 4000 Jobs wegfallen und ganze Werke geschlossen werden. Es könnten aber auch Jobs von großen Standorten im Westen nach Ostdeutschland verlagert werden, um dort Werksschließungen zu vermeiden. Doch genau diese Gedankenspiele sind es, die die Menschen nun verunsichern.

Während drinnen über Zahlen gesprochen wird, steht draußen vor der Siemens-Zentrale der Siemensianer Walter Falk. Er ist aus dem Vorort Allach in die Innenstadt gekommen, 57 Jahre alt, rote Jacke. Warum er gekommen ist? "Kaeser hat gesagt, er will Ruhe ins Unternehmen bringen", sagt er. "Davon ist er weit entfernt." Falk will endlich wissen, wie es weitergeht. Doch darauf bekommt er an diesem Tag keine Antwort.

Zwei Stunden später sitzt Kaeser in einer Schalt-Konferenz mit Finanzanalysten. Auch sie wollen wissen, wie es mit Siemens weitergeht. Doch weitergehen, das bezieht sich bei ihnen auf Zahlen. Auf Aktienkurse, Umsätze und Gewinnprognosen. Und nicht auf die Frage, ob und wie es in Berlin und Görlitz mit den Schweißern weitergeht.

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