Süddeutsche Zeitung

Siemens und Alstom:Europa bekommt einen Zug-Giganten

  • Die Siemens-Zugsparte wird mit dem französischen Wettbewerber Alstom fusionieren.
  • Mit dem Zusammenschluss könnten die Unternehmen gegenüber dem alles dominierenden Marktführer CRRC aus China aufholen.
  • Angesichts der Größe der beteiligten Unternehmen wird der Zusammenschluss voraussichtlich von der EU-Kommission in Brüssel geprüft.

Von Markus Balser, Caspar Busse und Thomas Fromm, München/Berlin

Es war wohl eine der historischen Aufsichtsratssitzungen, die da am Dienstag in München stattfand. Denn die Siemens-Kontrolleure stimmten einem der wichtigsten Industrieprojekte der vergangenen Jahre zu: Dem Zusammenschluss der Zugsparte des Münchner Konzerns mit dem französischen Konkurrenten Alstom zur Nummer zwei auf dem Weltmarkt für Züge. Oder, anders gesagt: der Fusion von ICE und TGV.

Geleitet werden soll der neue Zug-Gigant von dem bisherigen Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge, 48, in Paris, wo der Konzern auch seine Zentrale haben soll. "Dieser deutsch-französische Zusammenschluss unter Gleichen sendet in vielerlei Hinsicht ein starkes Signal", sagte Siemens-Chef Joe Kaeser, 60. "Wir setzen die europäische Idee in die Tat um und schaffen gemeinsam mit unseren Freunden bei Alstom auf lange Sicht einen neuen europäischen Champion der Eisenbahnindustrie."

Der Zusammenschluss wird angesichts der Größe der beteiligten Unternehmen voraussichtlich von der EU-Kommission in Brüssel geprüft. Insbesondere bei Hochgeschwindigkeitszügen hätten beide Unternehmen mit dem ICE und dem TGV in Europa eine starke Stellung. Kaeser zeigte sich aber zuversichtlich, die Zustimmung der Kartellbehörden zu bekommen.

Kaeser wirbt seit Monaten darum, dem chinesischen Konkurrenten CRRC einen starken Rivalen entgegenzusetzen. CRRC erreicht rund 30 Milliarden Euro Umsatz; Siemens und Alstom kämen zusammen auf 15 Milliarden Euro Umsatz mit mehr als 62 000 Beschäftigten.

Technisch soll es so ablaufen: Die Zug-Sparte Siemens Mobility soll mit Alstom zusammengelegt werden, sodass die Münchner 50 Prozent des fusionierten Konzerns halten werden.

Alstom hat nach dem Verkauf seiner Energietechnik-Sparte an den US-Konzern General Electric (damals war auch Siemens interessiert) zusätzliches Geld in der Kasse. Damit der französische Partner und die Siemens-Sparte bei einem Zusammenschluss in etwa gleich viel wert sind, soll ein Teil davon nun in Form einer Sonderdividende an die Alstom-Aktionäre ausgeschüttet werden. Nutznießer davon wäre der Bau- und Medienkonzern Bouygues, der 28 Prozent an Alstom hält.

Der Siemens-Bereich Mobility, wie die Bahnsparte der Münchner inzwischen heißt, machte zuletzt etwa zehn Prozent des Siemens-Gesamtumsatzes von knapp 80 Milliarden Euro aus. Unter anderem liefern die Münchner weltweit Nahverkehrs- und Hochgeschwindigkeitszüge aus. Dazu gehören auch U- und Straßenbahnen. Wichtige Kunden kommen aus Europa, zum Beispiel aus Großbritannien, aber auch aus den Golfstaaten, es werden U-Bahnen für Katar und für Riad gebaut, auch die blaue Münchner U-Bahn ist von Siemens.

Eines der Siemens-Vorzeigeprojekte ist der neue ICE für die Deutsche Bahn. Zusammen mit dem kanadischen Hersteller Bombardier wird gerade die vierte Generation des Hochgeschwindigkeitszugs gebaut, die im Dezember mit dem Fahrplanwechsel ihren Regelbetrieb aufnehmen soll. Für insgesamt 5,3 Milliarden Euro hat die Deutsche Bahn bei Siemens 130 ICE-Züge mit zusammen 1335 Waggons bestellt. Dazu gibt es eine Option auf weitere 170 Züge mit noch mehr Waggons.

Die letzten der dann insgesamt 300 Einheiten könnten 2030 ausgeliefert werden. Sie sollen die alten ICE der ersten und zweiten Generation ersetzen sowie die noch älteren IC-Züge, die schon Jahrzehnte in Deutschland unterwegs sind. Beim Vorgänger ICE 3 gab es erhebliche Probleme bei der Zulassung und Auslieferung, was für einen finanziellen und einen Imageschaden gesorgt hat. Inzwischen aber hat Siemens die ICE-Produktion weitgehend im Griff.

Ohnehin gilt die Auftragslage als gut.

Nach dem Zusammenschluss der beiden Sparten wird aber auch mit einem Mitarbeiterabbau gerechnet. Trotzdem sprechen sich auch führende Gewerkschaftsfunktionäre für ein Zusammengehen aus, um im Wettbewerb zu bestehen. "Der Zusammenschluss von Siemens und Alstom kann ein Schritt in diese Richtung werden", sagte IG-Metall-Vorstandsmitglied und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner. Nun bräuchten die Mitarbeiter Sicherheit und Perspektiven. Dafür habe man sich auf Standortgarantien von vier Jahren, Verzicht auf Kündigungen für mindestens vier Jahre, den Erhalt der Mitbestimmung und die Absicherung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in Deutschland und Frankreich geeinigt. Man erwarte nun jedoch ein "zukunftsweisendes Konzept für die Standorte in Europa".

Westliche Zughersteller, darunter auch Siemens und Alstom, sind seit der Fusion der beiden großen chinesischen Anbieter CNR und CSR zum größten Bahnanbieter der Welt verunsichert. Der Zusammenschluss erhöht auch in Europa und Nordamerika den Druck auf Fusionen. Zumal immer mehr Unternehmen um immer weniger Aufträge buhlen. In Deutschland sei der Wettbewerb besonders stark, auch weil sich die Kunden zunehmend nach Lieferanten in Osteuropa und Asien umsehen. Die Branche leide zudem unter einer Auftragsflaute; nach einem Boom in den vergangenen zehn Jahren bestellen die Bahnbetreiber derzeit kaum noch neue Hochgeschwindigkeitszüge.

Schon im Vorfeld löste der Deal politische Debatten aus. Der Generalsekretär des rechtspopulistischen Front National, Nicolas Bay, erklärte auf Twitter, die französisch-deutsche Partnerschaft dürfe "nicht zur Auslöschung der französischen Industrie führen". Der Zusammenschluss nütze Siemens mehr als Alstom.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2017/jps
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