Siemens-Vorstand Joe Kaeser im Porträt:Neuer Chef, alter Bekannter

Er hat schon viele überdauert: Der neue Siemens-Chef Joe Kaeser ist bodenständig, ein guter Netzwerker und ein echter Siemensianer. Nach dem Aus für Peter Löscher ist wieder ein Siemens-Eigengewächs am Zug. Doch der Druck ist enorm.

Von Caspar Busse und Thomas Fromm

Für die Freiwillige Feuerwehr im kleinen Ort Arnbruck im Bayerischen Wald war es ein großer Tag: Ein neues Fahrzeug wurde geweiht. Mit dabei war am vergangenen Sonntag auch Joe Kaeser, 56. Der künftige Vorstandsvorsitzende des Weltkonzerns Siemens kennt hier alle. Er ist am Wochenende regelmäßig in seinem Heimatdorf, unter der Woche wohnt er in München. Auf dem Weg dorthin hatte er nun kurz Halt gemacht, aber er blieb nicht lange. Er wurde dringend in München gebraucht, bei den Krisengesprächen um die Führungskrise bei Siemens.

An diesem Mittwoch wurde der bisherige Finanzvorstand Joe Kaeser vom Siemens-Aufsichtsrat zum neuen Konzernchef gewählt. Es ist ein riskanter Job: Der neue Chef muss Siemens beruhigen, Ordnung in das Chaos der vergangenen Wochen bringen, gleichzeitig eine neue Strategie entwerfen und das Unternehmen auf die Erfolgsspur führen. Der Druck ist enorm, die Chancen auf einen schnellen Erfolg aber nicht groß, diejenigen für ein Scheitern umso größer. Aber Kaeser, der gerne bis in die frühen Morgenstunden arbeitet, will es machen.

1980 war Joe noch Josef, 23 Jahre alt und die Siemens-Welt eine andere als heute. Er heuerte nach dem BWL-Studium in einem Bereich an, den es heute so gar nicht mehr gibt: Bauelemente. Ort: Regensburg. Nicht der Ort, in dem große Karrieren gemacht werden. Vielleicht aber geplant werden. Diese hier verlief nach Plan, ein Weg durch die Instanzen. Wenn es einen roten Faden in diesem Leben gibt, dann diesen: Kaeser war immer zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Nicht zu früh. Aber auch nicht zu spät.

Kaufmännischer Leiter, Vorstand der Siemens-Mobilfunksparte ICM, Leiter Konzernstrategie unter dem damaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Dann Vertrauter des Pierer-Nachfolgers Klaus Kleinfeld. Klaus und Joe waren ein Team, eines, das zusammenhielt. Zwei junge, aufstrebende Manager. So berichteten es diejenigen, die ihnen nahestanden. Es kam das Jahr 2006, die große Korruptionsaffäre. Ein Manager nach dem anderen wurde aus dem Amt gekegelt. Kaeser aber blieb.

Löscher galt nicht nur als Externer, sondern auch als Cromme-Mann

Mehr noch: Kaeser löste im Zuge der Korruptionsaffäre Heinz-Joachim Neubürger als Finanzchef ab. Irgendwann war auch Kleinfeld nicht mehr da. Kaeser, der Mann der Zahlen, blieb allein zurück. Es schadete ihm nicht. Im Gegenteil. Da war er schon ein Vierteljahrhundert bei Siemens. Er hatte auch für die skandalträchtige Kommunikationssparte gearbeitet, aber er galt als unbelastet. So wurde er zum letzten Halt eines Konzerns. Einem Unternehmen, dem viele zwar viel zutrauten, aber eben nicht mehr vertrauten. Der Niederbayer mit dem großen Schnauzbart war nun der Mann, der die Finanzmärkte bei Laune hielt. Der Garant. Der Mann für Kontinuität und Neuanfang - ein schwieriger Spagat. Die Analysten versorgte er mit Zahlen, die Investoren mit Vertrauen, die eigenen Leute mit Hoffnung.

Wenn man damals jemanden am Wittelsbacher Platz fragte: "Wo ist Kaeser?", war die Antwort meistens: "Sitzt mit den Jungs in London oder Frankfurt zusammen." Kaeser blühte auf. Wurde immer eloquenter, selbstsicherer, mächtiger. Scherzte, mal hintersinnig, mal ironisch, wurde beliebter. Was ihn rückblickend vor allem von Löscher unterscheidet: Der Österreicher war 2007 vom mächtigen Aufsichtsratschef Gerhard Cromme geholt worden und galt seitdem nicht nur als Externer - er war für die meisten auch der Cromme-Mann. Einer, der es nie geschafft hatte, sich freizumachen von jener Macht, die da in den Augen vieler Siemensianer von Nordrhein-Westfalen aus nach München gegriffen hatte. Kaeser dagegen hatte beiden Männern schon Jahrzehnte bei Siemens voraus. Ein entscheidender Vorsprung in einem Konzern mit immer noch 370.000 Mitarbeitern und unzähligen Netzwerken.

Kaeser hat schon viele überlebt

Kaeser, das ist ein Mann mit vielen Gesichtern, nicht nur, weil er vor einiger Zeit seinen markanten Schnauzer abgenommen hat. Da ist der Josef, der Familienvater mit zwei Töchtern aus dem 2000-Einwohner-Dorf Arnbruck, der das "R" wunderbar rollt, dessen Bruder Landwirt ist. Und da ist der Joe, der hinter den Konzernkulissen als kühl kalkulierender Machtmensch agieren soll. "Einer der besten Netzwerker im Haus", sagt einer, der ihn seit vielen Jahren kennt und seinen Aufstieg mitverfolgt hat.

Kaeser hat schon viele überlebt. Immer nah dran, aber nicht zu nah, immer irgendwie mittendrin, aber am Ende doch außen vor - es ist eine große Kunst, so wie Kaeser das macht. Vergangene Woche schickte der Konzern einen 6-Zeiler raus, um darüber zu informieren, dass man das ursprüngliche Renditeziel für 2014 nicht einhalten kann. Das Drama nahm seinen Lauf, am Ende musste Löscher gehen. Die Vorstandskollegen haben ihn auflaufen lassen. Wie groß der Anteil Kaesers daran war, ist nicht ganz klar. Von Putsch und Intrige war die Rede. Kaeser, der so viele Jahren eng mit Löscher zusammenarbeitete, hat das alles zumindest nicht geschadet - im Gegenteil. Er ist der Gewinner.

So soll nun Kaeser, sieben Jahre nach der Korruptionsaffäre, den Neuanfang bei Siemens einleiten. Wenn Löscher derjenige war, der Siemens aus dem Korruptionssumpf führen musste, dann ist Kaeser nun derjenige, der sich jetzt wieder um die eigentlichen Dinge kümmern muss, die ein Unternehmen wie Siemens ausmachen: Geschäft, Umsatz, Gewinn, Strategie. "Gutes Management zeichnet sich nicht dadurch aus, dass es viele Stellen streicht, sondern dass es neue Geschäfte entwickelt", hatte er vor kurzem gesagt. Er wird behutsam vorgehen. Aber: "Er wird Strategiediskussionen einleiten müssen", sagt ein Siemens-Kenner. Neue müssen immer etwas verändern.

Auch das Verhältnis zum Aufsichtsrat wird sich ändern. "Cromme kann jetzt nicht ohne Kaeser, aber Kaeser kann ohne Cromme, und er weiß das", sagt einer, der beide sehr gut kennt. Das gebe Kaeser Macht in der schwierigen Zeit, die nun auf Siemens zukomme. "Wenn Cromme glaubt, Kaeser sei wie Löscher treu und willig, irrt er sich", heißt es in Konzernkreisen. Vor allem aber hat Kaeser etwas, das weder Löscher noch Cromme in den vergangenen Jahren hatten: den Rückhalt der Siemensianer. Und seine Heimat, 180 Kilometer von München entfernt, im Landkreis Regen, tief im Bayerischen Wald.

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