Süddeutsche Zeitung

Siemens und Alstom:Was den TGV vom ICE unterscheidet

Sitzabstand, Geschwindigkeit, Zugkonzept - Siemens macht einiges anders als der neue Partner Alstom. Man könnte auch sagen: Eleganz gegen Verlässlichkeit.

Von Caspar Busse

Die Meinungen der Fahrgäste sind, wie könnte es anders sein, geteilt: Reist es sich im französischen TGV besser oder im deutschen ICE? Hier der silbern-blaue Alstom-Zug, der schon seit 1981 durch Frankreich rast, dort der weiß-rote Flitzer aus dem Hause Siemens, der erst zehn Jahre später seinen Betrieb aufgenommen hat. Die Franzosen sind jedenfalls mit einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit unterwegs, der Sitzabstand ist enger, das Innere gilt allerdings als eleganter und nicht so langweilig wie das in den deutschen Zügen. Dafür loben viele, der ICE sei zwar langsamer, dafür solider - und erfolgreicher. Denn Siemens konnte damit beachtliche Exporterfolge erzielen. Der ICE - so der Name der Deutschen Bahn, bei Siemens läuft das Modell unter Velaro - ist auch in Spanien unterwegs, in China, unter dem Kanaltunnel und in Russland zwischen Moskau und St. Petersburg.

Zusammen mit dem Shinkansen-Zugsystem aus Japan sind der TGV und der ICE/Velaro weltweit die wichtigsten Hochgeschwindigkeitszüge. Bei vielen Ausschreibungen sind die Anbieter aus Deutschland und Frankreich gegeneinander angetreten. So wurde der Eurostar, der Frankreich unter dem Kanal mit Großbritannien verbindet, erst von Alstom hergestellt, 2010 übernahm Siemens den Prestigeauftrag. Nun also wollen die beiden Hersteller fusionieren. Was wären die Folgen?

Schon jetzt verkehren französische Züge auf ausgewählten Strecken in Deutschland, die ICE fahren auch nach Frankreich (und Dänemark). Technisch ist das jedenfalls kein Problem mehr. Dass künftig in Deutschland nur noch TGVs unterwegs sind, davon ist nicht auszugehen. Vielleicht eher umgekehrt: Der ICE in seiner neuesten Generation ist technisch zumindest dem Rivalen inzwischen überlegen.

Abgesehen von Äußerlichkeiten stehen hinter dem ICE und dem TGV zwei völlig unterschiedliche Zugkonzepte. Bei den Franzosen bestehen die Züge aus zwei Triebköpfen an den beiden Enden, dazwischen fahren acht oder zehn Mittelwagen. Der Vorteil ist, dass die Motoren auf nur zwei Wagen verteilt sind, nachteilig erweist sich, dass die beiden Zugwagen schwer sind und Platz verloren geht. Beim Velaro von Siemens, etwa beim ICE 3, sind dagegen die Antriebe auf mehrere Waggons verteilt, eine echte Lokomotive vorne oder hinten gibt es nicht mehr. Das ergibt eine bessere Gewichtsverteilung, mehr Platz als vorher und mehr Flexibilität beim Zusammenstellen der Zugeinheiten.

Im neuen ICE 4 wurde die Wagenlänge sogar auf 28 Meter erhöht, sodass nun alle Antriebskomponenten in einem Wagen angeordnet werden können. Dieses sogenannte Power-Car fährt dann innerhalb einer Zugeinheit. Auch deshalb setzt Siemens große Hoffnungen auf den ICE 4, der weniger Strom verbraucht als seine Vorgänger und im Dezember zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn eingesetzt werden soll. Für insgesamt 5,3 Milliarden Euro hat die Bahn bei Siemens 130 ICE-Züge mit 1335 Waggons bestellt.

Siemens und Alstom konkurrieren nicht nur bei ICE und TGV, sondern auch bei S- und U-Bahnen. Wie es gemeinsam geht, zeigt sich gerade in Paris. Die Wagen der führerlosen Metro-Linie 1 kommen von Alstom, die Signal- und Leittechnik von Siemens.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2017/vit
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